Editorial

Messewetter Schweiz: Heiter bis wolkig


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/18

     

Erfolgreiche Sicherheitskonferenz versus «Neue Kunden kamen nicht» – unterschiedlicher könnte die Beurteilung der zwei Security-orientierten Publikumsveranstaltungen kaum lauten, die in letzter Zeit über die Bühne gingen. Während die vierhundert Teilnehmer des Security Summit im total vollgestopften grossen Saal des Mövenpick Regensdorf abwechselnd von Atemnot und Ventilationsgeräusch geplagt waren, geriet die Security-Zone zumindest am ersten Tag vornehmlich zum Aussteller-Stelldichein. Neukontakte gab es kaum, vor allem die Entscheidungsträger potentieller Kunden glänzten durch Abwesenheit.





Im Nachgang zeigten sich denn auch weder die extra aus Moskau angereiste Antivirenchefin Natalya Kaspersky noch der Ispin-CEO Marco Marchesi vom Event in der Halle «wo früher Eisen gegossen wurde» sonderlich begeistert. Letzerer fühlte sich sogar bemüssigt, eine Pressemitteilung zum Thema zu verfassen – Fazit: «Trotz der grossen Fachkompetenz, der imposanten Infrastruktur und dem wirtschaftlich optimalen Standort Zürich erreicht die Messe nicht die gewünschten Besucherzahlen.» Schade, denn die Giessereihalle ist wohl eines der schönsten messegeeigneten Areale überhaupt.
Am Standort kann's also nicht liegen – Regensdorf ist mit Sicherheit weniger zentral als der Zürcher «Chreis Föif». Man müsste eigentlich danken, dass nur hartgesottene Autoabhängige lieber in die Agglo blochen, als gemütlich vom Escher-Wyss-Platz zur Messehalle zu schlendern. Am Eintrittspreis und am Prozedere aber auch nicht: Beide Veranstaltungen waren kostenlos; für die Teilnahme am Kongressteil musste man sich bei beiden Events lediglich voranmelden.
Mitschuld an der unterschiedlichen Rezeption dürfte allerdings die zeitliche Abfolge in Kombination mit einer gewissen Security-Übersättigung haben: Der überbuchte Summit fand schlicht und einfach eine Woche vor der im loriotschen Sinn «übersichtlichen» Zone statt.






Marchesi bringt in seinen Ausführungen aber noch einen anderen Aspekt messerscharf aufs Tapet: IT-Security betrifft eigentlich alle Unternehmensprozesse und wäre damit für die verschiedensten Unternehmensvertreter vom Geschäftsführer bis zum System Engineer relevant. Wenn eine Messe aber ausschliesslich Sicherheit zum Thema hat, fühlen sich nicht alle angepeilten Ansprechpartner wirklich angesprochen. Dem CEO und dem weniger technisch als organisatorisch orientierten Kader wäre eine umfassende ICT-Plattform, wie sie die Orbit und auch die iEX bis dato waren, viel lieber. Und die darf, obwohl sie eigentlich «nach Zürich gehört», sogar in der Provinz stattfinden: «Basel, mer chömme», verkündet Marchesi zum Schluss und gibt damit der kommenden Orbit-iEX trotz Züri-Weggang eine klare Vorauschance.





Aus all dem lernen wir Dreierlei: Erstens spielt der Standort für die Attraktivität einer Veranstaltung die geringste Rolle. Das zeigt exemplarisch die TopSoft in Windisch – das ist von Zürich her gesehen ein Aargauer Ort irgendwo hinter Brugg. Das Gebäude – eine Turnhalle! – steht dazu noch in einem unscheinbaren Aussenquartier fast auf der grünen Wiese. Dennoch findet diese Business-Software-Messe heuer schon zum zweiten Mal statt, und zwar genau während ich diese Zeilen verfasse. Ein abschliessendes Urteil lässt sich also noch nicht fällen, aber die nochmals stark gestiegene Ausstellerzahl («TopSoft ausgebucht») und der räumliche Ausbau («TopSoft realisiert eine dritte Halle») erlauben doch schon ein Vor-Urteil: Wenn eine Messe die Orbit-Lücke im Herbst ausfüllt, dann ist es die TopSoft.





Zweitens, und auch hier ist die TopSoft das Positivbeispiel, kommt Bodenständiges offenbar besser an als Hochgestochenes. Die nackte Information, präsentiert durch kundige, echte Herstellermitarbeiter, wird heute besser aufgenommen als die nackte Haut von rudimentär informierten Hostessen oder das oberflächliche Gelaber von rasch mal zugemieteten Soziologiestudenten, die an den durchgestylten Hochglanz-Ständen ja schon immer etwas verloren wirkten.
Drittens: Das verschiedentlich hochgelobte Konzept der vertikalen Spezialveranstaltung funktioniert nur unter optimalen Bedingungen. Es funktioniert zum Beispiel dann, wenn in erster Linie bestehende Kunden eines bestimmten Herstellers gepflegt und deren Händchen geschüttelt sein wollen – eine Art Champagner-Event für viele mittlere statt einen einzigen grossen Kunden. Auch Ein-Themen-Messen können durchaus erfolgreich sein, aber dann müssen nicht nur das Thema, sondern auch Ort, Präsentation und Zeitpunkt stimmen. Finden mehrere thematisch identische Events fast gleichzeitig statt, herrscht sowieso Overkill, und auch übers Jahr verteilt kannibalisieren sich Events in Überzahl gegenseitig: Irgendwann müssen auch Entscheidungsträger produktiv arbeiten, statt sich die Füsse an einer Messe wundzulaufen.

(ubi)


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