Voice over Wireless IP

Mit Voice over Wireless IP erhält die bisher nur teilweise erfolgreiche VoIP-Technologie einen neuen Schub. Der Ersatz herkömmlicher Schnurlostelefone dürfte aber nur langsam über die Bühne gehen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/06

     

Die Hersteller propagieren es seit Jahren, der durchschlagende Erfolg lässt auf sich warten: Voice over IP, die voll digitale Telefonie übers Datennetz, ist trotz langsam steigender Akzeptanz noch heute ziemlich flügellahm. Erst sechs Prozent aller Telefoninstallationen sind reine VoIP-Lösungen, und die Mehrzahl davon konzentriert sich auf spezielle Anwendungen wie Call-Center. Dort ist die Technologie allerdings schon fast unverzichtbar – ein deutliches Indiz dafür, dass nicht etwa die anfangs als Hauptvorteil angeführten Kostenersparnisse durch Elimination von Telefongebühren, sondern die einfachere und direktere Integration von Telefonie und Unternehmenssoftware bei der Entscheidung für VoIP die wichtigste Rolle spielt.


VoIP im Mobilzeitalter

Mobilität wird im Geschäftsleben ganz gross geschrieben. Immer mehr Unternehmen stellen den Mitarbeitern keine fixen Arbeitsplätze mehr zur Verfügung, immer mehr geschäftliche Tätigkeiten werden sowohl im Aussendienst als auch innerhalb des Unternehmens von "Mobile Workers" erledigt. Für die Datenübertragung haben sich drahtlose LANs durchgesetzt. Auch telefoniert wird im Schweizer Unternehmen zum guten Teil mobil - Industrievertreter schätzen, dass bald die Hälfte aller Telefone schnurlos arbeiten. Von der Technologie her handelt es sich dabei meist um Anlagen auf DECT-Basis, die ähnlich auch im Privathaushalt bestens etabliert sind.



Wenn aber Telefonie übers IP-LAN möglich ist und für den Datenverkehr schon ein drahtloses IP-Netzwerk besteht, liegt die Überlegung nahe: Warum nicht das Wireless LAN auch gleich noch für schnurlose Sprachdienste nutzen?




Texas Instruments, Hersteller von Wireless-Chipsets, sieht ordentliches Potential für die kabellose IP-Telefonie. Der Markt soll von 100'000 Einheiten (2003) bis zu zwischen einer und zehn Millionen Einheiten im Jahr 2007 wachsen. Der Knackpunkt, so der CTO der Wireless-LAN-Abteilung von TI, seien die Kosten. Noch sind schnurlose IP-Telefone ziemlich teuer; das Cisco-Modell 7950 kostet zum Beispiel über 1000 Franken.



Zur Illustration "Hype-Cycle"


Konzept Voice over Wireless IP

Das Prinzip der kabellosen IP-Telefonie ist einfach: Wie bei der kabelgebundenen VoIP-Telefonie wird eine End-to-End-IP-Verbindung zwischen den Kommunikationspartnern aufgebaut. Die Sprache wird dabei direkt im Endgerät digitalisiert und in IP-Pakete verpackt beziehungsweise entpackt und decodiert; die dazwischenliegenden Netzwerkkomponenten vom WLAN-Funkadapter über den Access Point bis zu den Switches und Routern übermitteln die Pakete wie gewöhnliche Daten.



Neben der Sprachübertragung, für die verschiedene standardisierte Digitalisierungs-Algorithmen wie G.711 oder G.729a genutzt werden, braucht es zum Telefonieren ein weiteres Element: Die Verbindungen müssen irgendwie aufgebaut und gesteuert werden. Dazu nutzt VoIP, egal ob mit oder ohne Kabel, Protokolle wie H.323 und SIP. Am Beispiel der Verbindungssteuerung lässt sich anschaulich zeigen, dass VoIP im Spannungsfeld zwischen konventioneller digitaler Telefonie und moderner, Internet-orientierter Netzwerktechnologie steht.




Das ältere H.323-Protokoll wurde vom Telekommunikations-Normgremium ITU ursprünglich für Videokonferenzen entwickelt und bietet für VoIP eigentlich zu viele Features. Es kommt aber trotzdem in den meisten bisherigen VoIP-Geräten zum Einsatz, so auch im kabellosen VoIP-Telefon von Cisco. Künftig dürfte seine Bedeutung jedoch schwinden. Das Session Initiation Protocol SIP ist ganz in der Internet-Welt verankert: Es wurde von der IETF entwickelt und bietet generelle Mechanismen zum Aufbau von End-to-End-Sessions in IP-Netzen. Damit eignet sich SIP nicht nur zur Sprachvermittlung, sondern auch für Anwendungen wie Instant Messaging, zumal es auch sogenannte Presence-Applikationen unterstützt, in denen der Online-Status der Teilnehmer im Stil der Buddy-Listen von ICQ und Co. jederzeit abgefragt werden kann.



