Finanzbranche zwischen Offshoring und Outsourcing

Immer mehr Banken und Versicherungen verlagern Teile ihrer IT in Offshore-Regionen, betreiben einen Grossteil dort aber weiterhin selber.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/19

     

Die meisten Banken haben wenig Interesse daran, ihre Outsourcing-Strategien und insbesondere ihr BPO (Business Process Outsourcing) öffentlich und mit Nennung ihres Namens zu kommunizieren. Diese Erfahrung machten auch die Marktforscher des US-amerikanischen Beratungsunternehmens Celent anlässlich ihrer aktuellen Studie «BPO in Banking; A Review of Strategies and Trends» – zum wiederholten Mal, versteht sich. Der Grund dafür ist klar: Die Finanzdienstleister fürchten, dass ihr Ruf in der Öffentlichkeit – bei existierenden und potentiellen Kunden also – leidet, wenn im Detail bekannt würde, wie viel und was alles sie outsourcen. Speziell wenn es um Offshoring geht, so fürchten die Banken und Versicherungen, könnte das Vertrauen beim Publikum angekratzt werden.


Bald über 50 Prozent offshore

Der Wunsch nach Anonymität hin oder her – es ist eine unumstössliche Tatsache, dass immer mehr Finanzdienstleister immer mehr offshoren und auch outsourcen. Das belegt eindrücklich die jüngste Untersuchung von PricewaterhouseCoopers (PwC) zum Thema. Der Bericht mit dem Titel «Offshoring in the financial services industry: Risk and rewards», den PwC zusammen mit der Economist Intelligence Unit erarbeitet hat, kommt zum Schluss, dass gegenwärtig 45 Prozent der befragten Banken und Versicherungen offshore tätig sind. Innerhalb der nächsten drei Jahre, so die Auguren, dürfte dieser Anteil auf ungefähr 55 Prozent anwachsen. PwC versteht jedoch unter Offshoring nicht notwendigerweise Outsourcing. Viele Banken ziehen es nämlich immer noch vor, in Offshoring-Hochburgen wie Indien, China, Irland, Malaysia oder Singapur ihre eigenen IT-Dienstleistungszentren aufzubauen und zu betreiben. Allerdings wird sich der Trend, auch dort vermehrt nach Outsourcing-Spezialisten Ausschau zu halten und zunehmend Abläufe an diese zu delegieren, in Zukunft noch weiter verstärken.






PwC befragte für die Studie 156 Topkaderleute von Banken und Versicherungen aus aller Welt. 36 Prozent gaben an, niedrigerwertige IT-Aktivitäten, sprich Infrastrukturbetrieb, offshore von dort tätigen Outsourcing-Unternehmen ausführen zu lassen. 32 Prozent betreiben in diesen Ländern ihre eigenen Infrastrukturanlagen. Deutlich anders sieht es bei den höherwertigen IT-Aktivitäten, den Applikationen und Services, aus. Hier sourcen nur 25 Prozent an lokale Anbieter aus, während 37 Prozent auch offshore die volle Kontrolle darüber behalten wollen. Ebenfalls noch stark für Offshore-Outsourcing geeignet erachten die Finanzdienstleister niedrigerwertige Back-Office-Abläufe wie Lohnabrechnung und Rechnungswesen.


Strategische Flexibilität als Ziel

Da Banken und Versicherungen weltweit unter einem enormen und weiter zunehmenden Wettbewerbsdruck stehen, ist die Senkung der Kosten immer noch der Hauptgrund für Offshoring-Vorhaben. PwC weist in seiner Studie allerdings darauf hin, dass dies und die zwei anderen bislang wichtigsten Treiber – stärkere Konzentration auf die Kernkompetenz und verbesserte Service-Qualität – nicht mehr das Gewicht haben wie noch vor drei, vier Jahren. Gefragt nach den grössten Vorteilen, die ihnen das Offshoring gebracht hat, setzen die Finanzdienstleister die Kostensenkung zwar auf Platz eins. An zweiter Stelle folgt aber schon die strategische Flexibilität, noch vor der Konzentration auf die Kernkompetenz und Business
Continuity.





Was die Kosten angeht, sind Budgetüberschreitungen bei Offshoring-Projekten keine Seltenheit. Ein Drittel der von PwC Befragten gibt an, dass im ersten Jahr nach dem Start des Offshore-Betriebs die Kosten höher waren als vorher. Immerhin noch 15 Prozent melden, dass sich ihre Kostenbasis auch nach fünf Jahren Offshoring noch nicht verändert hat. Die Gründe für die enttäuschten Kostenerwartungen liegen für die meisten in der Qualitätskontrolle, beim Umzug in neue Offshore-Niederlassungen, in der Schulung und Umschulung des Personals und in Compliance-Anforderungen.
Nur in zwei Bereichen fallen die Kosten niedriger aus als ursprünglich angenommen: bei den Löhnen und bei den Steuern. Doch auch hier gibt es Ausnahmen, beispielsweise bei den Steuern. Beim Outsourcen an einen Offshore-Provider kann es leicht geschehen, dass der Umfang der anfallenden Mehrwertsteuer oder ähnlicher Abgaben, die an den externen Anbieter zu entrichten sind, im Vorfeld unterschätzt werden.





Die grössten Offshoring-Risiken und -Schwierigkeiten


Aus- und Weiterbildung ist wichtig

Auch bei den Löhnen verändert sich das Kostengefüge. In zahlreichen typischen Offshore-Regionen steigen sie angesichts der hohen Nachfrage stark. Das bedeutet nicht, dass die Lohndifferenzen zwischen westlichen Ländern und Auslagerungszentren wie China und Indien verschwinden. Allerdings wird es zunehmend schwieriger, dort sehr gut Ausgebildete zu extrem tiefen Löhnen anzustellen – und vor allem sie zu behalten. PwC schätzt, dass die jährliche Fluktuationsrate in den indischen Hauptzentren zwischen 40 und 60 Prozent liegt. Offshore die richtigen Leute zu finden und auch bei der Stange halten zu können, ist deshalb eines der grössten Probleme für auslagernde Finanzdienstleister. Die meisten geben folglich zu Protokoll, dass sie, einmal offshore tätig, der Personalfrage weit höhere Priorität zumessen als ursprünglich geplant.
Als Anreiz zur Verringerung der Fluktuation empfiehlt sich sicher einmal die Erhöhung der Grundlöhne. Das allein reicht aber nicht, weil dies alle machen und so den Transfer-Wettbewerb erst richtig anheizen. Die meisten Finanzdienstleister sind deshalb überzeugt,
dass es nur einen Weg gibt, offshore
hoch qualifizierte Mitarbiter zu behalten: eine gezielte Aus- und Weiterbildung sowie attraktive Karrieremöglichkeiten.


BPO noch in den Anfängen

Effektives Business Process Outsourcing (BPO) ist bei den Finanzdienstleistern gegenwärtig noch nicht sehr verbreitet, wird aber in den kommenden zwei, drei Jahren immer mehr zum Thema. Dies ist das Resultat
der eingangs erwähnten Celent-Studie. Werden heute höchstens horizontale Geschäftsprozesse (Personalwesen, Buchhaltung etc.) ausgelagert, dürften künftig vermehrt auch vertikale, branchenspezifische Abläufe ausgelagert werden – vor allem an darauf spezialisierte andere Finanzdienstleister.




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