Überwachung macht alle zu Verbrechern
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/20
Der Big Brother Award kämpft gegen den wuchernden Überwachungsstaat und für unsere individuelle Freiheit (Seite 11). Eine hehre Aufgabe, aber wahrscheinlich eine sinnlose. Kontrolle und Überwachung sind Zeitgeist, wie Jean Pierre Cuoni von der EFG Bank im Zusammenhang mit der Regulierungsflut leicht resigniert am Zürcher Finance Forum konstatierte (Seite 8). Er trifft damit den Kern. Das Datensammeln und Überwachen sind nicht nur eine Manie von Staatsschützern, auch jeder Manager tut das gleiche. Er will so viele Daten wie möglich, um sein Unternehmen so effizient wie möglich steuern zu können, und das ist nichts als normal.
Wie wäre es, wenn wir die Überwachung und das umfassende
Datensammeln mit wenigen zentralen Einschränkungen als gegeben hinnehmen und damit umgehen lernen würden, statt alle Energie in
eine Regulierung zu stecken, die sich zwangsläufig immer komplexer auftürmt und so am Ende kaum mehr effizient den Missbrauch
verhindern können wird?
Unsere Verkehrspolitik würde von GPS- und Sensor-gestützten
Fahrtenschreibern enorm profitieren. Parallel zu den detaillierten
Fahrbewegungen würde aber natürlich auch jede Übertretung registriert. Ähnliches zeichnet sich im Bereich der Videoüberwachung des öffentlichen Raums ab. In der Londoner Innenstadt kann eine Person schon heute ohne Unterbruch verfolgt werden, und bald wird es Software geben, die in diesen Bildern jeden noch so kleinen Gesetzesbruch sichtbar macht. Mit anderen Worten: Die totale Überwachung überführt über kurz oder lang jeden von uns als Gesetzesbrecher.
Wie wäre es, wenn wir darum unser Verhältnis zu Gesetzen und Übertretungen ganz grundsätzlich überdenken würden, zumal die Sanktionen ja sowieso weitgehend willkürlich festgelegt sind? Jeder erhält zum Beispiel ein jährliches Übertretungskonto. Wer es nicht ausnutzt, kann Steuern sparen. Nur wer es überstrapaziert, muss mit Strafen rechnen.
Eine verrückte Idee vielleicht.