Riskant: Linux auf dem Desktop
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/33
Alle Jahre wieder beschert uns Scott McNealy, seines Zeichens CEO von Sun Microsystems, eine neue Initiative, die sich auch heuer wieder gegen Erzkonkurrent Microsoft richtet. Die beinahe schon traditionelle Attacke auf den Redmonder Software-Konzern setzt diesmal beim Client-Betriebssystem an: Nicht Windows soll in Zukunft für den Betrieb der Arbeitsplatzrechner sorgen, sondern Linux. Sun will deshalb demnächst Tiefpreis-Rechner mit vorinstalliertem Linux für den Unternehmenseinsatz auf den Markt bringen.
Dass Marktforscher und Analysten dem Open-Source-Betriebssystem auf dem Arbeitsplatz-Rechner in naher Zukunft aber nur wenig Chancen einräumen, scheint die Sun-Truppe nicht zu interessieren. Denn McNealy ist sich sicher: Das Preis-Argument wird die Unternehmen überzeugen und den Erfolg der Desktop-Linux-Strategie sicherstellen. Dies scheint auf den ersten Blick vernünftig: Angesichts der zusammengebrochenen Preise für PC-Hardware kommt den Kosten für das Windows-Betriebssystems tatsächlich ein beachtlicher Anteil zu.
Doch Sun lässt ausser Acht, dass in unzähligen Unternehmen Software im Einsatz ist, die auf die Windows-Plattform angewiesen ist. Sun glaubt, mit dem Austausch von Microsoft Office durch StarOffice sei dieses Problem für 90 Prozent der Unternehmen vom Tisch. Hier ergibt sich meines Erachtens der grösste Stolperstein der Sun-Strategie. Fakt ist: StarOffice hat nicht annähernd die Akzeptanz auf dem Markt, wie sie die Microsoft-Suite geniesst. Selbst McNealys Mittrommler Larry Ellison bekannte jüngst an der LinuxWorld-Konferenz, das grösste Problem für den Linux-Einsatz auf Arbeitsplatzrechnern sei das Fehlen eines Büro-Pakets, das der Microsoft-Suite das Wasser reichen könne.
Dass Sun dennoch mit viel Elan für Linux-Clients die Trommeln rührt, wird verständlich, wenn man die wirtschaftliche Gesamtsituation von Sun Microsystems ins Auge fasst: Der Konzern steht unter Druck, und zwar massiv: Die Einnahmen im Servergeschäft werden im laufenden Quartal voraussichtlich bis zu 15 Prozent einbrechen. Höchste Zeit also, dem Kerngeschäft neue Impulse zu verleihen.
Unter dem Strich soll die Client-Linux-Strategie denn auch primär als Steigbügelhalter dienen, um die mittlerweile stark zusammengebrochenen Serverumsätze wieder anzukurbeln. Konkret sollen die billigen Desktop-Rechner im Bundle mit einem teuren Sun-Server den Unternehmen untergejubelt werden. Sun preist dabei die Vorteile, die sich zweifellos ergeben: Die Administration würde sich massiv reduzieren lassen, und auch die bei Microsoft-Software allgegenwärtigen Sicherheitsprobleme liessen sich auf ein Minimalmass beschränken.
Dennoch dürfte es Sun kaum gelingen, die Unternehmen auf breiter Front von Linux als Desktop-OS zu überzeugen. Nicht nur, dass viele Firmen auf Windows-basierte Applikationen nicht verzichten wollen oder können und eine breit angelegte Umschulung der Mitarbeiter scheuen dürften: Die Strategie wird meines Erachtens daran scheitern, dass kaum jemand dazu bereit ist, auf ein Betriebssystem zu verzichten, mit dem man über Jahre hinweg Erfahrungen gesammelt hat. Wer Linux firmenweit als Desktop-Betriebssystem einsetzt, nimmt unweigerlich eine Pionierrolle ein, und gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist man wenig geneigt, sich auf Experimente einzulassen.
(rd)