3D im Web: Verpasste Chancen

Die Möglichkeiten von dreidimensionalen Präsentationen auf Internetseiten sind beachtlich. Die Technologie wird bisher allerdings nicht oder nur sehr schlecht genutzt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/39

     

Ein bekannter 3D-Anbieter stellt es gleich selbst fest: 3D-Darstellungen im Web sind seit jeher eine harte Nuss. Immer wieder kamen neue Technologien und Player-Plug-ins auf den Markt, bis dato konnte sich jedoch nichts davon auf breiter Front durchsetzen.


Bisherige Anstrengungen wenig erfolgreich

Weder die verschiedenen VRML-Varianten noch diverse proprietäre Technologien haben bisher in der Praxis Furore gemacht. Dabei wäre es doch so schön: Interaktive 3D-Darstellungen bieten für die verschiedensten Anwendungen von der Betrachtung dreidimensionaler wissenschaftlicher Inhalte wie Molekülstrukturen und Medizinalbilder bis hin zum Multiuser-Onlinegame eine attraktive Surf-Erfahrung, die sich mit Text, Video und zweidimensionaler Grafik nicht vermitteln lässt. Fünf Hauptgründe für die spärliche Verbreitung:




• Sämtliche herkömmlichen 3D-Web-Technologien arbeiten nach dem "Browser-im-Browser"-Prinzip: Im Fenster des Webbrowsers erscheint ein separater 3D-Bereich mit eigenem User-Interface - die 3D-Inhalte lassen sich schlecht mit dem Rest der Webseite integrieren. Genau das wäre aber wichtig - mit 3D allein lässt sich selten die ganze Information vermitteln.





• Bevor die 3D-Pracht erscheint, muss jeweils ein Plug-in geladen werden. Je mehr verschiedene Formate existieren, desto weniger ist der Surfer zum Download der zugehörigen Software bereit.




• Ausser in den allereinfachsten Fällen benötigen 3D-Modelle mehr Daten als 2D-Inhalte: Ein komplexes Modell mit einigermassen anständigen Texturen nimmt rasch einmal mehrere Dutzend Kilobyte ein. Die wenigsten User verfügten in der Vergangenheit über eine Breitbandanbindung, die solche Datenmengen zulässt.




• Wenn die Inhalte wie etwa Konstruktionszeichnungen nicht von Designern oder Architekturmodelle von Natur aus bereits dreidimensional vorliegen, lohnt sich das aufwendige Erstellen eines 3D-Modells oft nicht. Dies gilt vor allem bei begrenzter Lebensdauer: Selbst Firmen wie Nike, die einzelne Sneaker-Kreationen bei der Einführung als interaktiv drehbare Modelle präsentiert haben, sind später wieder davon abgekommen; es wäre schlicht nicht wirtschaftlich, das ganze Produktionsprogramm entsprechend aufzubereiten.




• Der Aufwand für die Erstellung ansehnlicher 3D-Inhalte wurde offensichtlich auch bei den bereits realisierten Auftritten unterschätzt: Viele 3D-Präsentationen sind qualitativ schlecht (grobe statt detailreiche Modelle, verpixelte Texturen). Statt die Site attraktiver zu machen, verpassten sie dem Betreiber ein amateurhaftes Image.


Offiziell oder proprietär?

Vor einigen Jahren war in der damals noch esoterischen Webgemeinde viel von VRML die Rede: Mit dieser 3D-Modeling-Sprache und einem passenden Browser auf der Client-Seite liessen sich dem Surfer dreidimensionale, interaktiv navigierbare Welten vermitteln. Namhafte IT-Firmen wie Silicon Graphics präsentierten auf ihrer Homepage stolz VRML-Inhalte. Darüber hinaus konnte sich VRML ausserhalb eines akademischen Umfelds allerdings nicht durchsetzen.



Ob die aktuelle offiziell anerkannte Web-3D-Architektur X3D, am diesjährigen Computergrafik-Kongress Siggraph vom Web3D-Konsortium als Final Working Draft verabschiedet, daran etwas ändert? Das ist zumindest kurzfristig aus zwei Gründen fraglich: Erstens umfasst das Board of Directors des für den Standard verantwortlichen Konsortiums ausschliesslich Vertreter von spezialisierten Firmen der Virtual-Reality-Szene sowie einige Mitglieder von Organen der US-Verwaltung; bekanntere Namen wie Adobe, Macromedia oder gar Microsoft fehlen. Und zweitens erwächst der Offizialnorm mit der VET-Technologie von Viewpoint ein starker proprietärer Konkurrent; die Verhältnisse gleichen denen zwischen SVG und Flash.






