Urs Binder: Internet mobil - Praktisch noch unpraktisch
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/38
Seit Anfang Oktober, so berichtet meine geliebte "Lokalzeitung von Weltformat", profitiert der Grossraum Tokio von einem Quantensprung der Mobilfunktechnik. NTT DoCoMo,das seit jeher für seine Innovationspotenz bekannte und mit fast zwei Dritteln Marktanteil grösste Mobiltelekom-Unternehmen Japans, setzt in die Realität um, was in unseren Breitengraden bisher nur durch auffällig exorbitante Lizenzzahlungen aufgefallen ist: Mit UMTS kann der technikbegeisterte Japaner, vorerst in einem Radius von dreissig Kilometern um seine Hauptstadt, statt wie bisher mit 9,6 Kilobit pro Sekunde (na ja, per HSCSD wären es ja immerhin schon 43,2) mit deren 384 mobil surfen.
Die Meldungen über die Akzeptanz des neuen Foma-Service (Freedom of Multimedia Mobile Access) könnten gegensätzlicher nicht sein: Auf der einen Seite waren die verfügbaren Drittgenerations-Handys trotz hohem Preis (für Japan sind fünf- bis achthundert Franken für ein Mobiltelefon schon fast Wucher) bereits am ersten Tag ausverkauft. Auf der anderen Seite sei das Echo bisher mässig - sogar der Anbieter selbst rechnet, trotz einer prognostizierten Abdeckung von über 80 Prozent schon ab März nächsten Jahres, bis 2003 nur gerade mit 150'000 Usern. Zur Erinnerung: Japan hat über 120 Millionen Einwohner. Ein weiteres Indiz für die geringe Markteinführungsdringlichkeit der multimedialen Mobildienste: DoCoMo hat den Start um vier Monate verschoben - eigentlich wollte man mit Foma schon im Sommer beginnen.
Warum ist das so? Ich glaube, es besteht schlicht und einfach kein Bedarf nach mobilem Breitband-Internetzugriff. Schon das leitungsgebundene Videotelefon, technisch im Grunde seit Jahren möglich und auch in Form von Produkten problemlos verfügbar, konnte sich nie durchsetzen. Sein Gegenüber will man eigentlich gar nicht sehen - zur Information genügt die Stimme, und dem persönlichen Aspekt der menschlichen Kommunikation verleiht die Bildfreiheit des Telefonierens erst so recht den geheimnisvoll-erotischen Touch. Was man schon gar nicht will: Dass der Gesprächspartner die Augenringe, die Bartstoppeln oder das nicht ganz frisch gewaschene T-Shirt sieht. Man möchte sich ja schliesslich nicht für jedes Telefonat eigens in Schale werfen müssen.
Ebenfalls so nötig wie ein Suspensorium im Nonnenkloster: Der Konsum visueller Unterhaltung on the road, von den UMTS-Protagonisten immer als Nutzungsszenario par excellence ins Feld geführt. Schon vom Walkman-Hören raten Unfallverhütungsexperten beim Auto- oder Velofahren sowie bei der "Bedienung von Maschinen", die auch in Medikamentenbeipackzetteln ja stets als Vorsichtsgrund angeführt wird, gründlich ab. Völlig ausser Frage steht, bei solcherart Aktivitäten neben dem Ohr auch noch das Auge mit Entertainment zu besetzen.
Auch der grösste Technikfreak dürfte noch aus einem anderen Grund vorerst vor dem Gebrauch von den Mobilfunkangeboten der zweieinhalbten und dritten Generation zurückschrecken. Die Kosten sind ausserhalb jedes erträglichen Masses, was nicht nur für UMTS, sondern auch für die auch hierzulande bereits erhältlichen GPRS-Dienste gilt.
Zehn Franken pro Megabyte sind eine Frechheit - "always on" hin oder her. Mit einem Megabyte lässt sich zwar eine Menge kurzer Text-E-Mails herunterladen, das Websurfen geht aber gewaltig ins Geld: Rechnet man mit schlanken 30 Kilobyte pro Seite, die mit ein paar Bildchen schnell anfallen, ist ein Megabyte an Datenvolumen schon mit 35 Seiten versurft, macht für jede einzelne Seite fast dreissig Rappen. Und 35 Seiten kommen beim Durchschnittsanwender schnell zusammen.
Und irgendwelche Downloads von Musik und Schnickschnack sind darin noch gar nicht enthalten. Für die Breitentauglichkeit müssten, so meine ich, die GPRS-Tarife etwa zehnmal geringer angesetzt werden.
Und überhaupt: Wieso die dritte Generation, wenn es die zweite auch tut? Die wichtigsten mobilen Datenanwendungen funktionieren nämlich schon mit HSCSD ausgesprochen gut. WAP wird genügend schnell, so dass sogar ich als Sportmuffel letzthin per Handy überprüft habe, ob der FC Basel auch nach der Konfrontation mit Zürich noch an der Tabellenspitze lag. Und die E-Mail-Tauglichkeit des erweiterten GSM-Standards wurde an der Orbit deutlich, wo der neueste Schrei bei Ausstellern wie Besuchern ganz offensichtlich die Ausrüstung mit Pocket PC und Cardphone war. Die Realität sieht also für den mobilen Datenverkehr gar nicht so schlecht aus - nur eben nicht nach den Vorstellungen der Anbieter, sondern nach den Bedürfnissen der Kunden, und das ist gut so.