Editorial

strong statt b statt WHAT


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/12

     

Die Absicht mag löblich sein, geht am Problem aber meilenweit vorbei: Wie kürzlich verlautete, wollen sich Mitglieder von Entwicklerteams führender Browser, natürlich mit auffallender Abwesenheit von Microsoft-Exponenten, zu einer «lockeren, nicht-offiziellen und offenen Zusammenarbeit» treffen, und zwar in einer Arbeitsgruppe namens WHAT. Ziel sind neue Spezifikationen für Web-Anwendungen, die «auf HTML und verwandten Techniken aufsetzen.» Dabei geht es um HTML-Erweiterungen, verbessertes Handling von Formularen und standardisierte Controls und Widgets auf Basis von DOM und CSS.




So WHAT, frage ich mich da. Das Heimatgebiet der Web-Standards ist nämlich schon heute keine öde Wüstenei, sie ist um ein vielfaches bunter als gewisse «blühende Landschaften.» Noch mehr Normen, an die sich sowieso niemand hält, brauchen wir eigentlich nicht.
Man beachte: Ich meine damit keineswegs, dass das real existierende Web mit ästhetischer und funktionaler Eleganz brilliert. Vor allem die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, umgesetzt durch den sogenannten User Agent, leidet in der Mehrzahl der Abermillionen von Webseiten an miserablem Code.





Das Hauptproblem: HTML wäre ausschliesslich für die strukturelle Einteilung der Seiteninhalte zuständig, wird aber fast immer auch für Layout-Zwecke missbraucht. Bestes Beispiel ist das gute alte Tabellenlayout, die nach wie vor am weitesten verbreitete Methode, die Seite in Spalten, Kopf- und Fussbereiche einzuteilen - ich nehme mich selbst von der Sünde nicht aus. Die Folge: Der Seitenaufbau wird mit immer komplexeren Tabellen und damit umfangreicherem HTML-Code langsamer, User Agents wie Screenreader für Blinde können mit dem Tabellenchaos nichts Vernünftiges anfangen.
Dabei gäbe es längst verbindliche Standards, die dem geplagten HTML die Präsentationsarbeit abnehmen: CSS und XHTML. Die Schuld am mangelnden Einsatz dieser Technologien trifft nun aber nicht in erster Linie die Web-Designer. Bis vor kurzem war die CSS-Unterstützung in den gängigen Browsern nämlich gelinde gesagt untermittelprächtig. Vor allem der meistverbreitete User Agent, der Internet Explorer von Microsoft, erhielt erst in der aktuellen Version 6 einigermassen durchgängigen CSS-Support. Dafür glänzen die Browser noch heute mit unendlicher Grosszügigkeit bei HTML-Fehlern - viele nicht-standardgemässe Konstrukte werden sang- und klanglos akzeptiert.




In der Folge beherrschten auch die Web-Design-Tools CSS zwar leidlich, versteckten aber die entsprechende Funktionalität schamhaft - Dreamweaver zum Beispiel markiert in der Grundkonfiguration erst in den allerneuesten Versionen fette Textstellen nicht mehr mit dem verpönten <b>, sondern XHTML-korrekt mit <strong>; das ebenfalls unzeitgemässe <font>-Element wird dem nichtsahnenden Benutzer sogar nach wie vor als Default-Methode zur Angabe der Schriftart aufgedrängt. So kann es ja nichts werden.
Meine dringende Botschaft an die Gemeinde der Web-Konstrukteure: Die Zeit für CSS und XHTML ist da! Literatur wie das Buch «designing with web standards» von Jeffrey Zeldman (www.zeldman.com) hilft beim Übergang von alten zu neuen Methoden. Wer noch so gerne mit Tabellen herumgebastelt hat, sei versichert: Auch CSS-Layout und XHTML-Struktur lassen mehr als genug Raum für Experimente, Tüfteleien und konstruktive Eleganz. Mir jedenfalls kommt ab sofort keine Tabelle mehr ins Web, die eigentlich gar keine Tabelle ist - WHAT hin oder her.

(ubi)


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