Der Wahnsinn hat Methode
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/20
Künftig werden wir unsere Daten mit bis zu 1600 Mbit pro Sekunde über FireWire-Kabel übertragen können, besagt eine Meldung der letzten Tage. Willkommen, schöne neue Highspeed-Welt! Das Dumme daran ist bloss, dass es die Geräte und die Kabel, die diese Performance bieten, bisher nicht gibt - und wenn sie in diesem Sommer erhältlich sein werden, werden sie zu nichts kompatibel sein, womit man bisher gearbeitet hat. Alles wird schöner, schneller - und inkompatibler (vgl. S. 8).
FireWire, auch bekannt als IEEE 1394, wurde ursprünglich von Apple als SCSI-Nachfolger entwickelt. Sie erinnern sich: SCSI ist der Standard, der schnelle Datenübertragung und die Verkettung von bis zu sieben Geräten an einem Host ermöglichte.
SCSI ist aber auch der Standard, der mit 10 verschiedenen Steckertypen nicht mal mehr zu sich selber kompatibel ist. DB 50, Mini DB 50, IDC 50 - nicht nur die Kunden haben da den Anschluss verloren.
FireWire scheint sich zum würdigen Nachfolger zu entwickeln: Schon heute gibt es je eine vier- und eine sechspolige Steckervariante. Nun kommt zunächst noch eine neunpolige Version für IEEE 1394b dazu, weitere werden wohl folgen, wenn es den Entwicklern wieder langweilig ist.
Die Langeweile arroganter Entwickler dürfte denn auch ein nicht zu unterschätzender Grund für vieles sein, das ein User heutzutage zu erdulden hat. Technische Argumente können jedenfalls kaum als Begründung herhalten, wenn Canon, Epson und HP für jeden beliebigen Tintenspritzer eine Farbpatrone entwickeln, die allein in diesem bestimmten Modell einsetzbar ist, dafür aber fast teurer verkauft wird als ein neuer Drucker.
Design-Gründe kommen ebensowenig in Frage - eine der kleinsten Digicams, Canons Digital Ixus, wird mit vergleichsweise grossen CompactFlash-Karten gefüttert und nicht etwa mit den kleineren SmartMedia-Cards (vgl. Test in IW 21/2001). Warum es zu diesen beiden verbreiteten Systemen weitere, proprietäre Speicherstandards braucht, weiss nur der heilige Scheffelius, der Schutzpatron der Hersteller.
Letztlich dreht sich alles um eine Frage: Wie verdient man auch bei schrumpfenden Margen viel Geld? Die Antwort wird von den Herstellern vorgelebt: Indem man immer mal wieder was Neues einführt, das zu nichts kompatibel, aber doch attraktiv genug ist, um den User dazu zu verführen, sein altes Equipment zu ersetzen.
Oder man macht es wie Sony noch geschickter und bastelt sich eine eigene Welt, ein Hardware-Paralleluniversum quasi. Dieses füllt man mit Gadgets wie Digicams, PDAs und Notebooks und sorgt mit einem proprietären Kaugummispeicher dafür, dass der einmal gewonnene Kunde auch tatsächlich Kunde bleibt. Ein entmündigter Kunde notabene, der sich fürderhin wohl oder übel am Gängelband führen lässt, wenn er nicht seine bisherigen Investitionen aus dem Fenster werfen will.
Nun ist es ja nicht so, dass sich die Fabrikanten bloss von ihrer Konkurrenz durch immer neue proprietäre "Standards" abzuheben versuchen. Im Gegenteil: Die Hersteller konkurrieren sich sogar selber! Haben Sie sich auch schon darüber gewundert, dass Sie Ihr Geschäftshandy von Nokia nicht mit Ihrem privaten Nokia-Ladegerät aufladen können? Gibt es einen sinnvollen Grund, weshalb Sie Ihren Palm nicht mit der Palm-Docking-Station Ihres Bürokollegen synchronisieren können?
William Shakespeare kannte diese Probleme nicht. Und doch zeigte er sich weitsichtig, als er vor 400 Jahren hinter seiner zu jedem Zündholz kompatiblen Kerze hockte, seine Feder ins Tintenfass tunkte und unsterbliche Sätze wie diesen schuf: "Ist dies schon Wahnsinn, hat es doch Methode."