E-Government steht nicht auf der Agenda

Markus Lengacher, der Schweizer Public-Sector-Verantwortliche von Microsoft, fordert von den Politikern mehr Initiative.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/14

     

InfoWeek: Was hat dazu geführt, dass Microsoft eine eigene Abteilung für den Public Sector gegründet hat?

Markus Lengacher: Verwaltung, die öffentliche Hand und der Bildungsbereich haben unterschiedliche Anforderungen im Vergleich mit der Privatwirtschaft. Es gibt andere Entscheidungszyklen, andere Entscheidungsverfahren. Zudem können wir als Firma mit der öffentlichen Hand Partnerschaften eingehen.






Wie gross war der Einfluss der Tatsache, dass Microsoft gerade in diesem Bereich und vor allem in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit unter speziell grossem Linux-Druck steht?

Die Frage nach dem besten Kosten/Nutzenverhältnis beschäftigt Informatikverantwortliche sowohl im öffentlichen wie auch im kommerziellen Bereich. Hier besteht an sich kein Unterschied. Nur: Wenn eine Verwaltung auf OSS umstellt, ist das natürlich sehr medienwirksam. Zudem sind die politischen Gremien die Entscheidungsträger. Diese Gremien funktionieren nicht gleich wie ein Einkäufer einer privaten Unternehmung.




Ist das für Microsoft denn ein Problem, dass die Diskussion häufig auf einem politischen und gar nicht mehr auf einem Anwendungs-Niveau abläuft?


2003 war das sicher ein Thema. Heute sind wir aber eher wieder da, wo der Informatikdienst entscheidet, welche Strategie gewählt wird. Unter anderem auch dank der Empfehlung des Bundes, keine Präferenzen in die eine oder andere Richtung zu schaffen, sondern die Situation anzuschauen und dann aus einer Kosten/Nutzen-Sicht zu entscheiden, welches die richtige Lösung ist.




Auf welcher Basis wird denn diese Kosten/Nutzen-Überzeugungsarbeit geleistet? Langjährige Erfahrungswerte mit OSS im öffentlichen Bereich fehlen weitgehend.


Es ist richtig, dass Langzeitwerte weitgehend fehlen. Empfehlungen geben aber nicht wir ab, sondern die gängigen Analystenfirmen. Bei uns steht die Technologie und die Innovation im Vordergrund. Zudem spielen die Investitionen, die wir in Technologie und Innovationen stecken, für uns eine wichtige Rolle: Damit können wir aufzeigen, dass unsere Lösung einen längerfristigen Nutzen bringt. Bei der Frage, ob OSS günstiger ist oder nicht, versuchen auch die Informatikverantwortlichen beim ganzen politischen Druck darauf hinzuwirken, dass nicht nur die Beschaffungskosten berücksichtigt werden. Informatikdienste schauen die Situation auf eine längerfristige Perspektive hin an; Stichwort Gesamtkostenrechnung.




Die Wirtschaft nutzt OSS ganz klar auch, um einen gewissen Preisdruck auf Microsoft auszuüben. Ist das bei der öffentlichen Hand ähnlich, und gibt es Ansätze für ein spezielles Pricing für die öffentliche Hand und das Bildungswesen?


Bei Microsoft basiert die Preisgestaltung immer auf der Abnahmemenge, für die öffentliche Hand wie auch für die Privatwirtschaft.



Das heisst die Preise sind identisch?


Ja, einzig im Bildungsbereich gibt es Spezialkonditionen. In der Verwaltung ist der Partner seit mehreren Jahren die Schweizerische Informatikkonferenz. Alle drei Jahre, wenn die Verträge auslaufen, gibt es eine Arbeitsgruppe mit Vertretern der Kantone, und dort werden die Preisverhandlungen geführt.




Die Preise gelten dann für die ganze Schweiz als ein einziges Volumen?


Genau. Das hat zur Folge, dass eine Gemeinde wie Wallisellen zu den gleichen Konditionen einkaufen kann wie beispielsweise die Stadt Zürich.




Wie gross ist denn der Government-Umsatz am Gesamtumsatz von Microsoft Schweiz?


