Meierhans meint: Standard spart – Differenzierung zahlt


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2011/05

     

Von Dr. Daniel Meierhans

Praktisch alle machen das heute so. Das ist Standard.» Dies wird immer häufiger zur entscheidenden Begründung, wenn verschiedene Software-Systeme, Implementierungsvarianten oder – was eng damit verknüpft ist – unterschiedliche Prozessmöglichkeiten verhandelt werden. Mit dem Standard-Argument ist die Diskussion im Normalfall erschlagen. Was alle tun, muss ja gut sein. Es macht keinen Sinn, das Rad immer wieder neu zu erfinden, wie der Volksmund so schön sagt. Und auch unsere Management-Schulen trichtern den angehenden Führungskräften «Best Practices» anhand unzähliger Beispiele ein. Der Vorteil ist offensichtlich: Standardisieren spart Geld. Gerade in der IT. So rechnet denn auch alle paar Jahre wieder eine Studie vor, wie viel mehr – und sie meint damit, wie viel zu viel – Schweizer Unternehmen im Vergleich etwa mit US-amerikanischen für ihre Informatik ausgäben. Jene setzten eben konsequenter Standard-Software ein, so die Quintessenz.

Trüffel oder Zuchtchampignon

Als Schweizer Mittelständler würde ich allerdings noch einmal – und nicht nur kurz sondern etwas länger – innehalten, bevor ich mit meinem ganzen Laden auf diesen globalisierten Standardisierungszug aufspringe. Zwar ist der Einsatz von Standardsystemen in vielen Informatikbereichen diskussionslos der richtige Weg. Es macht allenfalls für Facebook oder Google Sinn, spezielle Rechner zu konstruieren, um Datenbank-Server ein wenig effizienter betreiben zu können. Und auch die Entwicklung einer indivi­duellen Büro-Software für die Administration dürfte sich nur in den wenigsten Fällen rechnen. Auf der anderen Seite lebt die Schweizer Wirtschaft aber davon, dass ihre Produkte eben gerade nicht Standard sind. Nur in hochspezialisierten Nischen und mit Angeboten, die sich klar differenzieren, lassen sich die hohen Margen erwirtschaften, die für unser – zum guten Glück – hohes Lohnniveau notwendig sind. Dem Schweizer Mittelstand US-Unternehmen gegenüberzustellen, heisst in diesem Zusammenhang nicht, Birnen mit Äpfel zu vergleichen, sondern eher Trüffel mit Zuchtchampignons.

Grosse wollen Standards; Kleine Spezialitäten

Treiber der Standardisierungswelle sind denn auch internationale Grosskonzerne. Sie können dadurch die Macht ihrer grösseren Volumen, der effizienteren Lieferketten, ihrer enormen Marketingbudgets und der weltweit verzweigten Distributionsnetze besser ausspielen. Quasi nebenbei können sie so zudem kaschieren, dass ihre organische Innovationskraft im Vergleich mit dynamischen Mittelstandsunternehmen gegen Null tendiert.
Um den Vorteil genau dieser Dynamik und seiner Einzigartigkeit muss der Kleinere kämpfen. Eine Business-Software muss darum vor allem seine Differenzierung unterstützen. Sie muss flexibel genug sein, um seine Spezialitäten und auch heute noch nicht absehbare künftige Anforderungen abbilden zu können. Dabei ist es unwesentlich, ob dies mit einem Standardsystem oder mit einer Individualentwicklung erreicht wird. Entscheidend ist, dass man mit der Software-Einführung keine Standard-Zwangsjacke verpasst bekommt.

Schleichend zur Auswechselbarkeit

Das Perfide an den Best-Practices-Standards: Sie bringen in einer ersten Phase fast immer markante Optimierungsgewinne. Die Nachteile bauen sich erst über die Zeit auf, wenn das Geschäft und die Produkte über Jahre anhand der gleichen Kennzahlen optimiert werden, wie dies auch die Konkurrenz tut. Bis man merkt, dass sich das eigene Angebot kaum mehr vom Mitbewerber unterscheidet, ist es zu spät. Aber vielleicht nimmt dies dann auch gar niemand mehr wahr, weil sich mit den Best Practices auch das Denken im Unternehmen verändert hat. Alle finden es dann ganz normal und lagern die Optimierungs-Überreste in grösster Selbstverständlichkeit an den aktuell günstigsten Ort in der Welt aus: «Praktisch alle machen das heute so.»



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