Editorial

Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt

Bis zu Bill Gates’ bestimmt wohlgemeinter «Trustworthy Computing»-Initiative haben Sicherheit und Stabilität bei Microsoft offenbar nicht die geringste Rolle gespielt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/41

     

Trustworthy Computing, hat uns Bill Gates vor einem halben Jahr versprochen, "vertrauenswürdige Computerei" sei die Zukunft, nicht nur für Microsoft. Es würde Zeit, dass der Anwender endlich Vertrauen in seinen Rechner fasse, keine Angst mehr vor Datenverlusten und Abstürzen, geschweige denn vor bösartigen Angriffen per Virus und Hintertür haben müsse. Das ist nur recht und billig, schliesslich hat der User genug für sein System bezahlt.



Ganz so einfach, wie sich das Microsofts Chef-Architekt gedacht hat, lässt sich die Initiative in der Praxis allerdings nicht umsetzen. Das zumindest erklärt Craig Mundie, Microsofts CTO: Alte Betriebssysteme, die man beispielsweise 1991 entwickelt und 1995 eingeführt habe und die heute immer noch benützt würden, könne man nicht einfach so von allen möglichen Fehlern und Bedrohungen befreien. Und überhaupt sei der überwiegende Teil der Fehler gar nicht dem Betriebssystem anzulasten, sondern beispielsweise Treibern von Drittherstellern, wie Untersuchungen unter anderem mit Windows XP gezeigt hätten.




Ein Schelm, wer dabei Böses denkt. Zweierlei Schlüsse drängen sich aber trotzdem auf:



1. Microsoft ist auf gar keinen Fall schuld, wenn die eigenen Betriebssysteme unstabil und unsicher sind.



2. Bis zu Bill Gates' bestimmt wohlgemeinter "Trustworthy Computing"-Initiative haben Sicherheit und Stabilität bei Microsoft offenbar nicht die geringste Rolle gespielt.



Das ist nun allerdings nicht weiter interessant und gehört längst zu den Binsenwahrheiten des digitalen Zeitalters. Neu ist aber, dass Microsoft mehr oder weniger offen dazu steht.



Als echten Affront scheint es der Betriebssystem-Monopolist aber zu interpretieren, dass es tatsächlich nach wie vor Kunden gibt, die mit "Uralt"-Systemen wie Windows 95, 98, NT oder Me - erschienen vor nur gerade zwei (!) Jahren - arbeiten und darauf auch noch stolz sind. Wie Marktforscher herausgefunden haben, werden bis Ende 2002 gerade mal 40 Prozent aller Windows-Anwender die Versionen 2000 oder XP nutzen, und viele der bisherigen Update-Verweigerer denken auch weiterhin nicht mal im Traum daran, die Version zu wechseln.



"Frechheit", sagt Microsoft, und besinnt sich auf Goethes Erlkönig. Ganz nach dem Motto "Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt" versucht der Redmonder Software-Riese, mit dem kommenden Office 11 die sich sträubenden User zum Betriebssystemwechsel zu zwingen (Seite 8). Denn die vielen langerwarteten Segnungen der neuen Bürosuite sind nur dann zu geniessen, wenn man mit Rechnern arbeitet, die mit Windows XP oder einem mehrmals aufdatierten Windows 2000 laufen.



Damit schlägt Microsoft gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Die Trustworthy-Initiative kommt voran, weil man die alten Betriebssysteme los wird. Die Verkäufe von Windows XP werden angekurbelt. Die umstrittene Aktivierungstechnologie dürfte sich bei Privatanwendern wohl einfacher durchdrücken lassen, und die nicht minder umstrittene Licencing-6.0-Strategie bei Firmenkunden ebenso. Und obendrein macht man in Redmond einmal mehr gewaltig Kasse. Ob das vertrauenswürdig im Sinne von Bill Gates ist?




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