Trotz Smartphones eine Zukunft für PDAs

PDAs sind noch nicht vom Aussterben bedroht, doch kabellosen Übertragungstechnologien gehört die Zukunft.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/07

     

Smartphone, PDA, Handy: Die Welt ist mobiler denn je. Vor allem über den Begriff Smartphone stolpert man derzeit täglich, doch wie sich ein Smartphone eigentlich definiert, weiss niemand so genau nicht einmal die Hersteller selbst. Wir haben nachgefragt und die wohl eindeutigste Antwort bei SonyEricsson gefunden, wo man sich an der Definition der IT-Marktforscher von Canalys orientiert. Demnach sind Smartphones «Geräte in Handgrösse, die sich aus dem Voice-Bereich entwickelt haben, vollständig und in beide Richtungen synchronisierbar sind und ein Betriebssystem haben, das ohne Einschränkung für neue Applikationen offen ist».





Tatsache ist, dass sich das Handy vom konventionellen Hosentaschentelefon mehr und mehr in Richtung PDA entwickelt. Bestes Beispiel sind hier wohl die Treos von Handspring, eigentlich klassische PDAs, die mit Telefoniefunktionen angereichert wurden und deren jüngstes Modell mit der Bezeichnung 600 ausschliesslich vom klassischen Mobile-Carrier Orange als Business-Handy angepriesen wird.
Auch die CeBIT, die eben über die Bühne ging, hat aufgezeigt, dass dies die Richtung ist, in die die Entwicklung geht. Bei SonyEricssons angekündigtem S700i oder beim bereits erhältlichen P900 ist die Grenze zwischen PDA und Smartphone kaum mehr erkennbar, obwohl die Geräte von einem klassischen Handy-Anbieter stammen. Und auch Microsoft pusht mit seiner Windows Mobile 2003 Pocket PC Phone Edition die Telefonie-fähigen PDAs – findet bisher aber bei den grossen Handheld-Herstellern noch keinen Partner, der das OS einsetzt.


Hat der PDA noch Zukunft?

Von dieser Warte aus gesehen PDA und Telefon verschmelzen zusehends stellt sich unweigerlich die Frage, ob der klassische Handheld überhaupt noch eine Zukunft hat. Man ist sich bei dieser Frage bei den Herstellern zwar nicht zu 100 Prozent einig, tendenziell wird dem PDA aber auch für die nächsten Jahre eine Daseinsberechtigung ausgestellt. Einig ist man sich aber darüber, dass Smartphones mehr Potential haben. Dazu Rolf Ziebold von Orange: «Marktuntersuchungen von Gartner oder Strategic Analytics prognostizieren den intelligenten, multifunktionalen Handys ein eindrückliches Wachstum. Orange beobachtet vorab im Geschäftskundenbereich ein starkes Interesse und einen starken Trend hin zu den Signature Devices (Oranges Bezeichnung für Smartphones), welche zahlreiche Funktionen wie Agenda, Aufgabenliste, E-Mail, Internetzugang etc. verbunden mit integrierten Diensten der mobilen Sprach- und Datenkommunikation in einem Gerät vereinigen. Klassische PDAs werden aber so lange ihre Daseinsberechtigung behalten, wie es Kundinnen und Kunden gibt, die einem kleinen Handy mit Modemfunktionalitäten und einem separaten intelligenten Gerät den Vorzug geben.»




Andreas Burtscher, Product Marketing Manager bei SonyEricsson, sieht eine parallele Entwicklung. Die Entscheidung für oder wider einen Handheld mit Telefoniefunktion sei letztlich von der Verwendung abhängig: «Ein Teil unserer Kunden bevorzugt das Smartphone, da hierbei alle Funktionen jederzeit zur Verfügung stehen. Aber auch das geteilte Konzept mit PDA und Mobiltelefon hat seine Anhänger. Diese Personen nehmen ihren PDA nur dann mit, wenn sie ihn auch wirklich brauchen.»In diesem Falle wird der Handheld für mobile Datenanwendungen mit dem Telefon verbunden, das dann quasi als Modem dient. Ralf Stein, Leiter Marketing und Communications Central Region bei Fujitsu Siemens Computers, sieht als Grund, warum der Trend heute nicht noch stärker Richtung Smartphone geht, primär im Preis: «Die Systeme sind heute noch zu teuer für die breite Masse.» Bei HP hingegen sieht man den Grund dafür in der Tatsache, dass Smartphones aus der Voice-Ecke stammen und somit Anwendungen wie die Integration in Back-end-Systeme noch nicht so ausgereift sind und es zudem Mängel punkto Sicherheit gibt. Auch Achim Freyer, Software and Peripherials Manager bei Dell, wägt Smartphones und PDA gegeneinander ab und kommt zum Schluss, dass es im «im Endeffekt die Bildschirmgrösse und die Rechengeschwindigkeit sind, die dem PDA seine Daseinberechtigung geben».





