Alltag in der Open-Source-Szene
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/15
Im Büro gibt es einen felsenfesten Standard: Das .doc-Format von Microsoft Office ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Wer es ohne Produkte aus Redmond machen will, greift zum plattformvielfältigen Open Office oder zur KOffice-Suite, die allerdings nur unter der KDE-Oberfläche läuft. Soweit, so gut - beide Suiten laufen recht stabil und bieten zum Nulltarif einen guten Funktionsumfang.
Sobald ein so erstelltes Dokument das eigene Büro aber verlässt oder Erzeugnisse aus der Fremde gelesen werden müssen, kommt weder der K- noch der Open-Office-User um Import oder Export des Microsoft-Formats herum. Das geht zwar meistens gut, ist aber trotzdem lästig.
Auch untereinander verstehen sich die Open-Source-Suiten nicht: Bisher war es so, dass jedes Programm sein eigenes Gärtchen in Form unvereinbarer Dateiformate pflegte. Open-Office-Texte etwa lassen sich in KWord nur mit einem Filter lesen, der laut Website noch "nicht fertigentwickelt ist und an Instabilität leiden kann."
Dies soll sich nun ändern: Das XML-basierte Open-Office-Format, betreut durch die auch für andere wichtige XML-Standards wie ebXML verantwortliche Organisation OASIS, wird auch in künftigen KOffice-Versionen die Norm sein.
Das ist eine gute Nachricht - sie zeigt, dass in der OSS-Szene vermehrt statt Rivalitäten zwischen Projekten eine vernünftige Zusammenarbeit den Ton angibt. Nur so kann freie Software der Microsoft-Omnipräsenz zum nötigen Gegengewicht werden. Die Alternative, das MS-Format zur Basis der OSS-Suiten zu erklären, verbietet sich von selbst: Man wäre mit Haut und Haar an die Kaprizen des Branchenführers gebunden.
Gleichzeitig erreicht uns eine zweite Nachricht aus der Open-Office-Ecke: Eine Mac-Version, die nach Mac aussieht, den Konventionen der Aqua-Oberfläche folgt und nicht bloss mit Hilfe eines zusätzlichen X-Servers im hässlichen Kleid daherkommt, wird es nicht vor Open Office 2 geben. Dieses kommt laut Sun erst 2005 - vorher will man keine fundamentalen Änderungen, sondern nur Bugfixes implementieren.
Bad News nicht nur für Mac-User, die punkto User-Interface bekanntermassen am empfindlichsten reagieren und der bestehenden Open-Office-Anpassung bisher die kalte Schulter zeigen: Eine Open-Office-Version, die betriebssystemspezifische Oberflächen zulässt, käme allen Plattformen zugute - auch unter Windows macht die freie Bürosuite äusserlich keine sehr moderne Gattung.
Die Entwicklungspolitik der Open-Office-Gruppe hat aber auch Beruhigendes: Ganz offensichtlich sind Open-Source-Entwickler nicht durchweg idealistische Gutmenschen, die in der Freizeit mal rasch ein bisschen programmieren; zumindest in grösseren Projekten folgt man rücksichtslos den Gegebenheiten des Marktes. Und die zeigen klar, dass die Mac-Gemeinde einen zwar lautstarken, aber zahlenmässig kleinen Teil der IT-Anwender ausmacht. Ob die Proteste der beiden für die Mac-Version zuständigen Entwickler an die Sun-Adresse - "wir können unmöglich bis 2005 warten" - etwas bringen, zum Beispiel in Form einer Version 1.5, ist zweifelhaft.
Standardisierung hier, Weiterentwicklung aufgrund der Marktbedeutung da - Open Source unterscheidet sich in mancher Hinsicht gar nicht so sehr von der traditionellen Art der Softwareproduktion. In der Open-Source-Szene geht also alles ganz normal zu.
(ubi)