Key Account Management mit Siebels CRM-System
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/09
IT-gestütztes Customer Relationship Management hat zwei Facetten, wie IT-Vizedirektor Gerhard Storz betont. Zum einen wäre da das Massengeschäft mit einer grossen Anzahl von Individualkunden. Hier spielen Aspekte wie Call-Centers und breitgestreute Marketingaktionen eine wichtige Rolle.
Sein Arbeitgeber, die Winterthur International (WI), ist in einem anderen Marktsegment tätig: Die Firma bietet umfassende Versicherungslösungen für international tätige Konzerne mit einem Jahresumsatz ab etwa 250 Millionen Franken und hat somit ausschliesslich juristische Personen als Kunden - mit Individuen hat die Winterthur International nur als Vertreter dieser Key Accounts zu tun.
Massenabfertigung ist hier nicht gefragt, vielmehr eingehende Betreuung durch Key Account Manager. Diese werden in ihrer Tätigkeit durch ein CRM-System von Siebel unterstützt, das vor allem für umfassende Übersicht über alle geschäftsrelevanten Informationen zu den potentiellen und aktuellen Kunden und für raschen Zugriff auf die mit den einzelnen Geschäften verbundenen Vertragsdokumente sorgt.
Dem Einsatzgebiet entsprechend kommt in der CRM-Landschaft der WI ausschliesslich die CRM-Applikation selbst zum Zug; andere Komponenten der umfangreichen E-Business-Lösungspalette von Siebel wurden nicht benötigt.
Für die WI ist CRM kein neuartiges Arbeitsinstrument. Vor dem Siebel-System stand, zuständig für die Schweiz und die weltweiten WI-Firmensitze, bereits ein hostbasiertes CRM-Programm im Einsatz, das die Firma im Zeitraum 1990 bis 1993 als Eigenentwicklung realisiert hatte. Viele Funktionen der heutigen Lösung waren in dieser Software mit "Green-Screen"-Oberfläche in weniger ausgefeilter und flexibler Form bereits enthalten.
In Deutschland stand zudem eine PC-basierte Applikation zur Verfügung, die mit Visual Basic und Oracle ebenfalls selbst entwickelt wurde und bereits Dokumentenmanagement in Form von Word-Integration ermöglichte.
Die Evaluation einer neuen Lösung wurde aus technischen Gründen und wegen gestiegener Benutzeranforderungen nötig und ging von der IT-Organisation aus: Die zentrale Grossystem-Applikation ermöglichte keine Einbindung von Dokumenten und erlaubte keine wirklich anschauliche Darstellung der Informationen; die deutsche PC-Lösung eignete sich nicht für den internationalen Einsatz und war ausserdem vom Jahr-2000-Problem betroffen. Diese mehrfachen Probleme nahm die WI zum Anlass, sich nach einer neuen Lösung umzusehen.
Bei der Evaluation des neuen CRM-Systems, die gegen Ende 1998 erfolgte, stiessen die Verantwortlichen sehr rasch auf den Namen Siebel, der im CRM-Markt bekanntermassen eine der wichtigsten Grössen repräsentiert. Gerhard Storz dazu: "Wir haben in der Siebel-Lösung auf Anhieb einen sehr hohen Deckungsgrad unserer Anforderungen gefunden, was sich auch nach einer tieferen Betrachtung bestätigt hat. Alternative Produkte wurden somit eigentlich nicht näher in Betracht gezogen. Als mittelgrosse Firma, wie sie Winterthur International ist, muss man sich auch überlegen, wie viel Geld und Aufwand man in eine Evaluation stecken will und ob man sich nicht lieber rasch für ein bestimmtes Produkt entscheidet, wenn man feststellt, dass es das richtige ist und preislich in einem vernünftigen Rahmen liegt". Mögliche andere Lösungen wie Vantive seien zudem eher auf das Massengeschäft und auf Call-Center-Funktionalität ausgelegt, was klar nicht im Geschäftsbereich der WI liege.
