Editorial

Die wahre Bedeutung von XP

Marc von Ah über Microsofts neue Windows- und Office-Versionen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/05

     

Microsoft ist immer mal wieder für eine Überraschung gut. Manchmal - eher selten - durch wirklich gelungene Produkte, manchmal - eher häufig - durch ausgefallene Marketing-Tricks, und diesmal - einmal mehr - durch Namen. Nachdem man die ersten Versionen von DOS und Windows noch ganz bünzlig mit Versionsnummern versehen hatte, wurde 1995 für den Launch eines sozusagen revolutionären Produkts die Benamsung mit Jahreszahlen eingeführt - Windows 95 war geboren. Parallel dazu kannte man in Redmond bereits die Namensgebung per Abkürzung, wie mit Windows NT (für New Technology) erfolgreich demonstriert wurde. Allerdings vermochten sich die Abkürzungen nicht zu halten: NT 5.0 heisst bekanntlich Windows 2000. Macht nichts, weil es die meisten Kunden sowieso nicht interessiert, ob die hinter der Oberfläche liegende Technologie alt oder neu ist.




Heute, sechs Jahre nach ihrer Einführung, haben sich auch die Jahreszahlen überlebt. Die nächsten Versionen von Windows und Office werden weder, wie von vielen spekuliert, Windows 2001 noch gar im Klartext Office.Net heissen, sondern - Überraschung - wieder mit richtig schön kryptischen Abkürzungen versehen.


Spass als Versprechen

So wird die bisher als "Whistler" bekannte Windows-Version Windows XP heissen, und aus Office 10 wird Office XP. XP steht gemäss Microsoft-Sprachregelung für eXPerience, was soviel wie Erfahrung heisst und den Spass meint, den der User mit den Produkten haben wird. Nun ist es ja nicht so, dass die Anwender bisher keinen Spass mit Microsoft-Software hatten, im Gegenteil: Man denke nur an die vielen schönen Blue-Screens, Plug&Pray und die netten Überraschungen, die man mit der Office-Suite immer mal wieder erleben durfte. Aber indem der Spass jetzt schon im Produktnamen enthalten ist, verspricht Microsoft doch einiges. Bleibt zu hoffen, dass die Technologie den Marketing-Strategen zu folgen vermag und den versprochenen Fun tatsächlich bietet.



Falls nicht, ist jedoch noch nicht aller Tage Abend. Schliesslich ist XP flexibel und bedeutet vielleicht bloss ganz einfach, was der Windows-Me- und W2K-Nachfolger ganz bestimmt sein wird: eXPensive.





Das wirklich dicke Kaninchen

Das wirklich dicke Kaninchen, die wahre Bedeutung der neuen Namen nämlich, hat Microsoft allerdings schon aus dem Hut gezaubert, bevor die Bezeichnung offiziell bekanntgegeben wurde: XP bedeutet in Tat und Wahrheit eXtra Protected und bezieht sich auf den Kopierschutz, mit dem Microsoft die neuen Windows- und Office-Versionen versehen will. Was die Redmonder mit Office 2000 bereits erfolgreich in den USA, Kanada und einigen anderen Bananenrepubliken erprobt, für das christliche Abendland aber wieder verworfen haben, soll nun definitiv und weltweit eingeführt werden. Der Kopierschutz sieht vor, dass die Programme nur auf einem einzigen, durch seine Hardware-Komponenten einwandfrei identifizierten PC installiert werden können und nirgends sonst. Vier Ausstattungsänderungen sollen erlaubt sein, dann wird eine erneute Registrierung fällig.



Ob die Kunden das mitmachen? Vielleicht. Wahrscheinlich aber eher nicht, wie die zahlreichen Reaktionen in unserem Forum zeigen. Valable Alternativen zum Nulltarif ohne Registrierzwang stehen mit Linux, KDE und StarOffice ja bereit. Und obwohl Microsoft die Open-Source-Bewegung im Serverbereich fürchtet wie der Teufel das Weihwasser, hat man in Redmond scheinbar keine Angst vor Linux auf dem Desktop.




Vielleicht aber steigen plötzlich massenhaft Anwender auch im Client-Bereich auf Linux um. Und dann wird vielleicht eintreten, was die Amis mit "they may whistle for it" umschreiben: Dann kann Microsoft sich den Kopierschutz in den Kamin schreiben.



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