Gemischtes Beta-Testresultat mal zwei
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/13
Die Krankenkasse CSS hatte sich grundsätzlich für eine zentrale VoIP-Installation (Voice over IP) als Ersatz für den auslaufenden Centrex-Dienst von Swisscom entschieden. Als letzten Sicherheitsstopp vor der endgültigen Umstellung hatte Projektleiter Urs Häsler schon bei der Projektplanung einen Beta-Test eingeplant, anhand dessen sichergestellt werden soll, dass die Internet-Telefonie den Ansprüchen von CSS auch gerecht wird. Nachdem wir in einem ersten Bericht (IW11/2004) den Aufbau der Projektorganisation und die Entscheidungsfindung behandelt haben, widmet sich dieser zweite Artikel der Berichterstattung zur VoIP-Einführung bei der CSS nun der Planung und Auswertung des Beta-Tests sowie den Änderungen, die sich aus dem Test ergaben.
Eine kurze Rekapitulation: Der Versicherer CSS mit seinen schweizweit insgesamt 250 Standorten sah sich gezwungen, einen Ersatz für den Centrex-Dienst von Swisscom zu finden, da dieser per Ende 2004 abgeschaltet wird. Ein externer Berater hatte bis Ende 2003 in einer Vorevaluation in Richtung VoIP vorgespurt. Urs Häsler, der Mitte Januar 2004 eigentlich als Projektleiter Unternehmensentwicklung zur CSS stiess, zeigte spontanes Interesse für das Projekt, worauf ihm die Leitung übertragen wurde. Er machte sich an die Projektplanung und die Verankerung der Organisation in allen beteiligten Abteilungen. Nach ersten Tests führte er einen Geschäftsleitungsentscheid herbei, bei dem sich die CSS für eine zentrale VoIP-Lösung entschied. Bei der anschliessenden Lieferantenauswahl schwang das Team Swisscom Enterprise Solutions/Cisco oben aus. Parallel wurden das CSS-Netzwerk aufgerüstet und auch die Umstellung der Dokumente und Drucksachen in die Wege geleitet.
Als letzter grundsätzlicher Entscheidungspunkt, wie die Centrex-Ablösung weiterlaufen soll, stand Ende April ein Beta-Test an, anhand dessen ein Go/No-Go-Entscheid gefällt wurde.
Der Ausgang des Beta-Tests hat aber nicht nur Folgen für die Weiterführung des VoIP-Projekts, sondern entscheidet auch darüber, wer die bis zu diesem Zeitpunkt aufgelaufenen Kosten zu tragen hat. Im Vertrag war festgehalten worden, dass Swisscom/Cisco die Projektkosten bei einem negativen Testausgang vollumfänglich übernehmen müssen, sofern die CSS aussteigt. Entscheidet sich die CSS aber trotz einem positiven Testergebnis für einen Abbruch, muss die Versicherung die aufgelaufenen Kosten übernehmen. Für den Test wurde eine Agentur mit insgesamt 30 VoIP-Telefonen eingerichtet.
Weil Swisscom die Sprachqualität zwischen der VoIP-Installation und herkömmlichen Telefonen nicht über den Gateway messen kann, einigte man sich auf eine Kunden- und Mitarbeiterumfrage als zentrales Test-Messinstrument. Für den externen Teil wurden 218 Kunden, die aus dem VoIP-Netz heraus angerufen wurden, befragt. Sie mussten die Sprachqualität in einer dreistufigen Skala einordnen. Als schlecht wurde zum Vergleich eine Interkontinentalverbindung mit Echo und Hall herangezogen. Als akzeptabel wurde eine Qualität, die mit einem durchschnittlichen GSM-Gespräch vergleichbar ist, festgelegt. Gut wurde als normale Festnetzqualität bestimmt. Im weiteren einigten sich die beiden Parteien, dass die Grenze, damit der Test als bestanden gilt, bei 1 Prozent schlecht, 19 Prozent akzeptabel und 80 Prozent gut liegen soll. Für die Mitarbeiterbefragung wurden allen Beteiligten 12 Fragen zu den Themenbereichen Bedienung, Verfügbarkeit, Qualität, Funktionalität und Projektablauf gestellt. Zudem wurde auch die Einhaltung der SLS (Service Level Agreement) im LAN (Local Area Network) im Rahmen des Beta-Tests ausgewertet.
Der Beta-Test lief während 14 Tagen und führte zu einem gemischten Ergebnis. Während die Kunden die Sprachqualität mit 3 Prozent schlecht, 17 Prozent akzeptabel und 80 Prozent gut nur leicht unter der festgelegten Verteilung von 1 Prozent schlecht, 19 Prozent akzeptabel und 80 Prozent gut beurteilten, waren die Mitarbeiter weniger zufrieden, als dies in den Kriterien vorher verlangt worden war. Unter dem Strich waren nur zu 67 Prozent zufrieden oder taxierten das System als gut. Als Kriterium waren hier 90 Prozent gute oder zufriedene Bewertungen verlangt. Am meisten bemängelt wurden die schweren, unhandlichen Hörer, das Design der Apparate, Störungen durch die Installation wegen ungenügender Koordination, eine unzureichende Schulung, fehlende Unterlagen und Projektinformationen sowie zum Teil Sprachqualitätsprobleme mit Echo, Hall, Unterwassereffekten oder einer zu geringen Lautstärke.