SIP wird von den meisten Herstellern von IP-Telefonen unterstützt, und auch Betriebssystemanbieter von Microsoft bis Lindows haben ihre Produkte mit SIP-Support ausgestattet, so dass zum Telefonieren nicht nur dedizierte Handsets und allenfalls PDAs, sondern auch reine Softwareanwendungen auf PC-Clients eingesetzt werden können, sogenannte Softphones. Das SIP-Protokoll wird aus all diesen Gründen in künftigen VoIP-Anwendungen gegenüber H.323 die Oberhand gewinnen.


Ganz so einfach ist es nicht

Von einer Telefonverbindung erwartet man einwandfreie Sprachqualität, in der Schweiz mit ihrem hochwertigen Netz noch mehr als zum Beispiel in den USA, und zwar unabhängig von der eingesetzten Technik. Die ersten VoIP-Installationen hatten mit erheblichen Qualitätsproblemen zu kämpfen - Verzögerungen, Echos und schlechte Verständlichkeit waren an der Tagesordnung. Man merkte schlicht, wenn am anderen Ende ein VoIP-Teilnehmer sprach.
In der Zwischenzeit hat sich in verkabelten VoIP-Anlagen die Qualität dramatisch verbessert, dies vor allem dank durchgängig implementierten, standardisierten Quality-of-Service-Mechanismen. Überhaupt wurden die Unternehmensnetzwerke in den letzten Jahren stark optimiert: leistungsfähige Switches, 100 Megabit an jedem Arbeitsplatz und Gigabit-Backbones sind heute eine Selbstverständlichkeit.



Anders sieht es bei Wireless LANs aus: Noch basieren die meisten Installationen auf dem Standard 802.11b, der nominell einen Durchsatz von 11 Megabit pro Sekunde bietet. In der Praxis lässt sich davon höchstens die Hälfte realisieren. Mit der Entfernung nimmt zudem die Signalstärke ab, und Interferenzen nehmen mit der Anzahl installierter Access Points zu. Die Folge: Die verfügbare Gesamtbandbreite wird noch schmaler.




Zweitens existieren bis heute keine offiziellen Quality-of-Service-Standards fürs WLAN. Ohne priorisierte Behandlung der Voice-Daten lässt sich aber keine auch nur annähernd befriedigende Sprachqualität realisieren. WLAN-Hersteller wie Spectralink und Symbol haben deshalb proprietäre QoS-Implementationen auf den Markt gebracht, die auch ganz gut funktionieren und von diversen VoIP-Herstellern unterstützt werden. Offiziell abgesegnet und industrieweit anwendbar sind das Voice Priority Protocol von Spectralink SVP und der Priorisierungsmechanismus von Symbol aber nicht.



Der offizielle IEEE-Standard für QoS im WLAN heisst 802.11e, bietet acht Prioritätsstufen und sollte eigentlich schon Ende 2003 verabschiedet werden. Die definitive Fassung lässt jedoch immer noch auf sich warten - irgendwann 2004 soll es soweit sein. Bis dann arbeiten alle Produkte entweder mit einem proprietären Ansatz oder mit der vorläufigen 802.11e-Fassung. Beide Varianten garantieren nicht, dass heute installierte Geräte mit künftigem Standard-Equipment kompatibel sind.



Telefonie mit herkömmlicher und virtueller Zentrale


Bitte keine Verzögerungen!

Das auffälligste Merkmal früher VoIP-Anlagen waren Verzögerungen und Echos, die jedem Gespräch von Büro zu Büro in der gleichen Firma einen fast schon nostalgischen Übersee-Touch verliehen. Die ITU setzt im Standard G.114 für akzeptable Verbindungsqualität eine maximale Verzögerung von 150 Millisekunden fest.
Was in der Ethernet-basierten VoIP-Infrastruktur inzwischen weitgehend behoben ist, wird mit Voice over WLAN erneut zum Problem. Verzögerungen haben vielfältige Ursachen: Ein grundsätzlicher Zeitaufwand fällt beim Digitalisieren und Decodieren der Sprache an und wird vom Voice-Codec und der Leistung des Prozessors im Endgerät sowie weiterem technischen Kleinkram wie dem sogenannten Clock Drift verursacht (tritt auf, wenn die Endgeräte mit leicht unterschiedlichen Taktfrequenzen arbeiten).




Für alle zeitlich variablen Verzögerungen ist vor allem das Netzwerk verantwortlich. Je nach Belastung reagieren zum Beispiel die Zwischenspeicher in den Routern unterschiedlich; es kommt zu sprunghaft wechselnden Verzögerungen, im Jargon Jitter genannt. Im WLAN ist das Jitter-Problem akuter als im Ethernet-LAN. Verstopfung am Access Point bei mehreren gleichzeitig aktiven Teilnehmern und Mehrfachsendung von Paketen wegen mangelnder Signalstärke führen zu erheblichen Mehrverzögerungen. In einem typischen 802.11b-WLAN trägt allein der Jitter mit bis zu 100 Millisekunden zur Gesamtverzögerung bei. Abhilfe schafft ein Jitter Buffer, der die Verzögerungen in den Endgeräten auffängt.
Von höchster Bedeutung ist aber auch ein sorgfältiges WLAN-Design - man rechnet beispielsweise mit höchstens fünf Voice-Teilnehmern pro 802.11b-Access-Point. Ein ausführliches Whitepaper zur Optimierung von Wireless LANs für die Telefonie findet sich auf der Website von Texas Instruments (www.ti.com -> Suche nach "Including VoIP over WLAN").