Das Projekt musste in einem engen Zeitrahmen umgesetzt werden. Gründe dafür waren das drohende Jahr-2000-Problem der bestehenden Anwendung in Deutschland und ein genereller, von der Unternehmensmutter CS Group verhängter Jahr-2000-Block mit Beginn am ersten Oktober 1999, der nach diesem Datum neue Softwareinstallationen untersagte. Die Umsetzung des CRM-Projekts erledigte das IT-Team der Winterthur International, zusammen mit einem Partner und mit Unterstützung durch Siebel-Fachkräfte im wesentlichen innert sechs Monaten.
Nach einem Pilotprojekt im Januar 1999 und dem definitiven Entscheid für Siebel anfangs März dauerte die Implementation bis im September: In Deutschland ging Ceres, wie die firmeninterne Bezeichnung des neuen Systems lautet, am 6. September in den produktiven Einsatz; die Schweiz folgte Mitte des gleichen Monats.
In diesem Zeitraum wurde nicht nur eine detaillierte Business-Analyse erstellt und mit deren Ergebnissen die Siebel-Software den Bedürfnissen der WI angepasst, sondern auch zusätzliche Funktionen integriert, allen voran das Dokumentenmanagement. Parallel dazu liefen Tests, und die Mitarbeiterschulung wurde vorbereitet.
In den letzten sechs Wochen erfolgte die Schulung der Mitarbeiter. Bis zum Produktionsstart waren bereits 110 User in Deutschland und 130 in der Schweiz mit dem Gebrauch von Ceres vertraut. Später kamen etwa 200 weitere Benutzer hinzu, verteilt auf die WI-Niederlassungen in Australien, Südafrika, Europa, Nord- und Mittelamerika. Nur der asiatische Raum blieb vorderhand ausgeklammert, da die strategischen Optionen des Unternehmens dort noch nicht klar waren; für die Zukunft ist der CRM-Einsatz jedoch auch in Asien vorgesehen.
Weniger konkret als über den Projektablauf äussert sich Storz über finanzielle Details: "Die Kosten hängen wir nicht an die grosse Glocke. Sie waren auf jeden Fall erheblich, insgesamt betrug der Aufwand etwa zehn Mannjahre und war mit Investitionen im Bereich eines einstelligen Millionenbetrags verbunden."
Im vorgegebenen Zeitraum konnte Ceres nicht ohne die reibungslose Zusammenarbeit mehrerer Partner zur Realität werden. Neben den insgesamt acht Mitarbeitern der IT-Abteilung, die während der Projektdauer zu hundert Prozent im Einsatz standen, sowie rund fünfzig weiteren involvierten Personen aus den Fachabteilungen der WI übernahm der Implementationspartner Price Waterhouse Coopers einen grossen Teil der Arbeiten. PWC war mit 15 Beratern an der Umsetzung beteiligt und zeichnete mit einem eigenen Projektleiter, der zusammen mit Gerhard Storz die Gesamtleitung des Ceres-Projekts innehatte, für das Management der ganzen Implementierung verantwortlich.
Die Winterthur International arbeitete beim Ceres-Projekt erstmals mit Price Waterhouse Coopers zusammen. PWC war, so Storz, eines der wenigen international tätigen Beratungsunternehmen, die überhaupt in Frage kamen: "Als internationales Unternehmen wollten wir keinen Berater mit rein nationalem Tätigkeitsfeld. Ausserdem benötigten wir einen Partner mit ausgewiesener Siebel-Erfahrung."
Der Softwarehersteller trug mit drei Personen zum Gelingen bei: Typisch für Siebel-Projekte kam auch bei der WI ein sogenannter Technical Account Manager (TAM) zum Einsatz, der beratend als Brückenkopf zwischen dem Projektteam und Siebel fungiert, bei technischen Detailfragen die richtigen Kontakte zur Siebel-Organisation vermittelt und für die Qualitätskontrolle besorgt ist. Ein weiterer Mitarbeiter von Siebel stand, unter der Ägide von PWC, für die eigentlichen Implementationsarbeiten zur Verfügung, und die dritte Siebel-Präsenz war für Reviews und Management Attention zuständig.
Schon kurz nach der Einführung konnten sämtliche aussenstehenden Projektmitarbeiter wieder verabschiedet werden. Heute läuft Ceres völlig autonom; die Betreuung, Weiterentwicklung und Verfeinerung der Applikation wird durch die interne Organisation der WI besorgt.