Die Projektgruppe nahm aufgrund dieses grundsätzlich nicht bestandenen Tests die «Fallback-Variante» aus der Schublade. Es zeigte sich aber schnell, dass die dafür vorgesehene konventionelle Lösung in der kurzen noch verbleibenden Zeit nur mit einigen Abstrichen hätte in Betrieb gesetzt werden können. So wurde nach einer detaillierten Auswertung der Schwachpunkte des VoIP-Systems ein bedingter Go-Entscheid gefällt, indem nach einigen Verbesserungen ein zweiter Beta-Test innerhalb von 14 Tagen festgelegt wurde. Parallel dazu wurden die Möglichkeiten der konventionellen Ersatzlösung noch einmal im Detail evaluiert. Danach sollte definitiv entschieden werden.
Einige der durch die Mitarbeiter bemängelten Punkte waren auf die US-Ausrichtung der Cisco-Geräte zurückzuführen. Dazu zählte vor allem der schwere, rund geformte Hörer, mit dem das in der Schweiz verbreitete Telefonieren mit einem zwischen Schulter und Ohr eingeklemmten Hörer, damit zwei Hände frei sind, nicht möglich ist. Die Projektleitung entschied sich darum, für den zweiten Test Head-Sets einzusetzen.
Einige andere von den Mitarbeitern als negativ beurteilten Punkte hingen mit einer als nicht ausreichend empfundenen Kommunikation und Schulung zusammen. In diesem Bereich wurde von Seiten Projektleitung und Swisscom/Cisco das Engagement erhöht, in der Hoffnung, so Vorurteile abbauen zu können. So bedankten sich beispielsweise die beiden Lieferanten bei allen Testteilnehmern persönlich.
Zudem wurden für den zweiten Test auch zusätzliche Funktionen implementiert. Während im ersten Beta-Test erst 80 Prozent der für den Roll-out geplanten Funktionalitäten zur Verfügung gestanden hatten, waren für den zweiten Test mit der Möglichkeit, auch die Nummern von intern über eine PBX Anrufenden anzuzeigen, sogar eine Funktionalität operativ, die nach dem ursprünglichen Projektplan in der Einführungsphase noch nicht vorgesehen war.
Am 26. Mai hielt der Projektleitungsausschuss (PLA) die entscheidende Sitzung über die Weiterführung der Umstellung ab. Die Auswertung der Mitarbeiterbefragung zeigte, dass die nach dem ersten Test eingeleiteten Massnahmen das Ergebnis verschoben hatten. Statt nur 67 Prozent wie beim ersten Test empfanden jetzt 89 Prozent der Befragten das VoIP-System als gut. Andererseits ergab diesmal die Befragung von 79 Kunden ein negativeres Bild als beim ersten Mal. Nur noch 69 Prozent empfanden jetzt die Sprachqualität einer Festnetzverbindung ebenbürtig. 18 Prozent taxierten die Verbindung als akzeptabel, während ein Anteil von 13 Prozent sich mit jemandem aus Übersee am Telefon wähnte. Die Verschiebung der Resultate dürfte auch mit Änderungen in der Befragung zusammenhängen. So wurde der Mitarbeiterteil gekürzt, während die Kundenbefragung differenzierter durchgeführt wurde. Zudem wurde für die zweite Kundenbefragung eine wesentlich kleinere Stichprobe verwendet, was die statistische Relevanz erniedrigte.
Wieder hatte der Test also die gesetzten Kriterien nicht erfüllt. Die Projektleitung musste nun den Entscheid herbeiführen, ob das Projekt mit dem VoIP-Umstieg weiterfahren oder auf Plan B, die konventionelle Alternative, umsteigen sollte.
Die genauere Analyse zeigte aber einige grundlegende Mängel der konventionellen Möglichkeit. Zudem waren wegen des inzwischen eng gewordenen Zeitplans (das Projekt hatte zu diesem Zeitpunkt zwei Wochen Rückstand auf den schon von Beginn weg dichten Fahrplan) keine Verbesserungen mehr möglich. Auch wäre die Einhaltung der geplanten Freeze-Phase zwischen dem Abschluss des Roll-out und dem Abschalten des Centrex-Dienstes schwierig geworden. Funktional hätten zudem gewichtige Nachteile in Kauf genommen werden müssen. So wäre weder eine Namensanzeige noch eine zentrale Combox möglich gewesen, von einer zentralisierten Administration ganz zu schweigen. Schliesslich hätte in praktisch jeder Aussenstelle eine eigene PBX installiert werden müssen, wobei man bei Ein-Mitarbeiter-Agenturen aus Kostengründen auch auf eine Telefonzentrale verzichten hätte können.