Sichere Mobilität

Ein massgeblicher Faktor für die Popularität von Wireless LANs ist das nahtlose Roaming zwischen verschiedenen Access Points. Für Sprachverbindungen gilt dies ganz besonders: Es mag noch halbwegs akzeptabel sein, die Verbindung zu einem Server nach dem Gang in ein anderes Büro nochmals aufzubauen; ein Telefongespräch will man aber kaum nur deshalb unterbrechen, weil man im Gebäude herumläuft. "Session Persistence" ist für WLAN-Telefonie unabdingbar, und zwar ohne dass an der Sicherheit Abstriche gemacht werden müssen.
Einige WLAN-Architekturen sehen zum Zweck höchstmöglicher Sicherheit vor, dass grundsätzlich jede Verbindung via IPSec und VPN-Tunnel erfolgt. Solche Lösungen bedingen aber oft, dass sich der Benutzer nach jedem Roaming wieder neu anmeldet - für Sprache also ungeeignet. Mit der seit kurzem verfügbaren verbesserten WiFi-Sicherheit (Wireless Protected Access WPA, dynamische Schlüsselvergabe, serverbasierte Authentifikation) dürfte aber der heutige Sicherheitsstand von WLANs auf Enterprise-Ebene den Anforderungen der Telefonie durchaus genügen. Im Lauf dieses Jahres kommt WPA zudem in einer zweiten Version, die dann dem offiziellen 802.11i-Sicherheitsstandard voll entspricht.


VoIP-Carrier für Geschäftskunden

VoIP-Technologie fasst nicht nur in unternehmensinternen Telefonanlagen langsam Fuss. Auch die Anbieter von Telefon-Infrastruktur, die Telcos oder Carrier, beginnen mit der Ergänzung oder sogar Ablösung der bisherigen TDM-Technik durch IP-basierte Sprachnetze. Mit einer VoIP-Infrastruktur im Hintergrund macht automatisch auch der interne VoIP-Einsatz bei den Kunden mehr Sinn.



Schweizer Premiere: VoIP-Services für Geschäftskunden


Als erster Schweizer Carrier, so der Geschäftsführer Hanspeter Tinner, bietet die Zürcher Solpa AG ein "Next Generation"-Telekommunikationsnetz auf IP-Basis an. Das Unternehmen ging aus der ehemaligen T-Systems Multilink hervor und will auf dieser Grundlage sowohl öffentlich vermittelte Sprachdienste für Geschäftskunden als auch eine Reihe spezieller Services für Organisationen anbieten, die intern bereits mit VoIP-Technologie arbeiten. Zwei Angebote stehen im Zentrum:





• VoIP-Gateways nehmen Kunden mit interner VoIP-Telefonie die Anschaffung und den Betrieb eines eigenen Gateway zwischen dem internen und dem öffentlichen Telefonnetz ab.




• Noch weiter geht VoIP-Centrex: An Stelle einer hardwarebasierten VoIP-Telefonzentrale übernimmt dieser durch strikte Service Level Agreements abgesicherte Dienst alle Vermittlungs- und Steuerungsfunktionen der unternehmensinternen Telefonie.



Solpa betont insbesondere die geringeren Kosten - eigenes, auf die jeweils installierte Telefonanlage geschultes Technikpersonal entfällt; Hardware- und Softwareupdates werden im Hintergrund durch den Dienstanbieter erledigt. Das Basispaket umfasst alle Funktionen, die normalerweise die eigene Telefonzentrale abdeckt, inklusive der Anbindung ans öffentliche Telefonnetz. Das Management der virtuellen Telefonzentrale erfolgt über ein Web-Interface.



Basistechnologie von Siemens


Hinter dem Solpa-Angebot steckt Surpass, eine speziell für Carrier entwickelte Netzwerk- und Switch-Architektur von Siemens. Sie arbeitet sowohl mit herkömmlicher als auch mit IP-Technik und erleichtert damit die Migration von der alten zur neuen Telefoniewelt. Laut Siemens ist Surpass bei den Telcos dieser Welt schon recht populär: Über 60 Festnetzbetreiber haben Surpass-Lösungen geordert, darunter hierzulande weniger bekannte Anbieter wie Telefon Egypt und SingTel, aber auch die grosse British Telecom. Das Schweizer Solpa-Netz befindet sich im Moment im Aufbau. Die neuen VoIP-Dienste sind ab dem ersten Mai 2004 verfügbar.

(ubi)


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