Editorial

Ein Doppelverrat, der keiner ist

Wie Red Hat es beabsichtigt und teilweise schon realisiert hat, ist Novell schon immer fast ausschliesslich an Geschäftskunden interessiert. Stirbt Linux als Windows-Alternative für Otto Normalverbraucher also?

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/20

     

Gleich zweifach geriet die Linux-Welt letztens aus den Fugen. Zuerst kündigt Red Hat, der wichtigste Linux-Distributor ennet dem grossen Teich, den Desktop-Usern die Liebe: Zwar gibt es unter dem Namen Enterprise Linux Workstation nach wie vor eine Produktvariante für Arbeitsstationen, sie wird jedoch nur am Rande beworben und kostet, wie ein erboster Teilnehmer eines Online-Forums feststellt, mehr als Windows XP. Ein anderer verkündet sogar, er habe sofort seine Red-Hat-Aktien abgestossen.



Es ist ganz klar: Red Hat will weg vom Desktop und kümmert sich seriös nur noch um die Serverseite. Das hauseigene Desktop-Linux soll in Zukunft unter dem Namen Fedora durch die Open-Source-Gemeinde gepflegt werden.




Verrat, wittert die Linux-Community, und schon kommt der nächste Schlag: Die Nürnberger Suse, Konfiguratorin und Vertreiberin der hierzulande beliebtesten Distribution, lässt sich von Novell kaufen - auf den ersten Blick auch dies nicht gerade ein Indiz, dass der bisher eher schmürzelige Desktop-Erfolg des Open-Source-Betriebssystems künftig zunehmen soll, ist doch Novell traditionell kaum als Desktop-Company bekannt.



Ein zweiter Blick offenbart ausserdem, dass dem Suse-Erwerb die Akquisition von Ximian voranging. Deren Portefeuille enthält nicht nur eine Desktop-Distribution von Linux, sondern dazu noch eine attraktive Outlook-Alternative. Das ist eher ein Indiz für eine steigende Bedeutung des Desktop-Markts bei Novell als für die Aufgabe des Segments à la Red Hat. Allerdings: Wie Red Hat es beabsichtigt und teilweise schon realisiert hat, ist Novell schon immer fast ausschliesslich an Geschäftskunden interessiert. Stirbt Linux als Windows-Alternative für Otto Normalverbraucher also doch?



Nein, das dürfte sogar dann kaum geschehen, wenn Novell es wider Erwarten Red Hat nachmacht und die Desktop-Varianten aus dem Programm kippt. Denn es gibt vom GUI-freien Slackware für Hardcore-Kommandozeilenfans bis zum sympathischen Probier-Linux Knoppix fast unendlich viele weitere Desktop-Linuxe für alle Arten von Anwendern.



Besonders hervorheben möchte ich Lindows. Diese US-Distribution auf Basis von Debian ist für bisherige Windows-Anwender höchst attraktiv: Nicht bloss die OS-Installation ist sehr einfach; es gibt daneben auch einen optionalen Download- und Installations-Service im Abonnement, mit dem jede Menge von aktuellen Linux-Anwendungen ohne rpm-Befehle oder ähnliche Hindernisse aufgespielt werden können. Für beinharte Open-Source-Szenis ist das vermutlich eine Abscheulichkeit, für den IT-Laien jedoch ein Segen - der Komfort übertrifft alles, was man von der Windows-Welt her kennt.



Ich meine, dass Linux insgesamt von beiden Übernahmen nur profitiert. Mit der Konzentration auf die Serverseite macht Red Hat Ressourcen für die Eroberung der Unternehmens-IT frei. Die Strategie passt ganz zur Linie anderer Anbieter wie Oracle und IBM. Novell seinerseits erreicht mit dem Kauf von Ximian und Suse Marktsegmente, die in der Firmengeschichte noch nie adressiert wurden und hat nun auch auf dem Desktop ein valables Angebot parat. Und Linux erfährt in der Geschäftswelt eine enorme Steigerung der Glaubwürdigkeit. Nur bei Microsoft wird man sich in Zukunft wohl etwas wärmer anziehen müssen als auch schon.

(ubi)


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