Aus diesen Gründen entschieden sich der PLA trotz der nicht zur vollen Zufriedenheit verlaufenen Beta-Tests für eine Weiterführung der VoIP-Umstellung. Man wollte lieber den Spatz, den man schon in der Hand hielt, als die PBX-Taube auf dem Dach, wie Häsler erklärt.
Durch die Beta-Tests wurden auch einige Detail-Mängel der VoIP-Lösung aufgedeckt, die so noch vor dem Roll-out gezielt angegangen werden konnten. Dabei konnte das VoIP-System in einzelnen Fällen seine Stärken aufgrund der Software-basierten Virtualisierung von Funktionen und Zusammenarbeitsebenen ausspielen. So wollten die Anbieter nicht beantwortete Anrufe ursprünglich direkt an alle in einer bestimmten Agentur zusammengefassten Mitarbeiter gleichzeitig weiterleiten. Dies erschien den CSS-Verantwortlichen jedoch in einem Grossraumbüro nicht durchführbar, weil so zum Teil praktisch ununterbrochen alle Telefone geklingelt hätten. Schliesslich konnte man eine Softwarelösung finden, bei dem ein Anruf in einen Kreislauf von Mitarbeiter zu Mitarbeiter geschickt wird, bis er von jemandem angenommen wird. Auch das Problem der Notrufnummern, die grundsätzlich immer in die Notrufzentralen von Luzern, dem Standort der VoIP-Zentrale, führen, konnte durch einen zwischengeschalteten Swisscom-Dienst gelöst werden.
Die Anbindung der Meridian-PBX, die vorläufig nach wie vor am Zentralsitz der CSS und in den Call-Centern ihren Dienst tun werden, verlief besser als erwartet. So konnte beispielsweise für den zweiten Beta-Test nicht nur die Nummer eines über die PBX Anrufenden internen Mitarbeiters sichtbar gemacht werden, sondern auch sein Name.
Klar wurde durch die Tests auch, dass man jedes Telefon mit einem Head-Set anstelle des US-Hörers ausrüsten wird und dass man der Schulung und internen Projektkommunikation mehr Gewicht zumessen wird als ursprünglich vorgesehen.
Nach den Beta-Tests hatten sich also einige bis dahin noch hängige Punkte geklärt. Andere Entscheidungen blieben weiterhin hängig. Zu den geklärten Punkten gehören der Besitz von VoIP-Hardware und Applikationen im Hinblick auf Betrieb und Unterhalt. Der PLA entschied, die Hardware unter die Obhut der IT-Abteilung zu geben, während die Applikationen dem Liegenschaftenunterhalt unterstellt werden.
Schon früh hatte sich gezeigt, dass eine Lotus-Notes-Einbindung problemlos machbar ist. Dies ist ein wichtiger Punkt im Hinblick auf eine mögliche künftige Vernetzung von VoIP und E-Mail. Im weiteren wurde entschieden, für den Fall von Störungen der Computer-basierten VoIP-Systeme in jeder Agentur einen Analoganschlusss für ein Notfalltelefon beizubehalten, damit die Erreichbarkeit immer gewährleistet bleibt. Dem Wunsch nach einer persönlichen Voice-Box zusätzlich zur jeweiligen Agentur-Box kann hingegen zumindest in einer ersten Phase nicht entsprochen werden, weil die Einführung vor allem aus Schulungssicht zu komplex geworden wäre.
Noch nicht abschliessend geklärt wurde die Frage, wie mit der Faxfunktionalität bei Standorten, die bisher über einen Fax und eine PBX verfügen, künftig umgegangen wird. Hier bleibt die PBX beim Umleiten der Anrufe auf VoIP in Betrieb, damit der Fax wie bis anhin weiter funktioniert. Eingehende Gespräche werden dann von der PBX zurück ans Amt geleitet. Dies hätte ohne zusätzliche Massnahmen eine doppelte Belegung der Leitung zur Folge. Als Varianten stehen das Abstellen der PBX dank einem Fax-Relay, das eine Fax-Nummer automatisch erkennt und die Daten entsprechend behandelt, oder das in Kauf nehmen einer Verminderung der gleichzeitig möglichen Gespräche wegen der Doppelbelegung zur Diskussion.
Im Verlauf des Beta-Tests entschied sich die CSS-Geschäftsleitung, Urs Häsler von der Centrex-Ablösung abzuziehen und ihn die Aufgaben anpacken zu lassen, für die er eigentlich angestellt worden war. Häsler soll sich jetzt der Prozesslandschaft der CSS annehmen. Für die letzten Phasen der VoIP-Einführung vom Roll-out über die Abnahme bis zur Projekt-Analyse wurde darum ein neuer Projektleiter gesucht.
Serie: VoIP-Einführung bei der CSS