Spannend ist in diesem Zusammenhang sicher die Meinung von Marc Heinrich, Country Manager Switzerland bei PalmOne. PalmOne stellt als einer der wenigen Hersteller sowohl klassische PDAs als auch Smartphones (der Marke Handspring) her. Heinrich ist der Überzeugung, dass der PDA-Markt nicht so tot ist, wie er von den Medien dargestellt wird: «Die Mehrheit der PDA-Benutzer bevorzugt immer noch die Zwei-Geräte-Strategie separater PDA und separates Handy. Nicht alle Benutzer wollen immer ein Smartphone rumtragen. Es gibt auf lange Sicht ein Parallelum zwischen beiden Welten.» PalmOne werde aus diesem Grund beide Plattformen weiterentwickeln und entsprechende Geräte lancieren.




Handy-Marktanteile 2003 weltweit



PDAs Übersicht


Ein PDA ist ein PDA

Wirft man einen Blick auf die Tabelle der derzeit aktuellen High-end-PDAs, stellt sich heraus, dass sich die einzelnen Modelle im wesentlichen sehr ähnlich sind. So kommt praktisch überall Intels XScale-Chip mit 400 MHz zum Einsatz, das RAM beträgt in der Regel 64 MB, und jedes Gerät hat einen Erweiterungs-Slot. Die Displays ähneln sich punkto Auflösung und Farbdarstellung, und in den meisten Geräten findet man zudem eingebaute WLAN-Funktionalität.
So weiss denn auch Levent Kaygusuz, Product Manager bei Toshiba, dass heute weitgehend die Formsprache darüber bestimmt, ob ein PDA beim Publikum ankommt.



HP setzt beim Spitzengerät h5550 auf Individualität mit Sicherheit und unterstreicht diesen Anspruch mit einem eingebauten biometrischen Fingerabdruckleser sowie integrierter VPN- und Datenverschlüsselungssoftware. Dell versucht sich von der Masse abzuheben, indem den Kunden Zusatznutzen wie auswechselbare Akkus bei gleichzeitiger Verwendung von Zusatzbatterien oder die Möglichkeit, Zusatzbatterien auf der Dockingstation aufzuladen, geboten werden. Palm vertraut bei der Abgrenzung auf sein Betriebssystem, wie Heinrich erklärt: «Bei einem PDA gelten nicht wie beim PC die reinen technischen Spezifikationen als Haupt-Kaufgrund, sondern die Einfachheit, Verständlichkeit und Bedienbarkeit des Gerätes respektive der mitgelieferten Funktionen.»




Erstaunlicherweise versucht aber keiner der Hersteller, sein Gerät über den Preis anzupreisen. Und dies, obwohl beispielsweise Dells Axim X3i Wireless nur knapp halb so viel kostet wie HPs biometrisch geschützter h5550 wohlgemerkt bei ansonsten sehr ähnlichen Leistungsmerkmalen.


Was hat man? Was gefällt?

So sollte denn bei der Kaufentscheidung eines PDA primär einmal durchdacht werden, für welche Anwendungen das Gerät gebraucht wird und vor allem auch, was für Geräte man bereits im Einsatz hat. Ist in der Firma beispielsweise ein WLAN-Netz vorhanden oder besitzt man ein GPRS-Handy mit Bluetooth oder Infrarot-Port, sollte man die jeweiligen Funktionen auch im PDA nicht missen wollen. Genau gleich verhält es sich auch mit Erweiterungs-Slots wer bei einem Gerät auf SD-Cards setzt, fährt am besten, wenn er an allen Geräten einen entsprechenden Schacht findet. So kann man im Prinzip den richtigen PDA Schritt für Schritt evaluieren und die Auswahl schon beträchtlich eingrenzen. Kommen mehrere Geräte in Frage, entscheidet letztlich der Bauch aufgrund der Optik oder auch der Geldbeutel. Ausserdem lohnt es sich, einen Blick auf das Zubehörprogramm zu werfen und sich umzuhören, wie es mit dem Aftersales-Service beim jeweiligen Hersteller steht.




