Editorial

Wenigstens stinkt der archivierte Datenmüll nicht


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/02

     

Wissen Sie, wie viele Mails in Ihrem Spamfilter hängen bleiben? Hat Ihr Spamfilter auch schon wichtige Mails versehentlich abgefangen? Und jetzt versetzen Sie sich ins Jahr 2008: Jedes E-Mail mit sogenannt archivierungswürdigem Inhalt muss laut Gesetz garantiert archiviert werden. Und zwar eingehende wie ausgehende Mails im Originalzustand. Das heisst, dass eingehende noch von niemandem gelesen und ausgehende von niemandem mehr verändert werden dürfen.





Dämmert es Ihnen? Die einzige Möglichkeit, dies zu garantieren, ist, alle Mails zu archivieren. Für mich als unbescholtenem Bürger mit gehobenem Informatikwissen, der sich tunlichst hütet, sich auf dubiosen Websites einzutragen, bedeutet das, dass ich an einem durchschnittlichen Tag meinen Archivspeicherplatz mit 50 Prozent Spam fülle. Dazu kommen 20 Prozent belanglose Informationen, weitere 20 Prozent sind irrelevantes Hin- und Hergeplänkel. Nur gerade in
10 Prozent meiner Mails befinden sich für das Unternehmen wichtige Informationen, die allenfalls auch für die Revision relevant sein könnten. Diese Anteile ergeben sich aber nur, weil ich jeden Tag etwa 40 Mails schreibe und ähnlich viele (interessante) zurückerhalte. An einem Sonntag erhalte ich praktisch nur Spam. Und wenn ich in den Ferien bin, zu 70 Prozent und mehr. Wieso ich das alles so genau weiss? Nun, ich habe
gezählt...






Man kann mich als durchschnittlichen Business-Mailer betrachten, der eher wenig Spam erhält. Es gibt aber noch andere Mailer-Typen. Zum Beispiel die Damen und Herren vom mittleren Management, die sogenannten «Durchlauferhitzer»: Sie erhalten viele Mails von unten, die sie dann nach oben weiterleiten. Das können gut und gerne 200 Mails am Tag sein, was zwar die Spambilanz dramatisch verbessert, nicht aber die Archivierungswürdigkeit der Informationen. Immerhin können sie so den Eindruck erwecken, zu arbeiten – aber das ist eine andere Geschichte.





Auf der anderen Seite sind die Trittbrettfahrer, die beruflich eigentlich gar keine Mailbox haben müssten, aber trotzdem eine bekommen, weil das heute schliesslich jeder hat. