Editorial

Knapp daneben ist auch vorbei

Vor einer Woche hat Windows XP seinen Einzug in die Regale der Läden dieser Welt gehalten. Das neue Betriebssystem sei "der wichtigste Release seit Windows 95", liess Bill Gates dazu bereits im Vorfeld verlauten.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/38

     

Vor einer Woche hat Windows XP seinen Einzug in die Regale der Läden dieser Welt gehalten. Das neue Betriebssystem sei "der wichtigste Release seit Windows 95", liess Bill Gates dazu bereits im Vorfeld verlauten. Das ist natürlich Quatsch.



Aus Sicht von Microsoft mag es zwar sein, dass bisher keine andere Software seit Windows 95 derart hohe Erwartungen zu tragen hatte. Immerhin hat Windows XP explizit den Auftrag, die derzeit kriselnde Computer-Branche wieder auf Erfolgskurs zu bringen und die Umsätze nicht nur bei Microsoft kräftig anzukurbeln.




Auch gemessen an den 250 Marketing-Millionen ist die Veröffentlichung des neuen Betriebssystems ein Meilenstein. Die Windows-XP-Party an der Orbit/Comdex Europe vor rund einem Monat, der eigentliche Launch der Software in New York vorigen Donnerstag - Microsoft hat weltweit weder Mühe noch Kosten gescheut, dem Publikum die neue Oberfläche schmackhaft zu machen.



Dennoch dürfte die Rechnung nicht aufgehen. Insgesamt bieten die Redmonder nämlich zu wenig, um den Betriebssystem-Markt zu revolutionieren. Die Neuerungen, mit denen Windows XP aufwarten kann und die intensiv beworben werden, sind so toll nicht.



Natürlich ist das neue Betriebsystem sehr stabil. Damit hat Microsoft aber bloss das erreicht, was die Kunden von früheren Systemen längst hätten erwarten dürfen. Die Freigabe der Windows-Versionen aus der 9x-Tradition, die offenbar diese Vorgabe nicht erfüllten, wirkt vor diesem Hintergrund fast zynisch. Aus der Sicht der Windows-NT/2000-Anwender dagegen ist der Fortschritt keiner: Diese Systeme waren von Anbeginn sehr stabil.



Die zahlreichen Zusatzprogramme, die Microsoft ins Betriebssystem eingebaut hat - sie wirken eigenartig halbherzig. Wer MP3-CDs nicht nur hören, sondern auch brennen will, braucht Zusatzsoftware. Wer DVD-Filme anschauen will, braucht Zusatzsoftware. Wer seine Dateien mit irgendwelchen Optionen zip-komprimieren will - richtig, braucht Zusatzsoftware.



Bleibt die neue Oberfläche. Die ist zwar hübsch anzuschauen, aber wirklich nötig ist sie nicht. Das haben offenbar auch die Microsoft-Programmierer so gesehen: Das Luna-Interface lässt sich über wenige Mausklicks ausschalten, Windows XP präsentiert sich dann nicht anders als, sagen wir, Windows 2000. Oder Windows Me. Oder Windows 95.



Windows XP ist keine Revolution, sondern Modellpflege. Das haben auch die Kunden bemerkt, von denen längst nicht mehr alle jedes Update mitmachen. Von einer Euphorie kann keine Rede sein, auch wenn das erste Verkaufswochenende zumindest in der Schweiz so schlecht nicht lief.



Dennoch findet eine Revolution statt, wenn auch auf einer anderen Baustelle. Noch nie war nämlich ein Betriebssystem derart eng mit dem Internet verknüpft. Das beginnt bei der Aktivierung und zieht sich über den Windows Media Player und die Hilfefunktion quer durch viele Systemprogramme bis hin zur eindeutigen Aufforderung, ein Passport-Konto zu eröffnen. Ohne Passport kein Internet? Ziemlich durchsichtig die Absicht, PC-Neulinge in die MSN-Community zu zwingen. Und ebenso offensichtlich der Versuch, mit Passport das Internet zu erobern.



Zweifellos wird Windows XP ein Erfolg. Die Marktmacht Microsofts wird's richten. Aber es wird dauern. Denn knapp daneben ist eben auch vorbei.




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