Alles aus einem Guss beim OCS
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/20
InfoWeek: Vor ziemlich genau einem Jahr ist der Office Communications Server 2007 (OCS 2007) erschienen. Was ziehen Sie für ein Fazit nach den ersten zwölf Monaten?
Erich Gebhardt: Ich ziehe ein extrem positives Fazit. Wir sind sehr überrascht, wie schnell der Office Communications Server 2007 bei grossen Firmen überall aufgenommen wurde. Der Launch fand ja am 4. Oktober 2007 in der Schweiz statt, und danach wurde der OCS 2007 im Oktober, November und Anfang Dezember weltweit freigegeben. Wir haben einen riesigen Erfolg, vor allem bei grossen Firmen, bei Pilotierungen und bei grösseren, produktiven Proof-of-Concepts.
Also ist der OCS 2007 vor allem ein Produkt für grosse Firmen?
Nein, eigentlich für alle Firmen, bei denen der PC und die Integration der Business-Prozesse in die Firmen-IT eine wichtige Rolle spielen. Wir machen ausserdem sogenannte TAP-Programme (Technical Adoption Program), bei welchen die Firmenkunden unsere Software schon vorab erhalten und testen können. In der Schweiz gehören zum Beispiel Swisscom und Webcall dazu.
Welches Feature wird von den Kunden besonders geschätzt?
Es sind nicht einzelne Features, sondern das Zusammenbringen aller Kommunikationsmedien auf der reinen IT- und PC-Client-Server-Welt integriert in Microsoft Office. Das ist das grösste positive Feedback.
Was sagen Sie einem Unternehmen, das fragt, wieso der Office Communications Server 2007 besser ist als die Plattformen von Avaya, Nortel oder Asterisk?
Unser UC-Produkt umfasst Messaging, Presence, Video und Voice, alles miteinander und als Teil von Microsoft Office. Wir glauben nicht mehr an einen Silo-Markt, in dem man ein einzelnes VoIP-System kauft und dieses später mit einer Videolösung oder einem Chat-Tool ergänzt. Genau das wollen wir nicht und das ist ein ganz grosser Unterschied von Microsoft zu den anderen Anbietern. Deshalb kann man auch die Microsoft-UC-Produkte nicht mit einer Nortel IP PBX oder einem Asterisk VoIP-Server vergleichen.
Sie müssen sich das vorstellen, wie vor fünfzehn Jahren, als E-Mail aufgekommen ist. Da hatte am Schluss jeder einen PC, aber auch noch eine Schreibmaschine, gebraucht wurde aber bald nur noch der PC. So kann man sich dies auch mit VoIP vorstellen. VoIP wird jetzt ein Standardmausklick in einer Applikation. Deshalb positionieren wir den OCS 2007 bewusst nicht als einzelne Insellösung.
Brent Kelly, Senior Analyst von Wainhouse Research, hat Microsofts UC-Ansatz als personenzentriert bezeichnet, im Gegensatz dazu ist IBM Lotus nach Kelly mehr System- und Plattform-orientiert. IBMs Philosophie basiere darauf, dass Unternehmen Offenheit erwarten und in heterogenen Umgebungen arbeiten. Firmen würden daher Ressourcen von einer verschiedenen Anzahl von Anbietern bevorzugen. Deshalb biete IBM eine Plattform, die mit Microsoft-, IBM-, Sun-, Linux- und Apple-Betriebssystemen umgehen könne und IBM-Lotus-Collaboration-Applikationen nutze. Eine solche Plattform könne einfach erweitert oder eingebettet werden. Der Office Communications Server 2007 hingegen verlange eine reine Microsoft-Infrastruktur.
Es ist klar, dass wir als Basis auf Microsoft Office setzen. Allerdings stellen wir den Entwicklern über Schnittstellen und die Visual-Studio-Entwicklungsplattform die ganzen Funktionalitäten bereit. Es ist nicht so, dass Microsoft quasi ein geschlossenes Windows- und Office-basierendes System anbietet, sondern man kann die komplette Entwicklungsumgebung nutzen und dann darauf irgendwelche Line-of-Business-Applikationen bauen. Wenn ich will, habe ich alles aus einem Guss, ich muss aber nicht.