"True 3D for the Web"

Dreidimensionale Szenen lassen sich natürlich auch in Form gerenderter 2D-Bilder ebenso aufs Web wie aufs Papier bringen. Oder man stellt eine Animation als Avi- oder Quicktime-Movie auf die Site. Mit echter Dreidimensionalität hat das aber nichts zu tun: Die Darstellung ist in Blickwinkel und Ablauf fix, lässt sich vom Surfer nicht interaktiv manipulieren und ist dazu noch mit enormen Datendownloads verbunden.



Mit der VET-Technik von Viewpoint (Viewpoint Experience Technology), die ihre Wurzeln unter anderem im Metastream-Format der früheren Grafiksoftwareschmiede Metacreations hat (Bryce, Carrara, KPT, ...), geht statt Bitmap-Bildern nur die punkto Datenmenge vergleichsweise geringe mathematische Beschreibung der 3D-Objekte übers Netz. Viewpoint spricht von knappen 3 bis 8 Byte pro Polygon, die dank einem eigens entwickelten Vektorgeometrie-Codec erreicht werden. Ein einfaches 3D-Modell kommt mit einigen Dutzend Polygonen aus; in komplexeren Darstellungen fallen dagegen Tausende von Polygonen an - auch dann beträgt die Datenmenge aber oft nur wenige Kilobyte.





Ausgefeilte Client-Software

Auf der Serverseite ist keine spezielle Software nötig; alle VET-Inhalte liegen auf dem normalen Webserver. Für kommerzielle Projekte muss allerdings von Viewpoint eine Lizenz gelöst werden. Für die Anzeige und die interaktiven Möglichkeiten auf dem System des Surfers ist allein die Client-Software zuständig. Der Hersteller bezeichnet sie denn auch als regelrechtes "Graphics Operating System".



Der Viewpoint Media Player (VMP) kommt mit einem relativ geringen Datenvolumen aus. Er arbeitet komponentenbasiert: Der zentrale "Hub" ist 95 Kilobyte gross; zusätzliche Features sowie Updates werden je nach Bedarf dynamisch nachgeladen. Insgesamt umfasst eine vollständige Player-Installation maximal 850 Kilobyte.




Zu den modular ladbaren Features zählen unter anderem Echtzeit-Antialiasing, realistische Licht- und Schattendarstellung, ein Wavelet-basierter Kompressionsalgorithmus für Bitmap-Bilder (Oberflächentexturen, Hintergründe) namens TrixelsNT, durch Scritping steuerbare sowie interaktiv manipulierbare Animation, Integration von Flash, Audio, Text und Panoramabildern (QuickTime VR, iPix) sowie via XML-Schnittstelle dynamisch aus einer Datenbank generierte Inhalte.



Viewpoint führt, ganz im Stil von Flash-Hersteller Macromedia, die Verbreitung des Players als Argument für den Einsatz seiner Technologie ins Feld: 55 Prozent der Web-User in den USA haben laut Pressemitteilung vom September 2002 den Viewpoint-Player auf ihrem System zur Verfügung. Er wird auf neuen PCs von Dell und HP vorinstalliert.



Viewpoint stellt selbst keine Tools zum Erstellen der 3D-Objekte her. Statt dessen benutzt der Grafiker seine gewohnte Arbeitsumgebung: Die meisten 3D-Modeling-Programme wie 3D Studio Max, TrueSpace, LightWave, Cinema 4D und SolidWorks bieten das Viewpoint-Format als Exportoption. Auch QuickTime-VR-Object-Movies lassen sich importieren.




Interessant, aber problematisch

Neben der Technologie propagiert Viewpoint Lösungen für verschiedene Branchen , darunter Autoindustrie, Medizin und Online-Handel. Auf der Website sind Links zu verschiedenen Beispielen zu finden, darunter die folgenden interessanten Präsentationen:




Mini Cooper: Auf der französischsprachigen Schweizer Site von BMW findet man Viewpoint-gestützte 3D-Szenarien des neuen Mini-Cooper-Modells. Auch Volvo und Ford arbeiten bei der Präsentation einiger neuer Modelle mit VET.





