Editorial

Vergoldete Links und E-Voting-Prestige


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/22

     

Eine bessere Linksammlung für 18 Millionen Franken. Kein Wunder hat der Kanton Zürich in Sachen Guichet virtuel die Notbremse gezogen und ist vom Luxuszug abgesprungen. Die aufgesplitteten Kostenpunkte (Seite 9) lassen erahnen wieso. Die Zahlen erinnern an die Zeiten des E-Hypes, als sich vom Internet überforderte Wirtschaftskapitäne Prestigeprojekte wie «You» der Bank Vontobel oder den Portalbau bei ABB aufschwatzen liessen.



Bei der zuständigen Bundeskanzlei ist derweil von Selbstkritik wenig zu spüren. Das Projekt grundsätzlich in Frage zu stellen, kommt schon gar nicht in Frage. Statt dessen wird Zürich als unsolidarisch gebrandmarkt, dabei hat genau dieser Kanton in den letzten Jahren in Sachen E-Government die Führungsrolle eingenommen, die eigentlich der Bund ausfüllen müsste.




Aber der Bundeskanzlei scheint es sowieso weniger um Fortschritte bei der digitalen Effektivitätssteigerung der Verwaltung zu gehen, als um Prestigeprojekte, die internationale Medienpräsenz versprechen. So koordiniert die Kanzlei auch fleissig «erfolgreiche» E-Voting-Versuche. Erfolg definiert sich dabei allein darüber, dass die Systeme überhaupt funktionieren. Ob das Ganze Sinn macht, interessiert nur am Rande. Die meisten nicht direkt beteiligten E-Government-Fachleute schütteln derweil nur noch den Kopf, wenn E-Voting zur Sprache kommt.



Auf dem E-Voting-Luxuszug fahren auch die Zürcher immer noch mit. Und auch der jüngste Versuch einer SMS-Wahl an der Universität Zürich (Seite 10) wird sicher als Erfolg gefeiert werden: Die Stimmbeteiligung ist gestiegen, und bei richtigen Wahlen liessen sich die Portokosten für die Briefabstimmenden sparen.



Da erscheint es irrelevant, dass die versprochene Aufwandersparnis für Stimmbürger an einem durchschnittlich komplexen Abstimmungswochenende ein negatives Vorzeichen erhalten wird. Ganz zu schweigen von den staatspolitischen Fragen, die elektronische Abstimmungsverfahren aufwerfen. Dabei haben die Vorkommnisse rund um die letzten beiden US-Präsidentenwahlen klar aufgezeigt, wie solche Systeme die Glaubwürdigkeit der Demokratie in Frage stellen können. Auch das scheint nicht wirklich ein Thema zu sein: Geht es nach den E-Voting-Befürwortern, soll künftig zwischen Video-Download und Flirt-MMS noch kurz das digitale
Abstimmungsspiel «eingetöggelt» werden.



Daniel Meierhans, Chefredaktor

dmeierhans@compress.ch




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