Patente gefährden Open Source

Beim Kampf gegen die Softwarepatente steht die Community allein.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/10

     

Die Softwarepatente in der EU sollen nun doch kommen, und zwar ohne jegliche Abschwächung, was US-amerikanische Verhältnisse im alten Europa bedeuten würde. Entsprechend gross ist die Aufregung in der Open-Source-Community und in den Reihen des Europaparlaments, über dessen Entscheidungen sich der EU-Rat in Brüssel hinwegsetzen will. Dass die Lage ernst ist, zeigt auch der Besuch Free-Software-Foundation-Gründers Richard Stallmann an den Aktionswochen in Prag.


Negative Entwicklung

Im September 2003 war die Welt noch in Ordnung: Unter der Federführung der Foundation for a Free Information Infrastructure (FFII) und der Eurolinux-Allianz konnte die nach US-amerikanischem Vorbild entworfene Richtlinie für Softwarepatente soweit aufgeweicht werden, dass eine grenzenlose Patentierbarkeit von Algorithmen und Geschäftsmethoden nicht mehr möglich sein sollte. Auch Schutzansprüche auf in Computer geladene Programme sollte es demnach nicht geben.




Nachdem die EU-Kommission den Entscheid des EU-Parlaments bereits heftig kritisiert hatte, weil dieser das Patentwesen in EU komplett umkrempeln würde – das Europäische Patentamt hat bereits unzählige Softwarepatente erteilt –, hat der Rat der Europäischen Union in der ersten Mai-Woche sämtliche Änderungen des Parlaments verworfen und den über zwei Jahre alten Entwurf zur Softwarepatent-Richtlinie zu Gunsten der Patentlobby ausgebaut. So werden unter anderem die sogenannten Programmansprüche erlaubt. Diese ermöglichen es den Patenthaltern, gegen die Speicherung oder den Vertrieb ihrer geschützten Software vorzugehen. Die FFII befürchtet nun, dass das freie Publizieren von Software kaum noch möglich sein wird. Denn nach Ansicht des Vereins würde diese Klausel Rechteinhabern ähnlich scharfe Mittel zum Vorgehen gegen Software und Netzprovider in die Hand geben, wie dies bei Kinderpornographie bereits der Fall ist. Auch die Erlaubnis zum Re-Engineering patentgeschützter Programme (Interoperabilitätsklausel), welche die Zementierung technischer Standards, beispielsweise seitens Microsoft, entgegenwirken sollte, wurde gestrichen. Allerdings ist letztere Entscheidung noch nicht definitiv, weil es zu Kollisionen mit dem Wettbewerbsrecht kommen könnte. Denn ohne Lizenzzahlungen zu entrichten, ist es dann nicht möglich, Zugang zu den Schnittstellen zu erhalten, womit Konkurrenten ohne das nötige Kleingeld vom Wettbewerb ausgeschlossen wären.




Links zum Thema Softwarepatente


Gefahr für Open Source

Nach dem Willen des EU-Ministerrats können sogar Ideen geschützt und nicht nur Verfahren mit technischem Bezug, sondern auch deren Ergebnis patentiert werden. Somit wären auch alternative Lösungswege zu einem geschützten Ergebnis von einem derartigen Patent bedroht.




Dies heisst, dass weder Software, die auf Re-Engineering basiert (beispielsweise der Fileserver Samba), noch irgendein anderes Programm, das eine ähnliche Aufgabe ausführt, programmiert und vertrieben werden darf, ohne dass Lizenzkosten an den Patenteigner entrichtet werden. Was dies für die Open-Source-Software bedeuten würde, kann man erahnen, wenn man sich die Beispiele im "Gruselkabinett der Europäischen Softwarepatente" (Link siehe Kasten) zu Gemüte führt: OggVorbis, ein freier Audio-Codec, fällt dem MP3-Grundlagenpatent zum Schutz von Methoden zur Kompression akkustischer Daten zum Opfer. Der Apache-Webserver verstösst gegen das Patent für dynamisch erweiterbare Webserver. Open-Source-Aktivist Bruce Perens bringt das Problem für die Programmier von Open-Source-Software auf den Punkt: «Softwarepatente können fatale Auswirkungen auf Open-Source-Software in den USA und Europa haben. Weil wir keine Lizenzkosten für die Distribution unserer Software verlangen, haben wir kein Geld, um Lizenzkosten an die Patenthalter zu bezahlen.»





