Virtualisierung auf dem Desktop
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/12
Auf dem Server bringt Virtualisierung einen wesentlichen Vorteil: Die meist teure Hardware wird besser ausgelastet, und als positiver Nebeneffekt sinkt auch der Administrationsaufwand.
Auf dem Desktop wird aus anderen Gründen virtualisiert. Hier stehen beispielsweise Anwendungstests, die Software-Entwicklung und das Debugging im Vordergrund. Weitere praktische Anwendungsmöglichkeiten von Virtualisierungstechnologien sind Schulungen und der Einsatz am Helpdesk.
Viele dieser Aufgaben lassen sich auch mit Hilfe anderer Ansätze – beispielsweise durch die Einrichtung von Multiboot-Systemen oder den Einsatz von Live-CDs – lösen. Virtualisierung bietet diesen Alternativen gegenüber aber gleich mehrere unschätzbare Vorteile:
einfachere Handhabung: Virtuelle Maschinen (VM) lassen sich einfach verwalten und benötigen einen wesentlich kleineren und weniger fehleranfälligen Konfigurationsaufwand als Multiboot-Systeme. Da virtuelle Maschinen auf dem Host-System wie Applikationen laufen, lässt sich einfach zwischen den einzelnen virtuellen Systemen und dem Host hin und her switchen.
schneller Wechsel: Weil virtuelle Maschinen quasi Anwendungen sind, geht auch die Arbeit damit viel schneller von der Hand. Einmal gebootet, erfordert der Wechsel von einer VM zur anderen bloss einen Mausklick und keinen langwierigen (Neu-)Startvorgang.
«saubere» Systeme: Virtuelle Maschinen lassen sich problemlos kopieren. Ist ein System erstmal aufgesetzt, lässt sich mit einer Kopie jederzeit auf diesen Ursprungszustand zurückkehren. Auch lassen sich auf diese Weise vorkonfigurierte Systeme schnell auf mehrere physische Rechner mit derselben Host-Applikation verteilen.
mehrere Betriebssysteme gleichzeitig: Mit virtuellen Maschinen ist es problemlos möglich, gleichzeitig auf demselben Host-System sowohl Windows- als auch Linux-Maschinen laufen zu lassen. Mit Multiboot-Systemen oder Live-CDs kann dagegen immer nur ein System pro physischem Rechner gebootet werden.
Dem stehen allerdings auch einige Nachteile gegenüber. So erreicht eine virtuelle Maschine beispielsweise nie die Performance, die mit der physischen Rechnerausstattung möglich wäre – schliesslich muss sie sich die Ressourcen mit dem Host-Betriebssystem teilen. Diese Ressourcen bilden denn auch gleichzeitig die Grenze dafür, wie viele Gast-Betriebssysteme überhaupt parallel gefahren werden können. Insbesondere hinsichtlich des Hauptspeichers werden hohe Anforderungen gestellt. Der Platzbedarf auf der Festplatte, den die virtuellen Harddisks benötigen, ist bei mehreren Gastsystemen auch nicht zu unterschätzen.
Aus der Liste der Vorteile, die virtuelle Maschinen anderen Möglichkeiten des Einsatzes unterschiedlicher Betriebssysteme gegenüber bieten, ergeben sich auch die verschiedenen Einsatzszenarien.
Software-Entwicklung und -Tests mit mehreren Betriebssystemen auf einem Rechner
Testmaschine für Updates und Anwendungen vor dem Einsatz auf Produktivsystemen
Legacy-Anwendungen können ohne Portierung weiterverwendet werden
sichere Surf-Maschine – wenn virenverseucht, wird die Kopie zurückgespielt
saubere Schulungsgeräte durch simples Zurückspielen des Ursprungszustands oder automatisches Rückgängigmachen von Änderungen beim Herunterfahren
schneller Helpdesk-Einsatz, da unterschiedlichste Konfigurationen und Betriebssysteme in «Bibliotheken» gespeichert werden können und schnell zur Verfügung stehen.
Derzeit buhlen im Desktop-Markt hauptsächlich zwei Hersteller von Virtualisierungssoftware um die Gunst der Kunden: Microsoft und Vmware. Letztere hat dabei den Vorteil, dass sie bereits seit 1999 Virtualisierungsprodukte anbietet, während Microsoft den Markt erst 2003 durch die Übernahme des ehemaligen VMware-Konkurrenten Connectix betreten hat.
Den höheren Entwicklungsstand, den VMware über die Jahre erreicht hat, merkt man auch den Produkten an. VMware Workstation 5.5, die in derselben Liga spielt wie Microsofts Virtual PC 2004, kennt mit der Unterstützung für USB-Geräte wie USB-Sticks, Drucker oder Scanner, der Erstellung von Snapshots und dem Support für 64-Bit-Betriebssysteme sowohl als Host als auch als Gast einige Tricks mehr als das Microsoft-Produkt. Abgesehen davon, bieten beide Anwendungen eine sehr ähnliche Funktionalität.
