Editorial

Der Terror und das Netz

Im Ernstfall hat das Internet als Informationsmedium versagt, die klassischen Medien Radio und Fernsehen haben ihre Vorteile genutzt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/32

     

Die Lage in New York hat sich beruhigt, die Welt kann zur Tagesordnung übergehen. Jetzt ist es Zeit, an die Zukunft zu denken. Und aus der Vergangenheit zu lernen.



Blicken wir zurück: Im Ernstfall hat das Internet als Informationsmedium versagt. Erste, noch vage Berichte über das Desaster im World Trade Center waren zwar schnell verfügbar. Der Fortgang der Tragödie, die Abstürze Nummer zwei bis vier und der Einsturz der Türme, fand dagegen weitgehend unter Ausschluss der Netzöffentlichkeit statt.




Natürlich generierte die Katastrophe eine wahre Flut von Meldungen. Immer neue Meldungen und Gerüchte überboten sich gegenseitig an Aktualität, stets spektakulärere Bilder landeten auf den Servern, erste Kommentare analysierten schon früh das Geschehen. Flash-Animationen, Videostreams und Infografiken ergänzten laufend die schriftlichen Nachrichten.



Bloss - die Daten sind unsichtbar geblieben. Während Stunden war auf den einschlägigen News-Sites, den Webauftritten der amerikanischen, deutschen und schweizerischen Tageszeitungen und Wochenmagazinen kein Durchkommen. Die in aller Eile zugeschaltete Bandbreite, die abgespeckten, werbefreien Notseiten, die rasch zusammengetrommelten Mirrors - zu spät. Zwei, drei Stunden waren zuviel. Wer sich informieren wollte, wusste bereits Bescheid.



Die klassischen Medien Radio und Fernsehen haben ihre Vorteile genutzt. Das neue globale Informationsmedium Internet dagegen - immer mal wieder als Nachfolger und Ersatz für die klassischen Massenmedien bezeichnet - hat im Ernstfall nicht zu überzeugen vermocht.
Daraus gilt es nun Konsequenzen zu ziehen. So werden beispielsweise die Administratoren der grossen Newssites gut daran tun, im Hinblick auf den geplanten amerikanischen Feldzug ihre Kapazitäten hochzuschrauben. Die Netzöffentlichkeit wird es ihnen danken.



Konsequenzen hat der 11. September aber auch für das Internet, wie wir es kennen. Im Zuge der Anti-Terror-Kampagne, die Amerika mit Unterstützung sämtlicher seiner Verbündeten plant, wird sich auch das weltumspannende Netz verändern. Die Zeiten der freien, auch anonymen Kommunikation per Mail und Instant Messenger sind wohl vorbei. Im künftigen Internetprotokoll IPv6 sind die Authentifizierung und Identifizierung der Anwender bereits vorgesehen. Zu erwarten ist auch ein Verbot für die Chiffrierung von Nachrichten - die entsprechenden Exportbestimmungen der USA für Kryptographie-Programme und -algorithmen dürften wieder restriktiver werden; Software, die keine Hintertüren für die Geheimdienste offen lässt, hat wohl keine Chancen mehr.



Derzeit ist das FBI damit beschäftigt, sein umstrittenes Mail-Überwachungssystem "Carnivore" bei allen möglichen Providern zu installieren, und der amerikanische Kongress sinniert derweil über Gesetze, um die flächendeckenden Abhöraktionen mit "Carnivore" und "Echelon" zu legalisieren.



Die klassischen Debatten über Sicherheit, Freiheit und Privatsphäre sind in den USA neu entbrannt. Noch wagt es allerdings kaum einer, allzu laut zu protestieren - zu schnell wird man in Amerika zum Staatsfeind Nummer Eins.




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