Die für Ceres zuständige Hotline, besetzt mit zwei Stellen und ausserhalb der eigentlichen IT-Organisation angesiedelt, leistet auch für einige weitere, ältere Applikationen Benutzersupport. Sie ist in der Schweiz basiert und nicht identisch mit der Hotline für das operative Vertragsverwaltungssystem, die von England aus arbeitet.
In der IT-Organisation beansprucht Ceres etwa 300 Stellenprozente, verteilt auf fünf Mitarbeiter. Diese erledigen Aufgaben wie Serverbetrieb, Datenbankmanagement, Weiterentwicklung der Applikation, Erstellen von Ad-hoc-Reports und Weitergabe der Daten an das Management-Informationssystem der Winterthur International.
Die Fachabteilungen, in denen das CRM-System fast durchwegs benutzt wird, profitieren von sogenannten "Ceres-Superusern". Dies sind speziell geschulte Anwender, die bereits in der Realisierungsphase ins Projekt involviert waren und mit ihrem Wissen Peer-Support leisten. So können kleinere Probleme ohne die Hotline vor Ort gelöst werden.
Zu den Stellenprozenten in Hotline und IT kommen die Unterhaltskosten für die Software hinzu, die Storz im Fall des Siebel-CRM mit jährlich 18 Prozent der Beschaffungskosten beziffert. Für die Oracle-Datenbank besteht ein Gruppenvertrag der CS Group mit dem Hersteller.
Bei der Einführung gab es bloss einige Performance-Probleme, und auch diese konnten durch den Einsatz eines stärkeren Servers gelöst werden. "Fundamentale Probleme hatten wir eigentlich nicht. Wie es in einem Projekt mit so kurzer Durchlaufzeit halt so üblich ist, flogen da und dort die Späne, und zur Lösung anstehender Probleme mussten Entscheidungen gefällt werden - aber grössere Schwierigkeiten hatten wir keine", subsumiert Projektleiter Storz den Ablauf.
In der ersten Version ging Ceres allerdings mit nur wenig Plausibilitätsprüfungen in Produktion; festgestellte Ungereimtheiten wurden im Rahmen der Weiterentwicklung in einem iterativen Prozess sukzessive ausgeräumt und die Daten auf den korrekten Stand gebracht. Dies schloss zum Beispiel manuelle Mutationen durch die Hotline-Mitarbeiter ein, die neben dem Benutzersupport auch Datenqualitätsbereinigungen erledigen. Dabei fand man oft auch Muster, die dann zur inskünftig automatischen Bereinigung herangezogen werden konnten. "Es ist fast typisch für eine CRM-Applikation: Hundertprozentige Datenqualität gibt es nicht. Die Applikation ist ja auch nicht im engeren Sinn revisionspflichtig - wir lösen über das System keine Zahlungsein- oder -ausgänge aus. Ceres ist für uns ein Informationssystem, wie eine Radnabe mit Schlüsselhoheit für die Markierung unseres Geschäfts. Im zeitlichen Ablauf hat das CRM-System den ersten Kontakt mit einem Geschäft, lange bevor dieses eine Spur in den operativen Systemen hinterlässt."
Die Resultate, die sich für das Unternehmen aus dem CRM-System ergeben, sind für Gerhard Storz nur schwer direkt messbar. Zwar habe man schon vor Projektbeginn eine Kalkulation angestellt, die einen Payback der gesamten Projektkosten in anderthalb Jahren ergab, was vermutlich auch erreicht wurde. Genauere Angaben über Kosteneinsparungen nach dem Motto "pro Monat sparen wir soundso viele zehntausend Franken" lassen sich, so Storz, nicht machen.
Zwei Ergebnisse sind jedoch sicher: Ceres bringt Informationen, die vorher nicht zu bekommen waren. Das System erlaubt beispielweise eine detaillierte Performance-Analyse der Verkaufsorganisation. Und zweitens sind die Reaktionen der Benutzer mehrheitlich positiv; das neue System wird wesentlich intensiver genutzt als die Vorgänger. "Natürlich gibt es immer ein paar Kritiker, aber das hat teilweise andere Gründe, als dass die Applikation schlecht wäre - vielleicht hat man seit der Einführung neue Aufgaben, die man nicht so gerne erledigt, und dann macht man die Applikation dafür verantwortlich."