Schwieriges Sprachqualitäts-Monitoring
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/01
Die VoIP-Implementation bei der Krankenversicherung CSS gilt als eine der am stärksten verteilten Installationen in Europa. Rund 250 über die ganze Schweiz verstreute Aussenstellen wurden dabei in einer zentralen Installation zusammengefasst. Das CSS-Projekt zeigt darum auch explizit die Punkte auf, denen bei der Einführung der Internettelefonie in einem Unternehmen besondere Beachtung geschenkt werden muss (siehe Kasten). InfoWeek hat das Projekt von Beginn weg durch die verschiedenen Phasen (Evaluation und Planung, Betatest und Rollout) begleitet. Jetzt haben die beiden Projektleiter Urs Häsler (CSS intern: Planung, Evaluation und Betatest) und Simon Lüthi (externer Berater: Rollout) das Endabnahmeprotokoll als teilweise erfüllt unterzeichnet. Grund für nicht vollständige Zufriedenheit sind bis anhin noch nicht gelöste Probleme mit der Sprachqualität und vor allem mit deren Messung.
Das Fazit der Projektverantwortlichen ist über das Ganze gesehen positiv, denn fast alle Punkte konnten bei der Endabnahme zusammen mit der federführenden Swisscom Enterprise Solutions als erfüllt abgehakt werden. Dazu gehören der Netzwerkausbau, die Korrektheit und Redundanz der Installation, die Konfiguration und Dokumentation des Systems sowie die Definition der Reparaturprozesse. Vier kleinere Features, die als nicht betriebsbehindernd taxiert werden, sind derzeit noch als Feature-Requests beim Hersteller Cisco hängig. Diese betreffen die direkte Übernahme eines Anrufs auf einen Sammelanschluss, die derzeit mit einem Workaround bewerkstelligt wird, die Anrufverteilung auf dem Sammelanschluss, die Tatsache, dass ein Anruf auf der Abwesenheitsliste bleibt, auch wenn er von einem anderen Mitarbeiter übernommen wurde, sowie die störende Möglichkeit, dass ein Telefon läuten kann, das bereits durch ein Gespräch besetzt ist.
Als zwar explizit nicht betriebsverhindernd, aber doch betriebsbehindernd wird von den Auftraggebern demgegenüber nach wie vor die Sprachqualität beurteilt. In einer kurz nach dem Rollout durchgeführten Umfrage bewertete ein relativ grosser Teil der Anwender die Sprachqualität als eher schlecht bis schlecht. In der Zwischenzeit sollte sich dieser Wert aber markant verbessert haben, weil einzelne Bandbreiten angepasst wurden. Zudem wurde auch eine fixe Limite der maximal möglichen Gespräche bei einer bestimmten zur Verfügung stehenden Bandbreite eingeführt. Mit dieser Bandbreitenparametrierung wurden einige «ohrenfällige» Qualitätsmängel behoben.
Trotzdem ist der gegenwärtige Zustand für die Verantwortlichen unbefriedigend. Sie wünschen sich anstelle der subjektiven Anwenderbefragung eine objektive Messung der Sprachqualität anhand von definierten Parametern. Nur so lassen sich die einzelnen Problempunkte gezielt eruieren und beheben. Bei einer Befragung kommen demgegenüber immer auch grundsätzlich vorhandene Klangbildunterschiede zur herkömmlichen Telefonie zum Tragen, die mehr eine Gewöhnungssache denn ein eigentliches Qualitätsproblem darstellen. Ein erster Messversuch im CSS-VoIP-Netz durch den Rotkreuzer Messtechnikspezialisten Emitec führte aber zu keinen verwertbaren Daten, da die Messgeräte die Signalisation der jüngsten Version von Ciscos-Software nicht verstanden. Im kommenden März sind darum Punkt-zu-Punkt-Messungen geplant, bei denen die Veränderungen von standardisierten Tonfiles gemessen werden (siehe Kasten).
Häsler und Lüthi ziehen trotz der nicht befriedigenden Sprachqualitäts-Situation für das Gesamtprojekt ein sehr positives Fazit. Man sei als «Early Adopter» durch eine steile Lernkurve gegangen, an deren Ende eine zukunftsträchtige VoIP-Installation stehe, wie Urs Häsler zusammenfasst. So seien die künftig anfallenden Unterhaltskosten tiefer, das System flexibler, das Potential einer verstärkten Integration von Sprache und Daten wesentlich grösser und man habe sozusagen als Abfallprodukt ein viel besseres Datennetz erhalten. Zudem sind mit der VoIP-Variante in einem Folgeprojekt standortübergreifende Callcenter möglich. Zusatzaufwand ortet Häsler derzeit noch bei der Formulierung der SLAs (Service Level Agreement). Die CSS favorisiert eine Service-Sicht, die allerdings schwierig in Indikatoren zu fassen ist. Welches sind die relevanten Faktoren, was soll gemessen werden und wie verteilen sich im Schadensfall die Verantwortlichkeiten und damit die finanziellen Ansprüche zwischen Swisscom und CSS, lauten die noch nicht abschliessend geklärten Fragen.