Sie haben in Zürich einen grossen Teil zum Office Communications Server 2007 beigetragen.
Wir haben in der ersten Version sowie beim Release 2, der im Dezember fertiggestellt wird, einen grossen Teil dazu beigetragen, allerdings vor allem einen grossen Teil der Software-Entwicklung im VoIP-Bereich. Was wir zum Beispiel nicht machen, ist, an der Presence-Plattform zu entwickeln.
Also wird VoIP ausschliesslich in Zürich entwickelt?
Das kann man so nicht sagen, VoIP ist ja eine Technologie, die überall stattfindet. Wir machen in Zürich einen grossen Teil der Features, sowohl im Server als auch im Client. Was wir zum Beispiel nicht machen sind die verschiedenen unteren Schichten der Plattform, zum Beispiel die Audio-Plattform. Dies macht Microsoft in Redmond.
Der zweite Release von OCS 2007 kommt wann im Dezember?
Der technische Release (RTM = Release to Manufacture) erfolgt am 12. Dezember. Die Produkt-Launches finden danach statt. Der R2 wird bewusst als zweiter Release des OCR 2007 lanciert, weil wir in der OCS-Welt im Vergleich zu anderen Produkten einen relativ schnellen Release-Zyklus haben. Wir machen momentan alle 18 Monate einen Haupt-Release. Wenn man das bei Office machen würde, hätte der Kunde alle anderthalb Jahre eine komplett neue Umgebung. Das wäre in diesem Bereich sicher zu schnell.
Welche Neuerungen bringt der R2?
Wir machen alle Konferenzmechanismen für den ankommenden Verkehr tauglich. Bereits beim jetzigen OCS kann man alle Telefonkonferenzen und Live-Meetings in-house machen. Nun machen wir den OCS 2007 Dial-in-fähig, was bedeutet, dass ich als Kunde schlussendlich der Betreiber meiner eigenen Konferenz-Bridge bin. Das hat nicht nur finanzielle Vorteile, sondern ist auch viel einfacher in der Handhabung.
Wir machen auch eine Abrundung der Enterprise-Telefonie-Features. Wir haben uns beim ersten Wurf bewusst auf die wichtigsten Funktionen beschränkt. Nun folgt eine Abrundung mit den typischen Funktionen, die klassische Telefonzentralen hatten.
Ausserdem kommt mit dem R2 ein zusätzlicher Client für Vieltelefonierer.
Auf der Serverseite bringen wir eine Routing Engine. Es gibt gewisse Bereiche in Firmen, wo Anrufe aktiv gemanagt werden, zum Beispiel in einem Sales Team. Der OCS Server kann die Anrufe automatisch auf die Teams verteilen.
Beinhaltet der Release 2 neue Business-fokussierte Kommunikationsdienste für Mobiltelefone?
Unsere Client-Produkte werden immer auch in einer Version für Windows mobile bereitgestellt. Die mobile Version hat in etwa dieselben Funktionalitäten wie der normale Communicator.
Können auf dem zweiten Release andere Betriebssysteme als Microsoft-OS betrieben werden?
Wir bieten Windows mobile, Windows für PC sowie auch Webaccess. Aber es ist jetzt nicht so, dass wir einen Communicator-Client für Linux machen würden. Ausserdem bauen auch andere Hersteller mit eigenem Betriebssystem eigene SIP-Clients, die sie an unserer Plattform anmelden können. Wir sagen nicht, dass nur weil Microsoft jetzt eine solche Plattform bringt, auch in der Kommunikationswelt alles auf Windows gehen muss.
Es gibt viele OS-Voice-Lösungen, wieso sollte jemand auf eine Microsoft-Lösung setzen und dafür bezahlen?
