Editorial

Nationalrat schützt vor Torheit nicht


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/08

     

Der Morgen begann ereignislos: Aufstehen, Katzenwäsche, Zahnhygiene, Gassi mit dem Hund, Frühstück. Sogar die Sonne schien am vierzehnten April ausnahmsweise wieder einmal. Der Schock kam nach dem PC-Start. "Fünf Rappen pro SMS für AHV" lautet die Schlagzeile in unseren Online-News, die ich am Vortag aus unerfindlichen Gründen übersehen hatte.
Da sind doch tatsächlich sechs Schweizer Mannsbilder auf die Idee gekommen, eine neue indirekte Steuer einzuführen. Noch schlimmer: Es handelt sich um gestandene Nationalräte. Der Bundesrat, so die Interpellation vom neunzehnten März, soll für ein Gesetz "zur Erhebung einer Abgabe von 5 Rappen auf jedem auf dem Gebiet der Schweiz gesendeten SMS" sorgen. Die Bruttoeinnahmen, prognostiziert mit 150 Millionen Franken pro Jahr, "sind ungekürzt dem AHV-Fonds zuzuweisen." Das mag auf den allerersten Blick vielleicht genial klingen, erweist sich bei nur minim näherer Betrachtung aber als galoppierender Schwachsinn im höchsten Grad.



Schwachsinn 1: Die Interpellanten sind allesamt nicht etwa sogenannte Rote Ratten, die laut einem der gewohnt dreisten SVP-Plakate dem Volk auch noch das letzte Geld aus der Tasche ziehen wollen, sondern bürgerliche Kräfte - das Parteienspektrum reicht von CVP über SVP bis zur Lega; einzig Mitunterzeichner Ruedi Aeschbacher, ansonsten Hansdampf in eher grün angehauchten Gassen, steht allenfalls am Rand unter Rattenverdacht. Besonders pikant: Mit ASTAG-Lobbyist Ulrich Giezendanner plädiert einer der lautstärksten Gegner von Abgaben aller Art für die neue Steuer. Glaubwürdiger wird bürgerliche Politik durch diesen Vorstoss sicher nicht; allenfalls holt man so etwas Anerkennung von Skeptikern, die Mobiltelefonie prinzipiell ablehnen. Der Kommentar eines IT-Reseller-Online-Lesers bringt es auf den Punkt: "Ich gestatte mir ernsthaft die Frage, ob unsere Damen und Herren Parlamentarier auch politische Fähigkeiten haben."




Schwachsinn 2: Der SMS-Versand gilt hierzulande zu Recht als exorbitant teuer, und zwar auch ohne Zusatzabgabe. Den Carrier kostet die Weiterleitung einer Kurzmeldung rund ein Rappen; fünf Rappen wären somit ein gerade noch vernünftiger Preis pro SMS. Als zusätzliche Steuer obendrauf bewirkt der Föifer höchstens, dass die Schuldensanierer noch mehr als sowieso schon von Jugendlichen kurz vor dem Privatkonkurs überrannt werden - gerade für die heranwachsende Generation ist SMS ja eine fast schon unverzichtbare Kommunikationsform. Wenn es schon eine Steuer sein soll: Wesentlich sinnvoller, wenn auch ebenfalls kaum im bürgerlichen Sinn, wäre eine saftige Luxusabgabe auf Unnötigkeiten wie Rolex-Uhren und Ferrari-Vehikel.



Schwachsinn 3: Der Vergleich mit oberfächlich ähnlichen Abgaben wie der Tabaksteuer, die ja ebenfalls der AHV zugutekommt, hinkt schlimmer als ein dreibeiniges Pferd. Der Hauptzweck der steuerlichen Belastung von Genussmitteln ist die Suchtprävention, und die dürfte im Fall SMS allenfalls einigen verknorzten Extrem-Ökofreaks am Herzen liegen. Als Abschreckung wirkt der Aufpreis zudem wohl kaum - die Rechnung kommt ja ohnehin erst "after the fact."



Das Fazit: Wer im Glashaus eines ohnehin schon ziemlich wackligen Abstimmungskampfs sitzt, täte gut daran, nicht auch noch mit Steinen zu werfen. Im Klartext: Das bürgerliche Steuerpaket, über das wir am 16. Mai zu befinden haben, erfährt nach allen anderen Ungereimtheiten durch die bürgerliche SMS-Interpellation einen zusätzlichen Dämpfer. Die Gegner kann's nur freuen.

(ubi)


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