IT-Einstieg: Diplome als Ausweis
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/36
Es ist noch nicht lange her, als jeder durchschnittlich gebildete Mensch einen Einstieg in die faszinierende IT-Welt praktisch auf dem Silbertablett serviert bekam. Die Firmen waren interessiert an jedem, der ein gewisses Interesse für Bits und Bytes aufbrachte, und schulten ihn mit teils enormen Kosten und Aufwendungen zum fähigen Mitarbeiter. Vor allem Grossfirmen wie IBM oder Banken wie Credit Suisse haben Nachwuchskräfte in meist einjährigen "On-the-Job"-Programmen zu Spezialisten herangezüchtet - und machen das teilweise immer noch.
Es ist jedoch eine Tatsache, dass sich die Wirtschaftslage im IT-Bereich in den letzten Monaten drastisch verschlechtert hat, was sich auch auf die Arbeitsmarktsituation auswirkt. Quereinsteiger ohne Hochschulabschluss erhalten heute nur noch selten eine Chance in einer Firma. Diplome sind also mehr und mehr gefragt, und hier springen die zahlreichen IT-Schulen in die Bresche, die mit Titeln wie SIZ (Schweizerisches Informatik-Zertifikat) oder MCSE (Microsoft Certified Systems Engineer) locken. Doch was bringen diese Titel, wie hoch sind sie in den Unternehmen angesehen und vor allem - was können die Inhaber solcher Titel eigentlich?
"Einem jüngeren Umsteiger in die IT-Branche empfehle ich einen eidgenössisch anerkannten Abschluss, zum Beispiel das eidgenössische Fähigkeitszeugnis InformatikerIn", sagt Felix Ritter, Bereichsleiter Expert Seminars bei der weitum bekannten IT-Schule Digicomp.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Zum ersten ist zu erwarten, dass eidgenössische Titel in den nächsten Jahren auch grenzübergreifend anerkannt werden, zum anderen kann man sich mittels Berufsmatura und Fachhochschule weiterentwickeln, beispielsweise zum Wirtschaftsinformatiker. Eine Zusatzlehre als Informatiker kann problemlos bis zum Alter von 35 und mit einem technischen Berufsabschluss in Angriff genommen werden, glaubt Ritter weiter. Sie besteht aus einem Jahr Schule bei einem Zeitaufwand von 50 bis 60 Prozent sowie einem einjährigen Praktikum.
Auch die nichtstaatlichen Zertifikate seien aber seriös. "Ein SIZ kann sicher den Einstieg in die IT-Branche erleichtern, dann aber gilt es, mit Kursen weiterzumachen", so Ritter.
Zu den Hersteller-spezifischen Diplomen gibt Ritter zu bedenken, dass sie nur solange wertvoll seien, wie die Firma, die das Zertifikat erteilt, erfolgreich ist. Bei Zertifikaten von Grössen wie Microsoft, Sun oder Cisco ist das sicher weniger ein Problem, da diese Hersteller mittelfristig führend bleiben.
Bei Compaq beispielsweise hat man die Erfahrung gemacht, dass ein frisch gebackener IT-Diplomträger ohne praktische Erfahrung eine gewisse Einarbeitungszeit braucht, die einem Praktikum gleichkommt, lediglich nicht so bezeichnet wird. Es käme halt immer auf die jeweilige Situation an, in einem Team mit "alten Hasen" sei durchaus auch Platz für einen Absolventen eines SIZ-Lehrgangs.
Compaq bietet - wie viele andere Industriegrössen auch - einen internen, einjährigen Lehrgang an, der für Hochschulabsolventen bereitsteht. Leute aus diesem Trainingsprogramm seien auf dem Markt natürlich sehr gefragt und hätten auch eine Stelle bei Compaq zugesichert.
Bei IBM bietet man anerkannte Ausbildungen, beispielsweise SIZ, selbst an. Dementsprechend hoch werden die spezifischen Ausbildungen auch eingestuft. Obwohl die Praxis sicher wichtig sei, bringe ein SIZ-Abgänger eine solide theoretische Kompetenz mit sich, so Hermann Züger, Leiter Learning Service bei IBM.
Einen jungen PC- oder LAN-Supporter würde er sofort einstellen und dies auch einer kleineren Firma empfehlen, die entsprechenden Bedarf hat. "Bei jungen SIZ-Abgängern handelt es sich meist um exzellente, motivierte Leute", so Züger.
"Das SIZ hat einen hohen Stellenwert, vielleicht sogar höher als verdient", gibt Züger weiter zu Protokoll und bringt auch gleich ein Beispiel zum Webmaster- oder Webpublisher-Abschluss. Inzwischen gäbe es so einfach zu bedienende Tools, mit denen sich Sites erstellen lassen, dass gar keine umfassenden HTML-Programmierkenntnisse mehr nötig sind. Ein 15jähriger Computer-Freak könne mit Tools genauso attraktive Sites erstellen wie ein Webpublisher SIZ. Trotzdem: "Wenn ein Webpublisher mit einem Diplom kommt, habe ich ein Bild von seinem Wissen und seinen Fähigkeiten. Die in der Ausbildung zusätzlich erworbenen Kenntnisse wie Konzeption, Gestaltung und Realisierung einer Website ergeben eine fundierte Basis über den Webmaster beziehungsweise Webpublisher-Beruf."
Interessanter könnte hier unter Umständen aber ein Fachzertifikat sein, beispielsweise für Datenbankanwendungen. Denn diese Fähigkeiten kann man sich nicht ohne entsprechende Schulung auf dem Produkt erwerben. Die Gefahr, dass mit dem Verschwinden eines Produkts der Fachmann überflüssig wird, sieht der IBM-Mann weniger. Er habe die Erfahrung gemacht, dass sich diese Spezialisten mit der jeweiligen Marktsituation weiterentwickeln.
Zu guter Letzt verweist Züger auf die Qualität der Schulen, wo es schwarze Schafe mit Durchfallquoten von 50 Prozent genauso gibt wie Institutionen, die praktisch 100 Prozent ihrer Schüler durch die Prüfung führen. Bei IBM versucht man, mittels eines Eintrittstests diejenigen Kandidaten auszusortieren, denen das nötige Vorwissen fehlt. Einen Vergleich von 10 Schulen hat die Zeitschrift "Beobachter" im letzten Jahr angestellt. Die Ergebnisse sind auch online zu finden.