«Der Informatiker» sind 29 verschiedene Berufe
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/04
Ganz oben auf der Traumberufsliste vieler Jugendlicher steht «etwas mit Computern», und auch gestandene Berufsleute anderer Branchen liebäugeln des öfteren mit einem Wechsel in die Informations- und Kommunikationstechnologien. Ganz so ausgetrocknet wie es lange schien, ist der ICT-Arbeitsmarkt nämlich nicht: Zwar kommt die Wirtschaft heute ohne Notrekrutierung von Quereinsteigern via On-the-Job-Training aus; Spezialisten mit solider Grundausbildung und fundiertem Detail-Know-how sind in manchen Bereichen aber immer noch Mangelware.
Welche ICT-Berufe gibt es überhaupt? Die Komplexität von ICT-Lösungen hat nicht zuletzt durch die zunehmende Verschmelzung von Informatik und Kommunikationstechnologie zugenommen. Dennoch definiert der Schweizerische Branchenverband SwissICT in der aktuellsten Ausgabe 2004 seines Berufsführers – siehe Kasten – im Kernbereich nur noch 29 Berufe; im Jahr 2000 waren es noch 36. Der Grund: Die extreme Spezialisierung hin zu Produkt- und Lösungskompetenzen führt allenfalls zu neuen Rollendefinitionen wie SAP-Berater oder Oracle-Spezialist; das Basiswissen wird dabei nicht in Frage gestellt.
Trotzdem ist die Palette der ICT-Berufe enorm. «Den Informatiker» gibt es nicht. Im Einklang mit internationalen Gepflogenheiten definiert SwissICT drei Berufsgruppen im ICT-Kernbereich: Berufe in Planung, Entwicklung und Betrieb befassen sich direkt mit ICT-Lösungen. Dazu kommen ICT-orientierte Management-Aufgaben, für die Berufsleute der Gruppen Organisation/Betriebswirtschaft und Projektmanagement zuständig sind. Wichtig dabei: Nur ein Teil der aufgezählten Berufe lässt sich über eine spezifische Ausbildung mit entsprechendem Abschluss erlernen; es handelt sich oft eigentlich eher um Funktionen, die sich personell auch überschneiden können – gerade in kleineren Betrieben übernimmt ein Entwickler oft auch Management- und Betriebsaufgaben.
Einstiegsmöglichkeiten in die ICT
Ohne fachliches Grundwissen kommt man in der ICT-Welt nicht weit, und damit ist keineswegs der Besuch von zwei, drei Softwareschulungen gemeint. Von der Lehre bis zum Hochschulstudium dürfte sich dennoch für jeden Interessenten mit genügenden mathematisch-logischen oder organisatorischen Fähigkeiten ein Ausbildungsgang finden.
Die Berufslehre zum Informatiker dauert vier Jahre und fokussiert sich je nach Lehrstelle und Ausbildungstätte auf die Fachrichtungen Applikationsentwicklung oder Systemtechnik. Daneben existieren eine Lehre zum Telematiker sowie diverse informatiknahe Lehrausbildungen wie Geräteinformatiker und Mediamatiker. Voraussetzung für alle Berufslehren: Man muss als Erstes eine Lehrstelle finden. Am Ende steht die Lehrabschlussprüfung mit Eidgenössischem Fähigkeitsausweis, der als Basis für die Berufspraxis oder die weitere Ausbildung dient.
Wer bereits eine andere Berufsausbildung hat, kann seit einigen Jahren zusätzlich eine Informatiklehre absolvieren – vorausgesetzt, er findet eine Lehrstelle. Die Informatik-Berufslehre für Erwachsene dauert nur zwei Jahre. Der schulische Teil umfasst auschliesslich die ICT-spezifischen Inhalte. Der Bildungsexperte Walter K. Schnider von KPP Consulting sieht es so: «Der korrekte Einstieg in die professionelle Informatik für Leute ohne entsprechende Grundausbildung ist heute die zweijährige Informatiklehre für Erwachsene. Das Problem ist, dass viele diese Möglichkeit noch gar nicht kennen. Sie wird zudem erst an wenigen Orten angeboten, zum Beispiel am Zürcher ZLI.»
In den Achtziger- und Neunzigerjahren boten vor allem Banken und Versicherungen praktisch jedem halbwegs geeigneten Kandidaten eine interne Informatikausbildung mit anschliessender Verpflichtung an. Manch einer konnte sich so zum Applikations- oder Systemprogrammierer ausbilden lassen. Diese Form des ICT-Quereinstiegs, so Schnider, gibt es heute praktisch nicht mehr: «Die UBS, die CS, die Zürich – fast alle haben ihre allgemein zugänglichen Informatik-Ausbildungsprogramme eingestellt.»
