Falsch gedacht, liebe Arbeitgeber
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/35
Dass viele Arbeitnehmer einen nicht unbeachtlichen Teil ihrer Arbeitszeit zum bezahlten Zeitvertreib im weltweiten Netz benutzen, gehört zu den bekanntesten Binsenwahrheiten des Informationszeitalters. Jeder tut es, jeder weiss es, und doch wird es immer wieder mehr oder weniger wissenschaftlich untersucht, denn glauben will es keiner, allen bisher publizierten Umfragen und Studien zum Trotz.
Der jüngste Beitrag zur Erhellung des Phänomens kommt von der amerikanischen Firma Websense, die unter anderem auch Filtersoftware herstellt. Die erstaunlichen Resultate: Der durchschnittliche amerikanische Büroarbeiter verbringt rund 20 Prozent seiner täglichen Arbeitszeit mit Surfen.
Mit Verlaub, das ist weder neu noch überraschend, kommen doch vergleichbare Studien seit Jahren auf ähnliche Ergebnisse. Und gestört hat es über längere Zeit keinen.
Schliesslich gab es Zeiten, da wurde die Büro-Surferei mit einigem Wohlwollen gesehen und von Vorgesetzten mitunter sogar gefördert: Kontakte zu Kunden würden die Mitarbeiter pflegen, hiess es, wichtige Informationen aus der Branche zusammensuchen und sich - freiwillig, wohlgemerkt - stetig weiterbilden.
Doch weit gefehlt, liebe Arbeitgeber. Die idyllischen Tage am Ursprung des World Wide Web sind vorbei, und einige Kündigungen später hat sich zwischenzeitlich die erstaunliche Erkenntnis durchgesetzt, dass der typische Bürosurfer keineswegs derart hehre Absichten verfolgt, sondern seine Arbeitszeit vorzugsweise auf Spieleseiten oder gar mit Schweinigeleien wie dem intensiven Studium der weiblichen Anatomie verbringt.
Auch das ist so überraschend nicht. Aber es traf viele Arbeitgeber völlig unvorbereitet. Flugs ging man dazu über, die Internetanschlüsse der Mitarbeiter wieder zu kappen, und wo das nicht möglich war, kam und kommt ausgeklügelte Filtersoftware zum Einsatz, die die Webseiten der üblichen Verdächtigen sperrt.
Geschehen war's um die lustigen Tage mit den neuesten Online-Games, kein Song ging mehr zu Napster, nie wieder ein verstohlener Blick auf wohlgeformte Bauchnäbel in der Online-Version von Playboy.
Und wieder falsch gedacht, liebe Arbeitgeber. Ganz abgesehen davon, dass keine Filtersoftware jemals in der Lage ist, der Dynamik des Webs und seiner Seiten Herr zu werden und sie auch nur annähernd umfassend zu sperren - der Anteil der Arbeitszeit, der mit Surfen verbracht wird, ist seit Jahren weitgehend stabil.
Und hier liegt der eigentliche Fehler im unternehmerischen Gedankengebäude: Die üblichen Verdächtigen sind nämlich weitgehend unschuldig. Das behauptet zumindest die Websense-Studie, die die Arbeitnehmer nicht nur über ihre tägliche Surfzeit, sondern insbesondere auch über ihre Surfpräferenzen befragt hat. Pornografie findet sich da mit 18 Prozent erst auf Rang drei, Online-Games mit 8 und Auktionen mit 6 Prozent scheinen geradezu marginal. Sieger mit 24 Prozent der täglichen Surfzeit ist dagegen Online-Shopping, mit nur einem winzigen Prozent Vorsprung auf die News-Seiten.
Damit schliesst sich der Kreis. Denn welcher Chef würde einem schon das Lesen von aktuellsten Nachrichten verargen - es könnten schliesslich auch solche über Konkurrenten und Kunden darunter sein.