Stefan E. Fischer: Common Sense hilft der IT-Branche weiter
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/21
Man hätte es wissen können. Die Frage ist nur, ob man es auch hätte wissen wollen. Sie war eben viel zu schön, die Bergfahrt, es ging wie von alleine aufwärts - nur aufwärts:
Viel Kapital, viele gutbezahlt Jobs, kein Ärger mit Kunden - die gab's ja oft noch gar nicht, warteten aber selbstverständlich nur darauf, uns aus den Händen fressen zu dürfen. Toll: nur Gewinner, keine Verlierer! Zu schön um wahr zu sein.
Nun versuchen alle angeschlagenen Überlebenden krampfhaft, einen neuen Technotrend auszumachen oder herbeizureden. Zum Beispiel das Breitband-Internet, das für ein "Rewiring of the World" sorgen werde, selbstverständlich mit den entsprechenden Gewinnmöglichkeiten. Auf dass sich das Karussell von neuem drehe. So einfach wird es diesmal aber nicht werden.
Ein kritischer Blick zurück - und nach vorne - kann deshalb nicht schaden.
Das Sündenregister ist peinlich lang. Es findet sich darin zum Beispiel die Expansion um jeden Preis, auch wenn der Markt bei genauem Hinsehen nicht da war. Oder das Missmanagement von ach so spontanen Jung-Managern und Jung-Unternehmern ohne Erfahrung. Oder teuer bezahlte Berater ohne technisches und marketingspezifisches Rüstzeug und ohne saubere Businesspläne. Und hochjubelnde Analysten, die nur Zahlen aufschichteten, statt die Realitäten dahinter zu sehen. Und so weiter.
Interessant ist doch, dass es hier um professionelles Wissen geht, das gestern wie heute und morgen gebraucht wurde bzw. wird. Deshalb sei die Frage erlaubt: Würden in einer ähnlichen Situation auch die gleichen Sünden wieder begangen?
Vielleicht muss man die Geschichte von einer viel banaleren Seite her angehen. Was hier fehlte, war der gesunde Menschenverstand. Und wenn der fehlt, hat eine Branche zu keinem Zeitpunkt gute Aussichten.
Gesunder Menschenverstand würde vorab einmal heissen, zu beachten, dass die wirtschaftlichen Gesetze sich nicht "virtuell" ausser Kraft setzen lassen. Wer etwas verkaufen will, muss etwas haben, das andere brauchen können und deshalb kaufen wollen. Diese Regel ist weniger banal, als sie tönt, aktuelle Beispiele im Telefonmarkt sind Beweis genug. Und weil es viel Konkurrenz gibt - direkte und Substitution -, haben nur noch hochwertige, "sinnvolle", effiziente und hart kalkulierte Produkte eine Chance im Markt. Heisse Luft brauchen die wenigsten unserer Kunden.
Die "Neuen Technologien" haben auch die lästige Eigenschaft, dass sie immer teurer werden in bezug auf den Entwicklungsaufwand und in der Regel viel länger brauchen bis zur Realisierung als am Anfang vorausgesagt. Dieser Trend ist schon seit längerem bekannt und wird sich fortsetzen. Unter anderem auch, weil zunehmend politische Hürden wie Strahlenschutzverordnung oder Datenschutz-Gesetzgebung das Tempo bremsen.
Zum Common Sense gehört weiter, dass Investitionen nicht blind getätigt werden dürfen nach dem Prinzip "Hoffnung", sondern nur mit konservativer Kalkulation bezüglich Return on Investment.
Unternehmen, die nicht vorschnell an die Börse gingen, um ihre wackeligen Visionen locker zu finanzieren, sind heute besser dran. Sie waren gezwungen, mit dem Geld auszukommen, das "normal" finanziert wurde. Das zwang zu gesundem Geschäftsgebaren, vielleicht ohne Höhenflüge, aber mit sehr vernünftigem Ergebnis: Man ist heute noch da!
Ein weiteres Stück Common Sense findet sich im guten alten "Service-Gedanken". Der Kunde möchte nach wie vor ernst genommen werden, er legt Wert auf Betreuung und will nicht nach dem Kauf mit seinen Problemen alleine gelassen werden, weil der Lieferant lieber Akquisition betreibt. Das Prinzip, dass es billiger ist, einen bestehenden Kunde zu halten als einen neuen zu akquirieren, scheint in der High-Flyer-Phase vielen Unternehmen abhanden gekommen zu sein.
Und noch ein Lob des bestehenden Kunden: Er ist viel eher auch bereit, nicht nur neue, sondern webfähig gemachte existierende Produkte zu übernehmen (siehe zum Beispiel Produkte wie SAP, Abacus oder Documentum).
Gott sei's gedankt: Der Markt belohnt auch Unternehmen, die keine Sprünge machen, sondern kontinuierlich arbeiten und sich nicht von falschen Propheten ins Unheil schicken lassen.