Ich kann Ihnen diese Frage insofern beantworten, dass der Government-Umsatz von Microsoft in etwa im Bereich der Einkaufskraft liegt, die die öffentliche Hand in der Volkswirtschaft ausmacht. Das entspricht rund 13 Prozent.




Inwiefern hat der paneuropäische Partner-Marketplace, der kürzlich lanciert wurde, Relevanz für die Schweiz?


Dieser Partner-Marketplace wird nun auch in der Schweiz eingeführt – voraussichtlich im vierten Quartal. Doch eigentlich sind wir bereits einen Schritt weiter. Ende März wurde in Partnerschaft mit dem Finanzdepartement ein Portal gebaut, das es erlaubt, Best Practices zu teilen. Wir versuchen, unsere rund 500 Partner nun dazu zu bewegen, ihre Projekte dort zu melden. Auf eVanti.ch kann man inzwischen bereits über 100 Fälle finden. So können föderalistische Hürden auf elektronischem Wege überbrückt werden.





Stichwort Föderalismus: Wo sieht Microsoft in der täglichen Arbeit die grössten Defizite punkto E-Government in der Schweiz?


E-Government steht vielerorts nicht auf der politischen Agenda; das ist sicher aus unserer Sicht ein Defizit. Andere Länder haben einen E-Government-Minister auf Bundesstufe. Das zweite Defizit ist der Budgetdruck. Jeder Dienst, der heute auf elektronischem Weg angeboten wird, muss auch auf Papier angeboten werden, man darf schliesslich keine Personengruppe ausgrenzen. Das ist auf den ersten Blick teuer. Es gibt aber Szenarien, bei denen der Return of Investment relativ gross ist. Ich denke da an das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich, wo heute Arbeitsbewilligungen auf elektronischem Weg ausgestellt werden können. Theoretisch kann innerhalb von drei Minuten eine Arbeitsbewilligung ausgestellt werden. Nicht nur Verwaltungen werden so entlastet, ein solcher Dienst kann auch wirtschaftlich ein Vorteil, ja sogar eine Förderung für den Wirtschaftstandort sein.





Sie sagen, E-Government stehe nicht auf der politischen Agenda. Könnte ein Grund dafür sein, dass unsere Regierung praktisch Informatikabstinent ist?


Diese Aussage hat sicher ihre Berechtigung, ja.




Wo liegen die spezifischen Anforderungen, die die Schweiz an Microsoft stellt?


In anderen Ländern kann ein Entscheid getroffen werden, der einen relativ grossen Anteil der Bürger betrifft. Die Konstellation mit Bund und Kantonen, in der jeder Kanton eigenständig ist, findet man in anderen Ländern weniger. Unser Föderalismus hat hier seinen Preis. Im Prinzip müssen wir eine Idee immer 26 Mal verkaufen. So ist es für uns nicht möglich, eine neue Initiative so schnell umzusetzen wie in einem anderen Land.




Wagen wir einen Blick in die Zukunft. Wo steht das Schweizer E-Government in fünf Jahren? Was muss sich ändern?


Ich denke, in den nächsten fünf Jahren müssen wir daran arbeiten, dass die Informations- und Kommunikationstechnologie als Chance und nicht als Übel gesehen wird, das nur kostet. Die Technologie kann man nicht aufhalten, auch in der Schweiz nicht. Die politischen Gremien rufe ich zur Mithilfe auf, die Schweiz auf die kommende Informationsgesellschaft vorzubereiten. Wenn die Chance nicht verpasst werden soll, müssen beispielsweise Informations- und Kommunikationstechnologien ein integraler Bestandteil im Bildungsbereich werden. Dies ist eine echte Chance für den Wirtschaftsstandort Schweiz, der primär im Dienstleistungsbereich angesiedelt ist. Wir können gestützt auf moderne Technologie einerseits einen Wettbewerbsvorteil schaffen und andererseits günstiger gewisse Dienstleistungen anbieten. Dazu ist aber Druck von politischer Seite nötig, damit die Rahmenbedingungen geschaffen und Impulsprogramme aufgegleist werden.




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