Schlechte Job-Chancen ohne Diplome und Zertifikate
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/42
Das laufende Jahr wird als das wirtschaftlich schlechteste in die IT-Analen eingehen. Wie die Marktforscher von IDC ermittelt haben, ist der IT-Markt heuer gegenüber dem Vorjahr noch einmal um 2,3 Prozent geschrumpft. Auch in der Schweiz bekommen die IT-Profis die Krise zu spüren: Der Jobpilot-Index, der die Zahl der online ausgeschriebenen Stellen ausweist, fiel im Informatik- und Telekommunikationsbereich auf 56 Punkte und steht damit auf dem niedrigsten Stand seit Start der Erhebung im Januar 2001.
Noch nie sind so viele IT-Profis und solche, die sich dafür halten, auf der Strasse gestanden. Und das Finden einer neuen Stelle wird nicht selten zur Tour de force, gerade wenn man der Aus- und Weiterbildung während Jahren den Rücken gekehrt hat.
Personalverantwortliche werden heute nach einer Stellenausschreibung nicht selten mit über hundert Bewerbungen konfrontiert. Um sich in nützlicher Frist durch die Unterlagen zu kämpfen, sind sie gezwungen, sich auf wichtige Schlüsselelemente zu konzentrieren, und diese sind und bleiben nun einmal Diplome und Abschlüsse. Da mag ein IT-Crack noch so viel Erfahrung mitbringen, wenn er nicht die eine oder andere Grundausbildung absolviert und sich statt dessen sein gesamtes Know-how nach dem "Learning by doing"-Prinzip angeeignet hat, sinken seine Chancen auf eine neue Stelle massiv.
Doch auch eine einmalig absolvierte Ausbildung ist keine lebenslange Garantie für einen Job im IT-Umfeld. Denn die Halbwertszeit von IT-Wissen ist im Vergleich mit vielen anderen Branchen extrem kurz. Um diesen Wissenszerfall zu stoppen, ist deshalb Weiterbildung angesagt, und das nicht zu knapp. Viele Zertifikate - etwa das MSCE-Diplom - haben deshalb auch ein "Verfallsdatum". Gerade im IT-Umfeld wurde das Thema Ausbildung aber oft vernachlässigt: Warum soll man die Mitarbeiter auch in teure Kurse schicken, wenn der Betrieb der Infrastruktur doch reibungslos funktioniert und der Systemadministrator sich erst noch in seiner Freizeit das nötige Know-how aneignet?
Dass dabei die Mitarbeiter die Leidtragenden sind, wurde in der Blütezeit des Dotcom-Hypes vielfach unter den Tisch gekehrt. Jetzt aber, wenn es wirtschaftlich bergab geht, bekommen Entlassene diese Vernachlässigung mit voller Härte zu spüren.
Der schwarze Peter kann aber nicht allein den Vorgesetzten und Firmenverantwortlichen zugeschoben werden: Oftmals sind es die IT-Worker selbst, die dem Thema zu wenig Beachtung geschenkt haben. Viele haben sich in den Boom-Zeiten nie um eine Weiterbildung bemüht, geschweige denn ein entsprechendes Gesuch dem Vorgesetzten vorgelegt. Motivation und Begeisterung für weiterbildende Massnahmen müssen aber vom Arbeitnehmer kommen und können nicht "von oben" aufgezwungen werden. So erstaunt es denn auch nicht, dass in vielen Betrieben Weiterbildungsbudgets nicht ausgeschöpft werden, weil dafür von Mitarbeiterseite kein Interesse signalisiert wurde.
Wer jetzt ohne IT-Diplom auf Jobsuche ist, muss aber nicht verzweifeln. Nächstes Jahr soll's besser werden: IDC prognostiziert ein Ende der Talsohle und ein weltweites Wachstum von 5,8 Prozent fürs nächste Jahr.
(rd)