Pflegefall Firmen-Gedächtnis


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/02

     

Wenn es darum geht, den Einsatz von Internet,
E-Mail und Computer im Unternehmen zu regeln, dann hat fast jeder grössere Betrieb Weisungen, die festhalten, was mit diesen ICT-Mitteln nicht getan werden darf. In den meisten Unternehmen sind Missbräuche jedoch ein eher marginales Problem. Sie lassen sich zudem auch durch strikte Weisungen nicht vollständig verhindern. Wichtiger wäre es daher, statt den falschen, den richtigen Umgang mit diesen Ressourcen zu definieren. Wurde zum Beispiel den Mitarbeitern schon genau erklärt, welche der tagtäglichen E-Mails langfristig archiviert werden müssen und wie das geht? Existiert eine klare Vorgabe, wie mit Attachments umzugehen ist? Wurde sichergestellt, dass Mitarbeiter geschäftliche Mails nicht (nur) in ihrem persönlichen Outlook-Ordner aufbewahren, den sie womöglich noch passwortgeschützt haben?





Die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben über die Aufbewahrung von Geschäftsbüchern und -korrespondenz ist nur ein Grund, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Das Eigeninteresse des Unternehmens, den Überblick trotz der wachsenden Datenflut nicht zu verlieren, müsste im Grunde noch grösser sein. Viele Unternehmen haben aber nur jene Daten im Griff, die in strukturierter oder halb-strukturierter Form in Geschäftsanwendungen wie etwa CRM-Systemen, Produktedatenbanken oder Finanzverwaltungssystemen lagern. Bei «frei» geschaffenen und verarbeiteten Dokumenten wie Word-Dateien oder E-Mails sind die Mitarbeiter häufig auf sich alleine gestellt, von rudimentären Mechanismen wie etwa den Suchfunktionen einer E-Mail-Lösung abgesehen. Die Mitarbeiter behelfen sich (in optimaleren Fällen) mit nach einem persönlichen (und damit jedesmal anderem) Schema angelegten Unterordnern in irgendwelchen Server-Verzeichnissen oder installieren (weniger zur Freude der IT) persönliche Suchtools wie Google. Teamfähig ist das eher selten.






Hinzu kommt das oft unterschätzte Problem, dass auf absehbare Zeit kaum ein Betrieb nur mit elektronischen oder nur mit Papierdokumenten arbeiten kann und will. Ersteres erfordert Dokumenten-Management-Systeme inklusive Scan-Prozesse, die aufwendig sind. Letzteres ist vielerorts je länger je mehr deshalb nicht mehr denkbar, weil sich nicht alle elektronisch vorliegenden Informationen auf Papier unter Erhaltung ihrer Funktionalität und Inhalte festhalten lassen. Das bedeutet freilich, dass der Dokumenten-Handling-Aufwand insgesamt deutlich steigt und nicht wie vielleicht erhofft abnimmt: Statt nur die Papierakten, muss nun parallel auch die elektronische Dokumentenablage à jour gehalten werden, und zwei «Files» in derselben Sache bedeuten ganz einfach mehr Overhead.





Wer die Lösung nur in technischen Massnahmen sieht, verkennt das Problem. Es geht auch nicht um die gesetzliche Aufbewahrungs-Anforderungen. Hierfür gibt es Lösungen. Die Herausforderung liegt darin, dass es trotz zweigeteilter Ablage und Mail-Volumen-Wachstum noch möglich ist, Dokumente und Vorgänge auch ­später noch nachvollziehen zu können. Will sich ein Unternehmen nicht darauf verlassen, dass der damals zuständige Mitarbeiter noch vorhanden ist, muss es die nötigen organistorischen Vorgaben zur Ablage heute schon treffen. Denn anders als das menschliche Gedächtnis optimiert sich die Ablage im Betrieb nicht von selbst.




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