Automatische Zeugnisse: Nur für faule Personalchefs
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2000/39
Seit dem 24. Oktober hat die Zürich-Versicherung unter www.zurich-service.ch einen kostenlosen Arbeitszeugnis-Service aufgeschaltet. Personalchefs haben damit die Möglichkeit, ihre Mitarbeiter anhand von zwölf Kriterien zu beurteilen, wobei jeweils die Wertungen "ausgezeichnet", "gut", "ausreichend" oder "schlecht" zur Verfügung stehen. Die vorhandenen Kenntnisse und die Berufserfahrung werden anhand der Punkte Fachkenntnisse, Umsetzung/Anwendung sowie Bereitschaft zur Weiterbildung ermittelt. Etwas detaillierter werden dann Leistung und Verhalten abgeklärt: Hier finden sich Kategorien wie Leistungsvermögen/Belastbarkeit, Flexibilität, Loyalität oder Teamwork/Zusammenarbeit.
Nachdem man die einzelnen Radio-Buttons angeklickt hat, braucht man lediglich noch eine E-Mail-Adresse anzugeben und schon flattert einem das per Report generierte Zeugnis per Mail in den elektronischen Briefkasten. Darin finden sich dann mehr oder minder bekannte Formulierungen, die allerdings gezwungenermassen recht allgemein gehalten sind. Wurde auf dem Web-Formular beispielsweise die Bereitschaft zur Weiterbildung mit "ausgezeichnet" beurteilt, heisst es im Zeugnis entsprechend: "Er ist sich der Wichtigkeit ständiger Weiterbildung bewusst und nimmt interne und externe Möglichkeiten wahr, sein persönliches Wissen anzupassen und zu erweitern." Ob dies überhaupt geschah, und wenn ja, in welchem Rahmen, bleibt verständlicherweise offen.
Was sich auf beim ersten Augenschein interessant und praktisch anhört, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als grober Unfug. Denn ein Arbeitsszeugnis sollte der Individualität eines Angestellten Rechnung tragen, was mit pauschalen Aussagen und fixen Floskeln kaum möglich ist. Wer mit einem derartigen Zeugnis abgespeist wird, tut ohnehin gut daran, sich zu beschweren.
In der Praxis dürfte sich der Zeugnis-Service nicht bewähren. Stellen Sie sich ein KMU mit rund 30 Angestellten vor, die im grossen und ganzen alle hervorragende Arbeit leisten und keinen Grund zur Beanstandung gäben. Wenn Sie mit dem Zürich-Instrument eine Bewertung einer sochen Crew durchführen würden, müssten Sie jedem Angestellten mehr oder minder dasselbe Zeugnis ausstellen und dies soll und kann nicht Sinn eines Arbeitszeugnisses sein.
Zwar lassen sich mit der Methode insgesamt 16'384 verschiedene Zeugnisse generieren, doch würden sich diese zum grössten Teil nur minimal unterscheiden. Stellen Sie sich vor, wenn sich alle in der Schweiz tätigen Angestellten mit den online-generierten Zeugnissen der Zürich-Versicherungen bewerben würde. Für einen Personalverantwortlichen würden mehr oder minder alle Bewertungen identisch aussehen und eine individuelle Beurteilung ist so gut wie nicht möglich.
Man darf zudem auch gespannt sein, ob die Zürich - sozusagen als angenehmen Nebeneffekt - die über das Zeugnis-System generierten Mail-Adressen weiter verwendet, beispielsweise für Werbezwecke.
Last but not least stellt sich die Frage, ob ein Grossunternehmen wie die Zürich selbst auch auf ihre automatischen Zeugnisse setzt. Leider waren die Verantwortlichen bis Redaktionsschluss für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Wenn sich die Zürich im Zusammenhang mit ihrem Zeugnis-Service als innovativ und wegweisend bezeichnet, muss ohnehin ein grosses Fragezeichen gesetzt werden. Denn was die Zürich auftischt, ist nichts neues und findet sich in verschiedensten Varianten auf dem Netz.
Zwei Beispiele seien erwähnt, wobei hier wie dort dieselben Vorbehalte angebracht sind wie bei der Zürich-Lösung. Zum einen ist dies die Software Express Zeugnis Professionell von Christian Winkler Softwaredienste. Das Tool ist auch als Freeware-Version verfügbar und bietet im Vergleich zum Service der Zürich-Versicherung signifikant mehr Optionen. Eine weitere Variante bietet das Institut für Betriebsräte-Fortbildung, ebenfalls aus deutschen Landen. Auf deren Website wird einerseits ebenfalls eine Online-Version geboten, die mit einem ähnlich einfachen Strickmuster wie Zürich-Service arbeitet. Daneben findet sich hier eine herunterladbare Software, um Zeugnisse lokal zu generieren.
Personalchefs ohne konkretes Hintergrundwissen über Arbeitszeugnisse sei statt der Zürich-Lösung vielmehr der Besuch einer Fachveranstaltung empfohlen, wie sie etwa die Fachhochschule Solothurn im nächsten Jahr veranstaltet. Das eintägige Seminar behandelt Bereiche wie Abfassen, Interpretation, rechtliche Probleme oder neue Formen von Arbeitszeugnissen und kostet 580 Franken.