Als Grundausbildung für die professionelle Informatik völlig ungeeignet sind Anwenderkurse oder gar Schulungen für einzelne Programmpakete – Schnider meint dazu, man sei ja auch noch lange keine Sekretärin, wenn man einen Schreibmaschinenkurs hinter sich habe. «Auch Zertifikate wie der PC-Supporter SIZ sind zwar eine mögliche Grundqualifikation, aber kein Einstieg in die professionelle Informatik.» Den Nutzen solcher Kurse sieht Schnider in Kleinunternehmen, wo Informatikfunktionen oft nebenbei von anderen Mitarbeitern ausgeübt werden; ein Beispiel sei der Buchhalter, der neben seiner eigentlichen Tätigkeit noch das kleine Netzwerk verwalte.
Die höhere Berufsbildung ist zumindest teilweise analog zu anderen Berufsfeldern eidgenössisch geregelt und führt in einer ersten Stufe zum eidgenössischen Fachausweis (Informatiker oder Wirtschaftsinformatiker in verschiedenen Fachrichtungen beziehungsweise Organisator mit Fachrichtung Business-Analyst), in der zweiten Stufe zu einem eidgenössischen Diplom mit vergleichbarer Unterteilung der Disziplinen. Die eidgenössische Regelung bezieht sich dabei einzig auf die Abschlussprüfung – die Institute, an denen man sich für die Prüfung vorbereiten kann, bieten daneben meist auch Einzelkurse und Lehrgänge mit anderen, nicht eidgenössisch anerkannten Abschlüssen an. Dazu gehören die berufsbegleitenden Höheren Fachschulen (HF, nicht zu verwechseln mit den Fachhochschulen) wie die Technikerschulen (TS) mit eigenen Abschlusszeugnissen (Techniker HF, Informatiker TS) sowie Institute wie die WISS, die neben kompletten Ausbildungsgängen mit offiziellen Abschlüssen meist auch Einzelkurse und thematisch fokussierte Seminare anbieten. Diese Bildungsgänge eignen sich vornehmlich für Quereinsteiger mit beruflicher Grundausbildung in ICT-fremden Branchen. Berufsleute, die eine solche Schule absolvieren, können durchaus zu einer attraktiven Anstellung finden: Neben dem technischen oder organisatorischen Grundwissen, guten Sprachkenntnissen in Englisch, Teamfähigkeit und Sozialkompetenz legen manche Arbeitgeber vor allem im KMU-Umfeld vermehrten Wert auf Branchenkenntnisse.
Damit aber nicht genug: Auch die Fachhochschulen (FH) bieten Informatik-Studiengänge an, die je nach Schule unterschiedlich benannt sind – Beispiele sind Informatik-Ingenieur FH, Informatiker FH, Wirtschaftsinformatiker FH oder seit neuestem auch Bachelor-Abschlüsse in verschiedenen ICT-Disziplinen. Wer an einer Fachhochschule studieren will, muss für prüfungsfreien Zugang entweder eine Berufsmatur oder eine gymnasiale Matur mit mindestens einjähriger Berufspraxis vorweisen; Absolventen einer Lehre, einer Handelsmittelschule oder einer anderweitigen Diplomschule müssen zur Prüfung antreten. Ein FH-Studium ist ein Vollzeitstudium, dauert in der Regel drei Jahre und umfasst neben Informatikthemen auch allgemeinbildende Fächer. Nach der Diplomausbildung bieten die FH zudem Nachdiplomstudien an – sie betreiben wie die Universitäten auch Forschung, je nach Schule mit unterschiedlicher spezifischer Ausrichtung.
Eine universitäre Informatikausbildung mit Lizenziat, Doktorat, Bachelor- oder Master-Abschluss am Ende ist in der Schweiz an den meisten Universitäten sowie an ETH und EPFL möglich. Im Zentrum stehen eine solide theoretische Basis und umfassendes Allgemeinwissen im Grundstudium (Bachelor), gefolgt von einer eingehenden Spezialisierung im Hauptstudium (Master); die beiden Studienabschnitte beanspruchen im Vollzeitstudium je vier Semester.
