Firmen sollten ihre Prozesse nicht der Software opfern
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/08
InfoWeek: Herr Siegenthaler, wozu braucht es überhaupt eine Topsoft?
Marcel Siegenthaler: Wir sehen unseren Auftrag darin, Betriebe in der Schweiz beim geeigneten Informatikeinsatz zu unterstützen - es geht darum, dass man wirklich die Mittel nimmt und mit den Einsatzkonzepten arbeitet, die Sinn machen. Die Topsoft ist übrigens ein zweiteiliges Vehikel: unsere ständig verfügbaren Beratungsdienstleistungen, zum Beispiel eine Online-Marktübersicht, und die einmal jährlich stattfindende Messe. Wir sehen das als Ganzes und betrachten es nicht separat.
InfoWeek: Was bietet denn die Messe, das andere Messen nicht haben?
InfoWeek: Ist die Messe also gewissermassen ein Nebenprodukt Ihrer sonstigen Aktivitäten?
Siegenthaler: Genau, wir brauchen ja als Basis für unsere Beratungsleistungen einen umfassenden Marktüberblick. Deshalb haben wir eine entsprechende Datenbank aufgebaut und in der Folge auch eine Ausstellung lanciert, damit man die Systeme anschauen, vergleichen und mit den Anbietern diskutierten kann.
InfoWeek: Der persönliche Kontakt steht somit im Vordergrund?
Siegenthaler: Exakt, es gibt ja bei der Einführung eines IT-Systems mehrere Hauptkriterien. Gemeinhin sieht man als erstes die funktionalen Aspekte - "was kann das System?" Das ist aber nur die eine Seite, genauso wichtig ist die Frage, ob man mit dem Anbieter beziehungsweise mit dem Implementationspartner auskommt: Wenn Anwender und Anbieter das Heu nicht auf der selben Bühne haben, wird nichts aus dem Projekt. Für den Anwender ist es ausserdem extrem wichtig, ob der Partner schon spezifische Branchenerfahrung hat oder von einer völlig anderen Ecke kommt und noch viel dazulernen müsste, um die anstehenden Probleme zu verstehen.
InfoWeek: ERPs auf Basis von Standards wie Navision und SAP dominieren den Markt zunehmend. Werden die vielen Anbieter kleinerer, "selbstentwickelter" Lösungen langfristig überleben?
Siegenthaler: Ich sehe nicht, dass die nächstens wegsterben, obwohl man seit Jahren davon redet. Oft handelt es sich um spezialisierte Awendungen für ganz bestimmte Marktnischen, die durchaus ihre Berechtigung haben. Auch solche Produkte basieren ja meist auf einer Plattform wie .Net oder J2EE, der Entwickler muss also die Grundfunktionen nicht nochmals neu erfinden.
InfoWeek: Das Entwickeln kundenspezifischer Software ist also einfacher geworden?
Siegenthaler: Sogar viel einfacher. Auf Basis der modernen Entwicklungsplattformen baut man in relativ kurzer Zeit mächtige, genau auf den Kundenbedarf zugeschnittene Anwendungen. Gerade auch kleinere Anbieter können heute Applikationen entwickeln, die im Gegensatz zu den früheren "Spaghetti-Code"-Zeiten auch wartbar sind. Viele Betriebe arbeiten darüber hinaus noch mit Insellösungen, die bisher untereinander und mit dem ERP-System nicht verbunden waren. Die Integration der bestehenden IT ist eine wichtige und delikate Aufgabe, für die man auf einen erfahrenen Partner angewiesen ist.
InfoWeek: Sehen Sie Trends bei den verschiedenen Softwarekategorien - CRM, SCM und so weiter ...
Siegenthaler: CRM ist im Schlagwortkatalog in den Hintergrund gerückt. Sehr viele mittlere Firmen gerade auch im Dienstleistungsbereich könnten zwar enorm von CRM profitieren, tun es aber nicht. Das Problem liegt nicht an der Software, sondern am Einsatzkonzept und an der sinnvollen Nutzung.
InfoWeek: Manche Anbieter propagieren Ihre Lösung mit dem Attribut "ERPII" - echter Nutzen oder blosses Marketing?
Siegenthaler: Man kann auch ein ERPII-System gut oder schlecht einsetzen. ERPII allein ist kein Allheilmittel und kann ein Business nicht vor dem Untergang retten. Ein ERP mit Internet-Technologie kann aber vieles vereinfachen, zum Beispiel in einer verteilten Organisation, deren Mitarbeiter von überallher auf die ERP-Informationen zugreifen müssen. Ich sehe "ERPII" als normale Weiterentwicklung der Softwaretechnologie und nicht als revolutionäre Sensation.
InfoWeek: Worauf sollte ein ERP-Interessent bei der Evaluation achten?
Siegenthaler: Die Kunst ist zu wissen, was das System unterstützen muss und was man mit Klein- und Grosshirn, Mund und Telefon genausogut erledigen kann. Da werden viele Fehler gemacht, oft implementiert man eine überdimensionierte, nicht mehr bezahlbare Lösung, die noch dazu viel zu komplex ist und die Produktivität eher behindert als fördert.
Ein anderer Fehler: Man passt die Prozesse zu sehr der Standardsoftware an. Dabei bleibt dann die eigentliche Stärke der Firma auf der Strecke - es gibt viele Unternehmen, die bestimmte Prozesse derart optimiert haben, dass ihre ganze Existenz darauf fusst. Wenn man diese Optimierung opfert, läuft plötzlich nichts mehr.