Auch beim VoIP-Bereich gilt der Grundsatz: Selbst wenn ich alles kostenlos und selber mache, habe ich dennoch relativ hohe Engineering-Aufwände mit IT-Fachleuten, bis dann alles funktioniert. Hier bietet sicher der gemanagte Approach, wie ihn Microsoft anbietet, mehr Betriebsqualität. Und im VoIP-Bereich passt die Argumentation, dass wir sagen, VoIP ist gar keine separate Infrastruktur mehr, it’s just another Mouseclick. Wenn sich jemand für IBM Lotus Notes als E-Mail-Tool entscheidet und auch noch VoIP will, dann muss er wieder in den Markt gehen und eine Evaluation machen. Zudem muss das System nachher so gut wie möglich integriert werden. Wer sich für Windows und Office entscheidet, der hat diese Funktionen zusätzlich dabei. Sie kosten zwar etwas, aber man hat von Anfang an alles aus einer Hand. Bei einer Open-Source-Lösung sind am Schluss die Komponenten etwas billiger, dafür hat man einen grösseren Integrationsaufwand.
Was können Unternehmen in näherer Zukunft im UC-Bereich erwarten?
Ein grosser Schwerpunkt ist Hosting, wobei hier vor allem die KMUs profitieren werden. Zudem sind wir natürlich Teil von Microsofts Software-plus-Service-Offensive. Die grossen Carrier sollen alle Dienste aus einer Hand über das Internet anbieten können. Ein weiterer Schwerpunkt ist natürlich Mobility, wo UC generell eine wichtige Rolle spielt.
Sie sind in ein neues, grösseres Developer Center in Zürich umgezogen und wollen innerhalb der nächsten drei Jahre von heute 50 auf 200 Mitarbeiter ausbauen. Was steckt dahinter und was können wir künftig erwarten?
Wir sind auf Anfang Oktober 2008 umgezogen, weil wir mehr Platz brauchen. Als Microsoft unsere Firma kaufte, hatten wir als erstes Ziel, das ganze Know-how der Technologie in die MS-Produkte einzubringen. Das haben wir bis zum ersten OCS 2007 geschafft. Wir haben dazu etwa zwanzig neue Leute eingestellt, aber wir wollten die Integration möglichst mit dem Kernteam machen. Diese Phase haben wir dann abgeschlossen, und Ende 2007 sind wir über die Bücher gegangen und haben uns die Fragen gestellt: Was machen wir jetzt? Wie geht es jetzt weiter? Da hat Microsoft aus mehreren Gründen entschieden, den Standort in Zürich nicht nur weiterzuführen, sondern auch auszubauen. Auszubauen im Prinzip in ein ganz normales Microsoft-Entwicklungszentrum mit einer genügenden Grösse. Die kritische Masse für ein Microsoft-Entwicklungszentrum, das mehrere Standbeine hat, ist etwa 200 Leute. Der neue Standort ist vom Setup für diese Zielgrösse gemacht, wir haben genügend Platz. In einer ersten Phase bleiben wir, gerade mit dem OCS 2007 R2 und dem übernächsten Release stark auf VoIP konzentriert. Parallel werden dann weitere Standbeine hinzukommen.
Also steigt auch die Bedeutung des Zürcher Standortes und wird wichtiger für das Gesamtgeschäft von Microsoft?
Ja, wir lösen uns aus diesem VoIP-Kern und die Bedeutung steigt. Es ist für Microsoft wertvoll, im Herzen Europas ein Entwicklungszentrum zu haben. Zürich ist ein super Standort, wir bringen sehr viele Leute aus der ganzen Welt nach Zürich, wegen der Attraktivität, der Lebensqualität und der Sicherheit. Auch die Nähe zur ETH Zürich und EPFL spielt eine wichtige Rolle.
Aber gerade wenn Sie die Nähe zur ETH ansprechen: Die Schweiz hat ja bekanntlich ein Nachwuchsproblem…
Ja, das spürt Microsoft auch, aber weniger dramatisch als andere. Dies aus zwei Gründen: Es gibt zwar viel zu wenig Informatiker in der Schweiz, aber es gibt auch bei den Informatikern Unterschiede. Es gibt in der Schweiz nicht so viele Firmen, bei denen man ein Produkt von Null auf entwickeln kann, das nachher auf Hunderten von Millionen PCs läuft. Viele Firmen in der Schweiz, die auch Software-Entwicklung machen, sind eher in der Applikationsentwicklung tätig. Dort macht man ein Projekt über einen gewissen Zeitraum und schliesst es dann ab. Der zweite Grund ist, dass wir auf der ganzen Welt Recruiters haben und somit auch Talente aus dem Ausland in die Schweiz holen können. Hier profitieren wir von der Grösse von Microsoft.