Unsicher sind sich sowohl Lüthi als auch Häsler, ob eine aktivere Kommunikation des VoIP-Projektes innerhalb der CSS geholfen hätte, die Akzeptanz zu verbessern. Die Kommunikationsabteilung der CSS hatte sich bewusst für Zurückhaltung entschieden, um nicht unnötig Staub aufzuwirbeln. Die Projektleiter hätten rückblickend gerne mehr interne Werbung für die VoIP-Umstellung gemacht. Dies sei allerdings auch ein wenig die selbstsüchtige Sicht jedes Projektleiters, gibt Häsler selbstkritisch zu bedenken. Vielleicht wäre aber mit einer offensiveren Kommunikation auch die subjektive Sprachqualitätsbewertung besser ausgefallen, als wenn die Endanwender wie im konkreten Fall praktisch erst durch den Installateur von der ablaufenden Umstellung erfahren hätten.
Frühzeitige Einbindung der Endanwender, um die Anforderungen zu erfassen und die Akzeptanz zu erhöhen
Saubere und ausführliche Definition der Anforderungen aus der Sicht des Unternehmens und unter Einbezug eines neutralen Beraters
Genügend Zeit für einen ausführlichen Beta-Test einplanen
Den Fokus immer auf den Kunden (Endanwender) richten
Sprachqualität im Auge behalten und Testbarkeit sicherstellen
Bei zentralisierten, verteilten Installationen muss im Besonderen das Notrufnummern-Routing geklärt werden
Sich klar werden, wie die interne Kommunikation geführt werden soll, um eine möglichst grosse Akzeptanz zu erreichen
Projekthauptverantwortung intern tragen und nicht an einen Lieferanten abgeben
Die Sprachqualität eines Telefongesprächs ist eine subjektive Grösse. Sie setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen wie der Servicequalität (Bandbreite, Performance, QoS), die der Provider anbietet, der technischen Tonqualität, die zum Beispiel durch die verwendeten Kompressionsalgorithmen bestimmt wird, und der allgemeinen Konversationsqualität, wenn beispielsweise ein Echo das Gespräch stört. Für den Endnutzer sind diese übergeordneten Komponenten oft nicht unterscheidbar. Ihn stören äusserliche Merkmale wie unklare Signale, End-zu-End-Verzögerungen und Echo-Effekte, die ihre Ursache auf verschiedenen Ebenen haben können. So kann die Gesprächsklarheit von der Anzahl der nicht rechtzeitig angekommenen Pakete und damit von der Servicequalität abhängen, von Gateway-Komponenten wie dem Sprachcodec oder auch von der Qualität des verwendeten Telefons selber.
Laut Armin Diethelm, Geschäftsführer des Rotkreuzer Messtechnikspezialisten Emitec, muss bei VoIP im Vergleich zur herkömmlichen Telefonie grundsätzlich mit einer leicht verminderten Sprachqualität gerechnet werden. Dies liegt zum einen wie beim Mobilfunk an den verwendeten Kompressionsverfahren, und zum anderen daran, dass IP nicht für Echtzeit-Anwendungen konzipiert wurde. So sei eine wirkliche Quality of Service heute noch nicht garantierbar, weil die Pakete nicht vorausschauend einen Stau umgehen können, wie Diethelm ausführt. Sie kann aber durch homogene, herstellerspezifische Lösungen zum Teil erreicht werden. Hier könnte das bereits fertiggestellte, aber bei uns voraussichtlich erst in einigen Jahren kommende Protokoll IPv6 Abhilfe schaffen, das QoS bis zum Endandwender möglich macht. Den Hauptproblempunkt ortet der Messspezialist Diethelm derzeit nicht mehr in der ungenügenden Bandbreite, sondern beim Feintuning des Gateways an der Schnittstelle zwischen herkömmlicher Telefonie und VoIP.
Emitec, das derzeit einzige Schweizer Unternehmen, das VoIP-Sprachqualitätsmessungen End-to-End vornehmen kann, versucht auch bei der CSS den immer noch bestehenden Problemen auf die Spur zu kommen. Die wesentlichste Herausforderung für die Messung ist in diesem Fall die proprietäre Signalisation von Cisco. Die zur Verfügung stehenden Messgeräte verstehen die jüngste Version 4.0 von Ciscos Skinny Call Control Protocol (SCCP) noch nicht. Dadurch kann nicht im Netzwerk gemessen werden, sondern es müssen einzelne End-to-End-Messungen an den Telefonen durchgeführt werden. Dabei werden mittels normierter WAV-Files telefonierende Anwender simuliert. Der Vergleich der Inputfiles und der mit einem Höralgorithmus hinterlegten Outputfiles ermöglicht dann eine indirekte Analyse.
Urs Häsler wird das VoIP-Projekt der CSS und die Lehren, die sich daraus ziehen lassen, am 25. Januar im Rahmen der Cisco Expo 2005 in Interlaken vorstellen. (www.ciscoexpo.ch)