Augenfällig sind auch die Auswirkungen durch Softwarepatente, welche in Industrie-Standards integriert sind. Ein Beispiel dafür ist IEEE 1394, besser bekannt als Firewire. Die Firewire-Spezifikation basiert auf einer Reihe von Softwarepatenten, und ohne Anwendung der Methoden, welche in diesen Patenten spezifiziert sind, ist ein Ansprechen von Firewire legal nicht möglich. So kann es mit der Zeit passieren, dass Linux zu einer Kommunikationsinsel wird.


Keine Hilfe von IBM oder HP

Bruce Perens, der unter anderem die Open-Source-Definition verfasst hat, warnt auch davor, dass die Open-Source-Community Hilfe von Unternehmen wie IBM oder HP erwartet, welche eigentlich zu ihren Freunden zählen. Dies, weil Softwarepatente im Interesse dieser Firmen seien, da sie mit deren Hilfe eine Monopolstellung in ihren Aufgabenbereichen erlangen können. So beantragt IBM fast jeden Tag ein Softwarepatent. Auch sei nicht zu erwarten, dass Open-Source-freundliche Firmen gegen ihre eigenen Business-Partner antreten würden, um ein Open-Source-Projekt oder einen einzelnen Entwickler zu schützen, so Perens. Ein Beispiel ist HP, die im letzten Jahr einen «Nicht-Angriffspakt»mit Microsoft unterzeichnet hat.





Dass die Klageangst nicht unbegründet ist, zeigen die Pläne von Microsoft aus dem Jahr 2002, Open-Source-Projekte wegen Patentverletzungen zu verklagen. Bisher ist nichts passiert, doch Perens vermutet, dass Microsoft nur noch auf die Entscheidung aus Brüssel wartet, um loszuschlagen. Und Microsoft steht keinesfalls allein in den Startblöcken.


Ungewisse Zukunft

Zwar nimmt die Community die Bedrohung ernst, doch ist der Support für die Foundation for a Free Information Infrastructure und die Eurolinux-Initiative noch verhalten. Bei der Demonstration in Brüssel in der ersten Maiwoche waren gerade einmal 400 Personen anwesend. Entsprechend hat die FFII Aktionswochen für den Mai ausgerufen und veranstaltet mehrere Informationsveranstaltungen in ganz Europa, zu denen auch Free-Software-Foundation-Gründer Richard Stallmann erwartet wird.
Es wird erwartet, dass die jetzt vorliegende verschärfte Patentrichtlinie am 17. Mai vom EU-Ministerrat verabschiedet wird. Nach den Europawahlen im Herbst hat noch einmal das EU-Parlament das Wort, das dann in der zweiten Lesung zur Softwarepatentrichtlinie über die genaue Ausgestaltung des Gesetzes zu befinden hat. Die Aktivisten hoffen, dass sich bezüglich Aufweichung der Patentrichtlinie dann doch noch etwas tut, was aber hauptsächlich von den Wahlergebnissen bei den Europawahlen abhängen dürfte.


Hintergrund

Seit 1975 gilt in Europa das «Münchner Übereinkommen», welches die Patentierung von Logik (Mathematik, Musik…) ausschliesst. Denn traditionelle Patente beziehen sich auf materielle Erfindungen, Software-Patente hingegen auf Ideen.
Bisher ist Software in Europa alleine durch das Urheberrecht geschützt. Dieses schützt den konkreten Programmcode, aber nicht die Idee, die hinter der Software steckt, und auch nicht die Verfahren, die innerhalb der Software angewendet werden. Entsprechend ist es möglich, dieselbe Idee auf eine andere Weise umzusetzen, ohne gegen das Urheberrecht zu verstossen oder Lizenzgebühren für ein Patent zahlen zu müssen.
Dass bisher laut Schätzungen der FFII bereits über 30'000 Softwarepatente vom Europäischen Patentamt akzeptiert wurden, liegt daran, dass dieses vor einigen Jahren beschlossen hat, das «Münchner Übereinkommen» neu zu interpretieren, ohne die eigentlich nötigen Änderungen der gesetzlichen Grundlagen abzuwarten.
Seit 2002 brüten die EU-Gremien über einem neuen Gesetzesentwurf, der an die Vergabepraxis des Europäischen Patentamts angeglichen werden soll. Dieser umfasst die Patentierbarkeit
von Computerprogrammen, Datenstrukturen und Prozessbeschreibungen, wie dies bereits in den USA
Praxis ist.




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