Mit alten Ideen und Modellen aus der IT-Krise?
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/28
Die vergangenen Monate haben es gezeigt: Nur ausgereifte Business-Modelle führen zum Erfolg. Sind die Konzepte nicht durchdacht, sind Verluste an der Tagesordnung. Und dies gilt nicht nur für die USA.
Mancher Schweizer Portalanbieter oder Provider musste gerade in den jüngsten Monaten über die Bücher und seine Strategie von Grund auf überdenken. Denn mit Tausenden von Besuchern allein lässt sich noch kein Staat machen, geschweige denn Gewinn generieren. Die Werbeumsatzzahlen der Marktforscher sprechen hier eine deutliche Sprache: Mit Online-Werbung lassen sich nur die wenigsten Webauftritte finanzieren.
Dies hat auch Bluewin gemerkt und will das hauseigene Portal künftig mit einer Portion Erotik anreichern. Findet die schlüpfrige Neuerung Anklang, denkt man bereits über kostenpflichtigen Content nach. Dass für Softerotik à la Blick-Seite-3-Girls kaum einer Geld ausgeben wird, kann man sich vorstellen. Will Bluewin in diesem Bereich relevante Umsätze generieren, bleibt wohl nichts anderes übrig, als die einschlägige Klientel auch mit Hardcore-Material zu bedienen. Das Image des ehemaligen Familien-Providers dürfte damit massiv angekratzt werden (Seite 13).
Auch bei Green.ch, dem Nachfolger von Agri.ch, muss man zur Zeit über die Bücher. Hier gelang es, über 70'000 Websurfer mit einem Gratis-Mail-Dienst zu ködern. Seit Cable & Wireless für die falschen Management-Entscheidungen des Providers aber nicht mehr gerade stehen will, wird es eng bei Green.ch. Als man sich noch unter den Fittichen des europaweit tätigen Providers bewegte, waren die 100'000 Franken, welche die Aufrechterhaltung der Mail-Infrastruktur monatlich kosten soll, ein verkraftbarer, wenn nicht sogar vernachlässigbarer Ausgabeposten.
Doch damit ist jetzt Schluss. Wie die Milchbüchli-Rechnung bei Green.ch gezeigt hat, treibt die Gratis-Mail-Strategie die Kosten des ISPs "in astronomische Höhen", wie gegenüber der Kundschaft erklärt wird (Seite 11).
Dass man bei Green.ch die Hausaufgaben vor der Lancierung des Mail-Dienstes nicht gemacht hat, ist unter dem Strich aber nicht das Problem der Kundschaft. Im Grunde genommen kann und soll es einem Green.ch-Mail-Nutzer auch völlig egal sein, wie der Provider den Service finanzieren will.
So wie das Green.ch-Management jetzt den Spiess umdreht, und die Kundschaft für die eigenen Fehlentscheidungen bezahlen lassen will, grenzt das Ganze meines Erachtens an Bauernfängerei, was zum ehemaligen Provider des Bauernverbandes ja auch passen würde.
Wer einen Green.ch-Account im geschäftlichen Einsatz nutzt, dem bleibt wohl oder übel nichts anderes übrig, als die verlangte Monatsgebühr zu bezahlen, will er nicht weitere Folgekosten in Kauf nehmen, die durch den Wechsel zu einem anderen Anbieter entstehen würden (Visitenkarte, Briefpapier usw.).
Als Privatanwender hingegen spricht nur wenig gegen einen Providerwechsel und ich würde mich schnellstens vom kostenpflichtigen Service von Green.ch verabschieden.