ADAM: Ein Hersteller von medizinischen Informationssystemen für Gesundheitsorganisationen nutzt VET für interaktive anatomische Modelle, die sich via XML mit Informationen aus medizinischen Datenbanken verbinden lassen. Früher wurden für solche Visualisierungen Videosequenzen verwendet.




Sharper Image: Der auch in der Schweiz vertretene Gadget-Händler hat einige seiner Produkte mittels drehbaren 3D-Modellen präsentiert, so zum Beispiel den Citybug-Scooter. Das Beispiel zeigt eine Besonderheit von VET: Die 3D-Objekte werden unabhängig von der HTML-Seite generiert und können beliebig herumgeschoben werden; sogar der Schattenwurf auf den darunter liegenden Text wird realitätsnah umgesetzt. Auch Compaq hat zur Visualisierung der schlanken Dimensionen des Ultraslim-Desktops Evo D-500 ein 3D-Modell eingesetzt.





Fujitsu Siemens: Ganz aktuell hat Viewpoint dem IT-Hersteller Fujitsu Siemens eine VET-Lizenz verkauft. Unter präsentiert die Firma Produkte wie den Pocket Loox und die Amilo-Notebookserie in drei Dimensionen. Dieses Beispiel ist ansprechend in die Website integriert, die 3D-Modelle sind mit zusätzlichen Textanschriften einzelner Produktdetails angereichert, und auf Wunsch werden Animationen eingeblendet, die Vorgänge wie das Einfügen einer WLAN-Karte in den PDA anschaulich machen.



Ein Blick auf die genannten Präsentationen zeigt die Möglichkeiten, aber auch die Probleme der Technologie. So lädt das Mini-Cooper-Beispiel unablässig neue Hintergründe, ohne je den Wagen selbst zu zeigen. Das interaktive Herz von Adam schlägt offenbar derart intensiv, dass der Browser abstürzt. Und der 3D-Scooter von Sharper Image findet sich wohl auf der Demo-Site von Viewpoint, nicht aber im aktuellen Angebot von Sharper Image selbst - die Viewpoint-Präsentation wurde offenbar bereits von einer rein HTML-basierten Version abgelöst.



Dieses Schicksal teilen auch verschiedene andere VET-Beispiele aus dem Retail-Bereich - bei Nike finden sich keine Viewpoint-Modelle der Shox-Schuhe mehr, und der Büromöbelhändler Herman Miller hat den Online-Verkauf gleich ganz eingestellt - peinlich für Viewpoint, denn dessen vormaliges Konfigurations- und Bestellsystem wird als Musterbeispiel für den Einsatz von VET angeführt.



Ähnliches gilt auch für den Evo; nach der Fusion hat die neue HP die Seite zwar auf dem Webserver belassen, sie ist aber nicht mehr mit dem aktuellen Produktkatalog verlinkt. Das Evo-Modell ist zudem nicht sehr detailliert und bietet weniger visuelle Information als eine Reihe von Fotografien aus verschiedenen Blickwinkeln - eine Schwäche von manchen 3D-Darstellungen, die man auf dem Web findet.


Fazit

3D-Technologien für das Web bieten attraktive Möglichkeiten, werden bisher kaum genutzt und oft schlecht umgesetzt, da gegenüber traditionellen Produktpräsentationen auf Bild- und Textbasis deutlich mehr Aufwand anfällt. Die andauernde Wirtschaftskrise dürfte nicht dazu beitragen, dass sich Web-3D ausserhalb von wissenschaftlichen und konstruktionstechnischen Anwendungen in nächster Zeit massgeblich ausbreitet. Auf der anderen Seite ergibt sich gerade daraus für Webbetreiber mit Pioniergeist, die die Kosten nicht scheuen, eine attraktive Möglichkeit, ihren Auftritt in der Masse der Websites ganz besonders brillieren zu lassen. Die Voraussetzung: Der 3D-Auftritt muss absolut professionell geplant und umgesetzt werden, sonst lässt man es besser.




Zudem in der Print-Ausgabe: Adobe Atmosphere - Virtuelle Welten im Betastadium



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