Editorial

Päpstlicher als der Papst: Microsoft jagt Raubkopierer

Microsoft verlangt von Firmen eine detaillierte Aufstellung aller installierten MS-Produkte sowie Kopien der zugehörigen Lizenzen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/41

     

Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort." So beginnt das Johannes-Evangelium in der Luther-Bibel. Etwas moderner könnte das auch so lauten: Am Anfang war Word, und Word war bei Microsoft, und Microsoft war Word.



Nun ist es ja nicht so, dass Microsoft mit dem Herrn zu vergleichen wäre - Gott bewahre! Aber mit dem Papst aufnehmen können es die Redmonder schon locker, zumindest, wenn es darum geht, päpstlicher als der Papst zu sein. Und über dem Papst steht eigentlich nur noch... eben.




Der jüngste Coup aus dem Konzern des Software-Papstes William III. ist eine offene Drohung, die in Briefform letzte Woche Zigtausenden von kleineren bis grösseren Unternehmen in der Schweiz ins Haus flatterte.



Mit dem Schreiben verlangt Microsoft von den Firmen eine detaillierte Aufstellung aller installierten MS-Produkte sowie Kopien der zugehörigen Lizenzen. Viel Papier! Zuviel?



Viele Unternehmen, die ihre Software mit legalen Lizenzen einsetzen, ärgern sich über die Briefkampagne. Sie stellen sich auf den Standpunkt, dass es Microsoft weniger als nichts angeht, wieviele Lizenzen sie besitzen und woher sie diese haben - und das zu Recht. Denn nach der Schweizer Rechtsordnung besteht für ein Unternehmen keinerlei rechtliche Pflicht, einem anderen Unternehmen Auskünfte über sein Software-Inventar zu geben.



Aber diese Firmen sind ja auch nicht das eigentliche Ziel der Initiative. Microsoft geht es vielmehr um diejenigen Unternehmen, die Teil der 34 Prozent sind, die in der Schweiz Business-Software illegal einsetzen. Mit suggestiven Formulierungen und dem impliziten Begehren nach Selbstdenunzierung versucht der Konzern, diese Tausende von Nutzern davon zu überzeugen, ihre Schwarzkopien noch rechtzeitig vor dem 30. November zu legalisieren. Ansonsten - so droht Microsoft in dem Schreiben - sei mit schwerwiegenden strafrechtlichen Folgen und Schadenersatzforderungen zu rechnen.



Wenn Sie jetzt lachen, ist das nur zu begreiflich. Die Vorstellung ist ja auch zu grotesk: Ganze Heerscharen von Microsofties und gedungenen Detektiven durchkämmen nicht Hunderte, nein, Tausende von Firmen auf der Suche nach PCs und Servern mit nicht adäquat lizenzierter Software...



Dies allerdings ist eine Aufgabe von Ausmassen, wie sie bisher nur Herakles zu erledigen vermochte, der griechische Held und Halbgott.



Und damit wären wir wieder bei Gott. Der hat nämlich am siebten Tag den Menschen erschaffen, und dieser vermehrte sich und entwickelte über die Jahre nicht nur Software, sondern auch ein Rechtssystem. Dieses legen die Redmonder zuweilen zwar gern ein bisschen zu ihren Gunsten aus, setzen es ganz ausser Kraft und massen sich Staatsgewalt (oder mehr?) an. Und doch scheinen sich die Halbgötter von Microsoft während der jahrelangen Prozesse gegen das DOJ so an die Rechtsordnung gewöhnt zu haben, dass sie die gute Zusammenarbeit mit der Judikative nun offenbar nicht mehr missen mögen und sich auf weitere jahrelange Rechtsstreitigkeiten mit echten und mutmasslichen Raubkopierern einlassen möchten.



Gut gebrüllt, Löwe!



Denn das Ausmisten dieses Augiasstalls ist - Gott sei's geklagt - wahrlich eine Aufgabe für halbe und ganze Götter.




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