Schweizer Informatikausbildungen mit anerkannten Abschlüssen
Das Fazit: Spätestens bei der Wahl eines höheren Berufsbildungsgangs legt man sich auf eine Richtung fest. Orientiert man sich Richtung Wirtschaftsinformatik oder Technik? Interessiert einen eher die Programmierung, die Telekommunikation oder die Architektur von IT-Systemen? Walter K. Schnider stellt zwar fest: «Eigentliche Sackgassen gibt es nicht.» Ein grundlegender Richtungswechsel ist prinzipiell auch später möglich, im Hinblick auf eine vernünftige Karriereplanung aber mit unnötigem Aufwand verbunden. Ein Business-Analyst, der in die Softwareentwicklung wechseln will, kommt beispielsweise nicht um detaillierte Java- oder C++-Kenntnisse herum. Ob es Sinn macht, dass er mitten im Berufsleben die passenden Kurse nachsitzt, sei dahingestellt, zumal gerade Engineering-Leistungen zunehmend in lohngünstigere Länder ausgelagert werden.
Die rasante Weiterentwicklung der Technologien, aber auch der permanente Wechsel im wirtschaftlichen Umfeld, verlangen von jedem ICT-Mitarbeiter auch nach der erfolgreich abgeschlossenen Grund- und höheren Berufsausbildung die permanente Weiterbildung in seinem Fachgebiet. Dazu bieten verschiedene Instanzen Kurse, Seminare, Atteste und Diplome.
Am wichtigsten sind hier Verbandszertifikate, die herstellerneutral die Kenntnisse in bestimmten ICT-Bereichen wie Security oder Qualitätssicherung bestätigen, und die produkt- oder lösungsspezifischen Zertifikate, die von den Herstellern herausgegeben werden, meist nur für eine beschränkte Zeitdauer von ein bis drei Jahren gültig sind und so dem Arbeitgeber garantieren, dass der Mitarbeiter in Sachen Microsoft-Technologien, SAP, Oracle & Co. auf dem neuesten Stand ist.
Walter K. Schnider weiss, dass «heute oft einfach verlangt wird, dass man ein bestimmtes Zertifikat haben muss, um einen Job zu bekommen.» Die Forderung nach einem genau vorgeschriebenen MCSE- oder sonstigen Prüfungspapier ist denn auch bei technisch orientierten ICT-Stelleninseraten gang und gäbe. Wer schon in einer Firma angestellt ist, lässt sich die teure Ausbildung und die ebenso happigen Prüfungsgebühren mit Vorteil vom Arbeitgeber bezahlen – das sollte, so Schnider, eigentlich klappen, wenn das Wissen im Betrieb wirklich benötigt wird und der Arbeitgeber genügend Vertrauen in die Fähigkeiten und in die Loyalität des Mitarbeiters hat.
Wer dagegen auf eigene Faust Zertifikatsprüfungen sammelt, sollte auf eine vernünftige Kombination achten oder bei einem Anstellungsgespräch nur die wirklich sinnvollen Abschlüsse erwähnen. Wenn ein Kandidat Zertifikate in allen möglichen Fachbereichen vorweist, macht dies weniger den Eindruck universeller Fähigkeiten, sondern wirkt eher wie «von allem etwas, aber nichts richtig.»
Wer angesichts des schier undurchdringlichen Dschungels von Berufsbildungsmöglichkeiten verzweifelt, erhält dank einem knapp 200-seitigen Softcover-Buch wohltuende Übersicht. Das Werk «Berufe der ICT – Informations- und Kommunikationstechnologien», im VDF-Hochschulverlag durch die SwissICT herausgegeben, ist mit 84 Franken zwar ziemlich teuer. Es bietet aber neben einer umfassenden Einleitung in die Schweizer ICT-Berufsbildungswelt und einer Übersicht über die wichtigsten Bildungsinstitutionen und Abschlusszeugnisse einen umfangreichen Teil Informationen zu jeder einzelnen ICT-Tätigkeit, den der Branchenverband als eigenständigen Beruf identifiziert hat. Jede Tätigkeit wird auf zwei A4-Seiten vorgestellt – links eine Kurzbeschreibung und eine verbale Aufzählung der Hauptaufgaben, rechts eine Aufstellung der benötigten Ausbildung und Fähigkeiten, der betroffenen ICT-Technologien und der Anforderungen an Sozialkompetenz, Arbeitsmethodik und Führungseigenschaften in Checklistenform.
1. Berufliche Zielsetzungen identifizieren
2. Aktuelle berufliche Situation überprüfen
3. Verfügbares Zeit- und Geldbudget festlegen
4. Informationen sammeln, Liste möglicher Zertifikate erstellen
5. Potential der Zertifikate bestimmen
6. Zertifikat mit dem höchsten Potential auswählen
1. Wissenslücken identifizieren
2. Festlegen, wie die Lücken zu schliessen sind – Selbststudium, Kursbesuch, Web-based Training...
3. Prüfung auswählen und vorbereiten
4. Prüfung bestehen
5. Schritt 3 und 4 wiederholen, bis alle Anforderungen erfüllt sind
6. Zertifikat im Beruf/bei der Stellensuche nutzen
(ubi)