Editorial

Wie Gates nun weiter?


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/13

     

Generationenwechsel bei Microsoft. Während den nächsten zwei Jahren will sich Bill Gates ­schrittweise zurückziehen, um sich ab Mitte 2008 voll und ganz seiner wohltätigen Arbeit in der Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung widmen zu können. Seine Rolle als «Chief Software Architect» gibt er aber schon heute an Lotus-Notes-Erfinder Ray Ozzie ab, der im April 2005 mit der Übernahme von Groove Networks zu Microsoft gestossen ist. Die Leitung der Forschungsabteilung übernimmt Craig Mundie. Gates wird noch als Chairman im Verwaltungsrat über Microsoft wachen, aus dem operativen Geschäft will er sich jedoch gänzlich zurückziehen.

Keine Frage: Bill Gates hat die IT-Landschaft in den letzten 20 Jahren geprägt wie kein anderer.
Visionen wie «a Computer on every Desktop» oder «Information at your fingertips» dienten nicht nur Microsoft, sondern einem grossen Teil der IT-Branche als Leitbild für die Entwicklung ihrer Geschäfte.




Nun stellt sich natürlich die Frage, wie wird der Softwarekonzern den Abgang seines Chefdenkers ­verkraften? Schliesslich kommt sein Rückzug in einer schwierigen Phase. Im Rahmen der Web-2.0-Euphorie geben heute im Internet Firmen wie Google oder Yahoo den Ton an. Die Produktzyklen von wichtigen Cash-cows wie Windows oder Office werden immer länger. Und die Akzeptanz für Open-Source-Software nimmt stetig zu. Hinzu kommt, dass sich Microsoft zunehmend schwer damit tut, echte Innovationen auf den Markt zu bringen. Ambitionierte Projekte bleiben oft auf der Strecke. Aktuellestes Beispiel ist der objektorientierte Datenspeicher WinFS (siehe Seite 13), der zu BillGs Lieblingsprojekten gehörte.



Doch gerade im Hinblick auf die vielen Herausforderungen, mit denen der Softwareriese zu kämpfen
hat, dürfte die Rotation in Microsofts Denkerstube gut tun. Neue Besen kehren bekanntlich gut. Im Falle von Microsoft möglicherweise sogar besser. Auch wenn Gates bei vielen Trends einen guten Riecher bewiesen hatte, so ist seine Weste alles andere als weiss. Teilweise produzierte er gar einige regelrechte Flops. Dazu gehörten beispielsweise die mehrfach missglückten Versuche, Pen-based ­Computing zu etablieren, die Fehleinschätzungen im Antitrust-Verfahren oder die schnucklige ­Win­dows-GUI Microsoft Bob. Der grösste Aussetzer unterlief dem Software-Tycoon aber 1995, als er den Durchbruch des Internets verschlief und stattdessen den hauseigenen, proprietären Online Service (MSN Network) durchdrücken wollte.




Der frische Wind, der mit Ray Ozzie und Craig Mundie bald durch die Redmonder Softwarelabors blasen wird, kann eigentlich nur Positives bewirken. Dass Microsoft punkto Geschäftsgebaren allzu stark vom bisher eingeschlagenen Kurs abweichen wird, ist aber kaum anzunehmen. Denn an der Spitze hält Steve Ballmer als smarter und knallharter CEO die Zügel nach wie vor fest in der Hand. Und als Chairman bleibt Gates dem Unternehmen weiterhin erhalten. Sollten Ozzie und Mundie wider Erwarten die
Visionen ausgehen, ist das Büro ihres ehemaligen Chefs wohl kaum mehr als ein Steinwurf entfernt.




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