Editorial

Microsoft und die Patente


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/11

     

Nicht weniger als 235 Microsoft-Patente soll Open-Source-Software verletzen, wie Microsoft Mitte Mai durch ihren Lizenzchef Horacio Gutierrez in einem Interview mit der Zeitschrift «Fortune» verlauten liess. Betroffen von diesen Patentverletzungen ist nicht nur Linux, in dessen Kernel «bloss» 42 und in den zugehörigen grafischen Oberflächen 65 Punkte beanstandet werden, sondern auch OpenOffice.org sowie zahlreiche weitere Open-Source-Applikationen. Konkreter wollte Microsoft bei der Benennung der behaupteten Patentverletzungen allerdings nicht werden – auch nicht, als Linux Torvalds persönlich dazu aufrief. Dabei hätte die Community ein grosses Interesse daran, die Beanstandungen zu kennen, um den betreffenden Code, sollte er denn tatsächlich Patente verletzen, umgehend neu zu programmieren.



Dass Microsoft den Aufrufen nicht nachkommt, hat zumindest für die Redmonder gute Gründe. So braucht man seine Karten nicht aufzudecken, und auch wenn hinter den Drohungen nur heisse Luft stecken sollte, beweisen kann das keiner. Unsere angelsächsischen Kollegen, um prägnante Bezeichnungen nie verlegen, nennen diese Taktik FUD – fear, uncertainty, doubt. Genau darum geht es Microsoft nämlich: Hier mal ein Info-Häppchen, dort ein Vorwurf, alles mit dem Ziel, Zweifel zu säen, die
Unsicherheit zu schüren und schliesslich die Früchte der Furcht zu ernten. Das hat schon SCO versucht – aber Microsoft macht es intelligenter.




Mit dieser moralisch zweifelhaften Taktik nämlich arbeitet Microsoft im Zusammenhang mit Open Source schon länger – und das erst noch mit Erfolg. So konnte bereits im November der Linux-Distributor Novell für eine Zusammenarbeit auf rechtlicher und technischer Ebene gewonnen werden. Dieser Tage folgte mit Xandros ein weiterer, wenn auch eher unbedeutender Linux-Distributor dem Novell-Vorbild. Auch hier ist ein zentraler Bestandteil der Vereinbarung der versprochene Schutz vor Patentklagen: Die
Xandros-Anwender können sicher sein, dass die von ihnen benutzte Technologie Microsofts geistiges Eigentum nicht verletzt, wie es in einer Mitteilung heisst. Und tut sie es doch (was angesichts der behaupteten 235 Patentverletzungen mehr als nur wahrscheinlich ist), wird Microsoft nicht dagegen klagen.



Alles in allem also Grund zur Freude bei Microsoft: Die böse Saat scheint langsam aufzugehen, auch wenn sich mit Red Hat und Canonical (Ubuntu) zwei wichtige Distributoren hartnäckig gegen alle Angriffe Microsofts sträuben und dabei auch noch Unterstützung von Sun erhalten. Dennoch, steter Tropfen höhlt den Stein, und in der Open-Source-Szene rumort es. Während einige laut gegen Microsoft wettern, befürchten offenbar viele Anbieter von Open-Source-Software, dass sie ohne Kooperations-Verträge mit Klagen zu rechnen haben. Und das ist wohl nicht ganz aus der Luft gegriffen: Immerhin macht der Software-Riese kein Geheimnis daraus, dass es sich bei der beabsichtigten vertraglichen Unterwerfung der Open-Source-Community um eine «neue strategische Ausrichtung» handelt.



Dass die Redmonder mit ihrer neuen Strategie zwei Fliegen auf einen Streich schlagen, dürfte sie gleich doppelt freuen. Nicht nur, dass sich einige Linux-Distributoren dem FUD unterwerfen, so ganz nebenbei erhält man nämlich auch Munition für ein anderes Schlachtfeld. Betrachtet man die Deals mit Novell und insbesondere Xandros, geht deutlich hervor, dass die beiden Distributoren diverse Microsoft-Protokolle lizenzieren wollen, um ihre Produkte besser in Microsoft-lastige Umgebungen integrieren zu können. Da soll die EU noch einmal behaupten, man zeige sich in Redmond nicht kooperativ seinen Konkurrenten gegenüber... Fehlt nur noch, dass man in Brüssel auf den redmondschen Trick hereinfällt.




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