Editorial

Schöne heile Mobilwelt

Chefredaktor René Dubach über die moderne Kommunikationsgesellschaft

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/07

     

Fühlen Sie sich auch immer ertappt, wenn Sie an einem Kongress oder in einem edlen Restaurant sitzen und aus irgend einer Ecke meldet sich plötzlich ein Handy? Obwohl ich eigentlich sicher bin, dass mein Gerät ausser Betrieb ist, prüfe ich doch jedes Mal ab, ob ich mich nicht doch täusche, und fühle mich dann stets erleichtert, wenn ein anderer sich als Störenfried erwiesen hat.



Was wir in den letzten vier Jahren in Sachen Handy-Hype erlebt haben, ist erst die Spitze des Eisbergs. Wenn es nach dem Willen der einschlägigen Hersteller geht, werden wir - und damit ist wirklich jedermann gemeint - schon bald über omnipotente Begleiter verfügen, die neben der Telefonie auch breitbandigen Internetzugang, Zugriff auf sämtliche Unternehmensdaten sowie jede nur erdenkliche Unterstützung für Multimedia-Files wie MP3-Dateien oder Videos bieten - Smartphones heisst das Zauberwort.




Letzte Woche ging in Cannes der 3GSM World Congress über die Bühne, an dem sich die Protagonisten um möglichst viel Unterstützung für die jeweiligen Plattformen bemühten, welche die genannten Dienste und Funktionen überhaupt erst möglich machen. InfoWeek berichtet darüber in dieser Ausgabe.


Kommunikation, die keine ist

Noch vor einigen Jahren beschäftigte man sich in Zug oder Tram mit dem Lesen von Zeitschriften oder Büchern. Heute dagegen dudelt jeder Zweite auf seinem Handy herum, was mich ehrlich gesagt extrem nervt. Das sei eben die moderne Kommunikationsgesellschaft, wird oft argumentiert. Sorry, aber unter Kommunikation verstehe ich ein tiefgehendes Gespräch und nicht den Austausch von SMS-Meldungen. Die Verdummung der Gesellschaft nimmt damit ihren Lauf und die Telcos können ihre Gewinne maximieren.



Die kommenden Smartphones werden die Trennung zwischen Privatleben und Business-Welt quasi aufheben. Der Zugriff auf die Unternehmensdaten wird vom Frühstückstisch aus genau so möglich sein wie vom Liegestuhl an der Côte d'Azur. Da braucht es schon mächtig Selbstdisziplin, um dem Drang zu widerstehen, auch im Urlaub den Geschäftstätigkeiten nachzugehen. Bereits heute sind mir zahlreiche Manager bekannt, die ihr Handy in der Freizeit bewusst daheim lassen, um ungestört ihren Vergnügen nachzugehen.





Schwammige Strategien

Verstehen sich mich nicht falsch: Ich bin keinesfalls innovationsfeindlich eingestellt und habe mich in den vergangenen Jahren stets als Early Adopter erwiesen. Doch die Mobile-Pläne der Telcos wie auch der Hard- und Software-Industrie sind meines Erachtens allzuoft kaum durchdacht.



Bis UMTS verfügbar ist, wird mittlerweile versucht, das Geschäft mit der Mobiltelefoniererei mit allerlei Zwischenlösungen und Technologien aufrecht zu erhalten. Die Swisscom will beispielweise ein von den Israelis lizenziertes System namens "Friendzone" einführen. Mobiltelefonteilnehmer können sich damit via GPS gegenseitig orten. Big Brother - nein, nicht die dümmlichen Container-Serien, sondern Orwells Überwachungsszenario - lässt schön grüssen.




Der Entwicklung im mobilen Sektor sehe ich mit Spannung entgegen. Allerdings ist dabei von uns allen auch Disziplin gefragt. Wenn Sie sich in den Achzigern und Neunzigern über Kids mit piepsenden Gameboys geärgert haben, freuen Sie sich auf die nächsten Jahre, wenn auch die Herren in Nadelstreifen nicht mehr auf die mobile Elektronik unterwegs verzichten können.



Sehen Sie dieser Entwicklung mit Begeisterung oder mit Skepsis entgegen? Schreiben Sie mir!



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