Smartphones Übersicht


Der PDA in zwei Jahren

Spannend ist ein Ausblick in die Zukunft. So beispielsweise der von Achim Freyer von Dell, der davon spricht, dass integrierte Festplatten ein Thema werden könnten, was zwar Spekulation sei, aber dann direkt den Markt der MP-3-Player tangieren könnte. Freyer: «Stellen Sie sich vor: Ein MP3-Player mit Prozessor, Firewire-Anschluss, WiFi, CF- und SD-Slot, 2-GHz-Prozessor und einem Betriebssystem, das auf Knopfdruck eingeschaltet wird und sofort arbeitet.» Zukunftsvisionen; der Ausblick auf die nächsten ein, zwei Jahre sieht wohl eher so aus, dass sich die Geräte noch stärker in Richtung Kommunikation und Multimedia entwickeln. «Wireless Messaging Services werden immer wichtiger», ist Melanie Schneider, Business Development Manager Handhelds bei HP, überzeugt. Diese Services müssten aber einfach zu nutzen sein, was heute nicht immer der Fall sei. Die Integrationsoptionen erwähnt Schneider ebenfalls, und zwar sowohl die vertikale Integration (Branchenlösungen auf mobile Endgeräte portiert) wie auch die horizontale Integration (Kompatibilität beispielsweise mit Outlook). Bei Fujitsu Siemens ist man überzeugt, dass wir in zwei Jahren Systeme haben werden, die GPRS/UMTS-fähig sind und alle PDA-Funktionen von heute enthalten Smartphones also. Zudem spricht man von kleineren, leichteren Geräten mit integrierten 2- bis 3-Megapixel-Kameras und längerer Batterielebensdauer dank modularen Batteriekonzepten. Gemäss Palm-Mann Heinrich werden die Antriebsmotoren Speicherkapazitäten, Rechnerleistung und Software sein. Vielleicht ist also Freyers Zukunfts-Spekulation des PDA mit 2-GHz-Chip und Festplatte gar nicht so utopisch.


Grösser, kleiner, WLAN

Bei der Kaufentscheidung für ein Smartphone zählen letztlich ähnliche Kriterien wie bei den PDAs. Mit welchen Geräten beziehungsweise über welche Funktechnologie will ich mein Smartphone verbinden? Will ich meine Daten mittels Erweiterungs-Slot austauschen oder die Speicherkapazität des Geräts erweitern? Welche Multimedia-Features sprechen mich an? Die Unterschiede zwischen den einzelnen Smartphones sind jedoch wesentlich grösser als bei den PDAs; das betrifft sowohl die Features, die Ausstattung mit beispielsweise einem Touchscreen sowie vor allem den Formfaktor. Deshalb dürfte der Smartphone-Kauf weniger zum Kauf aus dem Bauch heraus aufgrund der Ästhetik der Geräte oder des Preises verkommen.




Die Zukunft der Smartphones heisst sicher UMTS. Die Technologie dürfte den Telefonen noch einmal einen kräftigen Schub verleihen, macht sie doch das Arbeiten von unterwegs beispielsweise das Herunterladen von Mails mit Attachments erst richtig komfortabel. Ebenfalls zum Thema wird oder ist im Falle von Nokias 9500 Communicator bereits eingebaute WLAN-Funktionalität. Die Realität wird in einem oder zwei Jahren wohl so aussehen, dass UMTS und WLAN parallel funktionieren und die Endgeräte das jeweils verfügbare schnellste Netz nutzen. Auch Fernsehen auf dem Handy wird über kurz oder lang zur Realität entsprechende Versuche in Japan laufen bereits. Ansonsten antworten die Hersteller auf die Frage nach der Smartphone-Zukunft mit grösseren Displays bei kompakter Gesamtgrösse und insbesondere auch mit besseren Eingabemöglichkeiten. Dazu Andreas Burtscher von SonyEricsson: «Vom Design der Geräte kann man hier einige innovative Ansätze erwarten, allerdings darf die Bedienerfreundlichkeit dabei nicht aus den Augen verloren werden.»





Was auch von einigen Handy-Produzenten hervorgehoben wird, ist die Tatsache, dass Smartphones in ihrem Funktionsumfang durch Software erweitert werden können. Dazu nochmals Burtscher: «Der Benutzer beeinflusst allerdings Umfang und Art der Funktionalitäten selbst, denn er entscheidet, welche Applikationen er auf das Smartphone integrieren möchte. Der Kunde wird sein Smartphone zu seinem ganz persönlichen Werkzeug machen.»



PDA Marktanteile 2003 in Westeuropa


Palm OS 5


• Oberfläche zu Beginn gewöhnungsbedürftig, wie auch die Datenbankstruktur anstelle von Ordnern und Dateien


• stabiler


• schlankes, ressourcenschonendes
System


• Programme werden bei Nichtbenutzung geschlossen


• Graffiti-Schriftenerkennung gewöhnungsbedürftig


• DocumentsToGo wird häufig zu Palm-Geräten mitgeliefert und ist insgesamt etwas leistungsfähiger als Pocket-Excel bzw. -Word


• grössere Auswahl an verfügbarer Software (über 20'000 Titel)


Pocket PC 2003


• für Windows-User vertraute Benutzeroberfläche mit ähnlicher Ordner- und Dateistruktur


• Programme laufen auch bei Nichtbenutzung im Hintergrund weiter und müssen umständlich abgeschaltet werden (rechenintensiv)


• Hardware-hungrig


• Handschrifterkennung im System integriert (rechenintensiv)


• vom PC bekannte Software wie Excel und Word als Pocket-Version integriert


• etwas mehr Software in der Grundausstattung


• leichte Vorteile bei der Termin- und der Adressverwaltung

(mw)


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