Zwischen Sourcing-Dschungel und BPM-Brei

Der von PR-Agenturen und Marketingabteilungen aufgeblasene Tech-Jargon verwirrt nicht nur Privatanwender. Er macht auch den IT-Managern das Leben schwer.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/06

     

Ein jeder kann ein Lied davon singen: Die IT-Landschaft ist bis in die hintersten Winkel mit zungenbrecherischen Abkürzungen und hirnakrobatischen Schlagwörtern übersät. Anschauungsunterricht bot diesbezüglich einmal mehr die Monstermesse Cebit. Neben der üblichen Buchstabensuppe zur Bezeichnung von allerhand Protokollen und Formaten wurden in Hannover auch hochgezüchtete Marketingperlen feilgeboten. Nur ein Beispiel: Mit einer «Knowledge-Automatisations-Infrastruktur mit authentischen sprachübergreifenden Fähigkeiten» versuchte ein Speicherspezialist die Besucher von den Vorzügen seiner Produktepalette zu überzeugen.






Dass sich an einer Messe wie der Cebit die Aussteller durch Marketingsprüche mit äusserst begrenzter Haftung voneinander abgrenzen wollen, ist verständlich. Allerdings ist das nur die Spitze des Eisbergs. Denn spätestens seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts, als Apple und Microsoft damit begannen, eine Technik-skeptische Öffentlichkeit mit Slogans wie «Experience» und «Solution» für ihre Produkte zu ködern, beherrscht der grosse Bluff den IT-Jargon. Das wäre, salopp gesagt, nicht weiter schlimm, wenn es dabei bloss um Unterhaltungselektronik und Gadgets für Privatanwender ginge. Da sich aber die Business-IT ebenfalls mitten in diesem PR- und Marketingstrudel befindet, können die Folgen auch für IT-Manager und ganze Geschäftsleitungen lästig bis fatal sein.


Smart-, Dumb- und Stupidsourcing

Exemplarisch dafür ist das mittlerweile inflationär gewordene Vokabular rund um den neudeutschen Wortstamm «sourcing». Es geht hier keineswegs um Kritik an englischen Lehnwörtern – ganz im Gegenteil, denn diese sind in der IT schlicht unverzichtbar. Es geht aber umso mehr darum, auf die Schindluderei hinzuweisen, die mit den zahllosen «sourcing»-Neuschöpfungen getrieben wird. Ein Zückerchen der besonderen Art servierte kürzlich der Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, der das wirtschaftspolitisch belastete «Offshoring» – Stichwort Arbeitslosigkeit – durch die Eigenkreation «Smartsourcing» ersetzte.






Derartige Manöver sind nicht nur irreführend, sondern auch vollkommen überflüssig. Denn niemand würde im Ernst etwas out-, in-, multi-, single- oder backsourcen, wenn er nicht davon überzeugt wäre, dadurch «smart» zu sein. Selbstverständlich kann eine Sourcing-Strategie auch scheitern. Dennoch spricht man in diesem Fall kaum von «Dumb-» oder «Stupidsourcing». Allerdings hat das aufgeblasene Sourcing-Vokabular durchaus System, denn die Anbieter der entsprechenden Dienstleistungen müssen sich ja auf Teufel komm raus voneinander unterscheiden. Solange der ganz grosse Outsourcing-Boom ausbleibt, werden sie und ihre PR-Strategen also weiterhin am Ausbau des Sourcing-Wortschatzes arbeiten.


BPM und BI allüberall

Umgekehrt verhält es sich jeweils dort, wo der Boom schon da ist oder zumindest zum Greifen nah scheint. Exzellente Beispiele für dieses Szenario sind gegenwärtig Business Process Management (BPM) und Business Intelligence (BI). Da es allen Unternehmen unmittelbar einleuchtet, dass ohne eine effiziente Abstimmung der Geschäftsprozesse und ohne breite Nutzung des firmeninternen Wissens in einer globalisierten Wirtschaft kein Blumentopf zu gewinnen ist, weiss jeder, dass er BPM und BI einsetzen muss. Diese Haltung wiederum ist ein gefundenes Fressen für die Marketingabteilungen und PR-Agenturen der Softwarehäuser. Sie fragen sich: «Wie können wir das, was wir schon haben – oder Teile davon – als BPM- oder BI-Lösung verkaufen?» Die Folge davon: Alle möglichen «Anbieter» springen auf den jeweiligen Zug auf, auch wenn sie beispielsweise im BPM-Feld bloss ein Zeichenprogramm in petto haben – oder in der BI-Arena nur simple Zahlenreihen in ebenso banale Säulen- und Kuchengrafiken umwandeln können. Der Magneteffekt, den BPM und BI auf Softwarehersteller jeder Couleur ausüben, führt dazu, dass die Kürzel samt den dahinter liegenden Wörtern zunehmend an Schärfe und Bedeutung einbüssen. Dadurch fällt es auch dem branchenkundigsten IT-Manager immer schwerer, eine mit PR bombardierte Geschäftsleitung von den Vorzügen – und den Kosten – von wirklich funktionstüchtigen BPM- und BI-Lösungen überzeugen zu können.






Fazit: Im Interesse der IT-Manager ist zu hoffen, dass sowohl in der hyperdiffenzierten Sourcing-Arena als auch in den auf scheinbare Einheitlichkeit getrimmten BPM- und BI-Feldern diejenigen Anbieter auf der Strecke bleiben, die nur auf den Effekt von Hype-Wörtern setzen.




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