Zwischen Anspruch und Realität

Unternehmensweites Business Process Management gibt es frühestens in drei Jahren.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/16

     

Studien, die von Herstellern in Auftrag gegeben oder gar selber erstellt werden, sind mit Vorsicht zu geniessen. Das gilt auch für die Untersuchung des BPM-Anbieters (Business Process Management) Carnot. Er hat nach eigenen Angaben 50 Fach- und Führungskräfte in Deutschland zum BPM-Einsatz befragt. Das Fazit: Zwei Fünftel der Unternehmen sind mit ihrer gegenwärtigen BPM-Lösung unzufrieden und erwägen, den Anbieter zu wechseln. Wie auch immer man die Aussagekraft der Studie beurteilen mag – eine Frage drängt sich in jedem Fall auf: Wie weit klaffen Anspruch und Realität beim Einsatz von BPM-Lösungen auseinander?


Mangelhaftes Wissen

Diese Frage stellt sich auch angesichts einer anderen Umfrage, welche die amerikanische Branchenvereinigung AIIM International in den USA durchgeführt hat. Demnach ist das Wissen um und das Verständnis für BPM und ECM (Enterprise Content Management) in Banken und Versicherungen erschreckend mangelhaft. Laut AIIM weiss nur die Hälfte der Endanwender, was ECM bedeutet – und auch bloss 47 Prozent verstehen das Kürzel BPM. Ausserdem sind 67 Prozent der Befragten überzeugt, dass BPM und ECM kaum etwas miteinender zu tun haben und dass sich entsprechende Projekte bloss teilweise überlappen.


«Vermutlich» zu viel versprochen

Angesichts dieser doch erstaunlichen Resultate wollte InfoWeek von BPM-Kennern renommierter Marktforschungsunternehmen wissen, wie sie die Lage einschätzen. Dass dabei wiederum unterschiedliche Sichtweisen zum Zug kommen, erstaunt wenig. Auf die Frage, ob die BPM-Anbieter den Anwenderfirmen zu viel versprochen haben und versprechen, antwortet beispielsweise Henry Peyret, Senior Analyst bei Forrester Research, mit «vermutlich ja». Allerdings gibt er zu bedenken, dass einige Anwender auch den Fehler begehen, den Marketingbotschaften der Hersteller zu sehr zu glauben. Laut Peyret dauert es noch mindestens drei Jahre, bis eine einzelne BPM-Plattform unternehmensweit sämtliche Prozesse abdecken wird.
Ähnlich sieht es Michael Melenovsky, seines Zeichens Research Director bei Gartner. Er ist sich allerdings sicher, dass sich die IT-Landschaft aufgrund der BPM-Entwicklung in fünf Jahren grundlegend anders darstellt als heute. Gegenwärtig, so Melenovsky, seien BPM-Projekte vorwiegend noch taktisch ausgerichtet – also auf Teilprozesse und Workflow-Gruppen. Das werde sich aber bis 2010 zugunsten von durchgängigen strategischen BPM-Implementierungen ändern.


Klare Verantwortlichkeiten

Rasmus Andsbjerg, Research Analyst bei IDC, wiederum will festgehalten haben, dass es ihm schwer falle, Studien zu kommentieren, bei denen er nicht genau wisse, wie sie zustande gekommen seien. Er ist erstaunt über den hohen Anteil der Unzufriedenen in der BPM-Umfrage von Carnot und verweist auf eine IDC-Umfrage bei 625 westeuropäischen Unternehmen. Diese bezieht sich auf die Software-Zufriedenheit im Allgemeinen und ergibt einen Unzufriedenheitsgrad von «nur» 13 Prozent. Andsbjerg glaubt auch nicht, dass die BPM-Anbieter mehr versprechen als sie halten können – zumindest nicht mehr als andere Softwarehersteller auch. Er rät aber sowohl Anbietern als auch Anwenderfirmen zur klaren Festlegung der Verantwortlichkeiten.
Forrester-Analyst Peyret seinerseits denkt mit Blick auf die Carnot-Studie, dass die Auswechslung einer BPM-Plattform in aller Regel nicht der richtige Schritt ist – ausser sie ist das Resultat einer klaren strategischen Entscheidung für bestimmte Komponenten, die dann optimal zusammenspielen.




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