Einen wichtigen Unterschied gibt es aber, und der liegt in der Unterstützung für Host- und Gast-Betriebssystem. Während Virtual PC 2004 hier – wenig verwunderlich – nur mit Windows 2000 und XP läuft und sich auch bei den Gastsystemen auf Windows sowie die Exoten MS-DOS und OS/2 beschränkt, ist VMware Workstation sowohl in einer Version für Windows als auch in einer Variante für Linux erhältlich. Als Gast-Betriebssysteme unterstützt VMware Workstation neben Linux und Windows auch FreeBSD, Netware und Solaris. Dafür gibt es Microsofts Virtual PC erstaunlicherweise auch in einer Variante für den Mac – aus historischen Gründen: Connectix hatte ursprünglich einen PC-Emulator für Mac entwickelt und ist erst später auf den Virtualisierungszug und PC-Produkte umgestiegen.
Kleinere Unterschiede gibt es auch in der Handhabung der beiden Applikationen. So bietet VMware Workstation ein Tabbed Interface – alle virtuellen Maschinen laufen in einem Fenster und sind über die Tabs erreichbar. Über einen eigenen Tab und das Menü stehen Optionen zur Konfiguration der Anwendung und der VMs zur Verfügung. Microsofts Virtual PC bietet statt dessen eine Konsole, über die die VMs gestartet und konfiguriert werden können.
Was die Performance angeht, scheint VMware Workstation 5.5 auf demselben Host-System die Nase leicht vorne zu haben. Auf dem System mit einem P4 3 GHz und 1 GB RAM lassen allerdings beide Virtualisierungsanwendungen beim Betrieb von Windows XP SP2 in einer einzigen laufenden VM hinsichtlich der Geschwindigkeit bereits zu wünschen übrig. Zwei gleichzeitig laufende Gastsysteme stellen die Geduld des Anwenders dagegen schon arg auf die Probe – insbesondere, weil dabei auch die anderen Anwendungen auf dem Host-System deutlich ausgebremst werden.
Virtual PC 2004 vs. Vmware Workstation 5.5
Während sowohl Microsoft als auch Vmware ihre Server-Virtualisierungs-Anwendungen mittlerweile kostenlos abgeben, bleiben die PC-Versionen weiterhin kommerzielle Produkte. Allerdings hat VMware auch in diesem Bereich eine kostenlose Alternative – den VMware Player, mit dem zwar vorkonfigurierte virtuelle Maschinen benutzt, aber keine neuen VMs erstellt werden können. Eine beachtliche Auswahl von derart vorbereiteten virtuellen Maschinen zu unterschiedlichsten Zwecken und mit verschiedenen Betriebssystemen findet sich auf der VMware-Website.
Einen interessanten Ansatz verfolgt Altiris mit seiner Software Virtualization Solution (SVS). Mit dem Tool wird nicht eine virtuelle Maschine erstellt, sondern eine Applikation als solche virtualisiert. Wird eine Anwendung über die SVS installiert, fängt diese jeden Installationsschritt ab und füllt eine Log-Datei mit den Änderungen, die während der Installation an Dateien und Registry-Einträgen gemacht würden. Aus diesen Informationen und der installierten Anwendung erstellt SVS ein sogenanntes Virtual Software Package (VSP). Dabei handelt es sich um ein Paket, das eine lauffähige Version der virtuell installierten Software enthält und das beliebig auf weitere Rechner verteilt werden kann. Für den Anwender macht es keinen Unterschied, ob er mit einer fest installierten Anwendung arbeitet oder mit einem VSP.
Die Altiris-Software bildet ein virtuelles Dateisystem. Anfragen der Anwendung werden gefiltert und je nach Fall an das echte Betriebssystem durchgelassen oder im virtuellen Dateisystem ausgeführt. Allfällige Fehler können dadurch wirkungsvoll abgefangen werden.
SVS eignet sich damit beispielsweise für ungefährliche Software-Tests auf Live-Systemen, erleichtert aber auch das Anwendungsmanagement und verhindert Software-Konflikte.
Während Linux und BSD sich bereits seit Jahren ohne Probleme auf dem Mac installieren und benutzen lassen (im Dual-Boot oder als alleiniges System), musste man für Windows bis anhin auf die Virtualisierungslösung Virtual PC von Microsoft setzen. Da die x86-Befehle von Windows auf die PowerPC-Plattform übersetzt werden mussten, liess sich mit dem virtualisierten Windows nur begrenzt arbeiten, da die Leistung bestenfalls für Office-Applikationen und rudimentäre Grafik-Arbeiten ausreichte. Mit dem Wechsel auf die Intel-Plattform hat sich die Situation deutlich verbessert. Dank Boot Camp lässt sich Windows XP SP2 im Dual-Boot installieren und läuft entsprechend mit voller Geschwindigkeit, sodass es sogar zum Spielen taugt (siehe Test in InfoWeek 08/06). Und auch die Geschwindigkeit von Virtualisierungslösungen ist dank der in den Intel-Prozessoren integrierten Virtualisierungsfunktionen («Vanderpool») deutlich angestiegen, sodass sich Windows ohne allzu grosse Geschwindigkeitseinbussen nutzen lässt. Die erste Virtualisierungssoftware für Intel-Macs, die «Vanderpool» ausnutzt, ist Parallels Desktop for Mac, das momentan als Release Candidate vorliegt. Microsoft Virtual PC soll 2007 folgen, und auch über eine VMWare-Version für MacOS X wird bereits spekuliert.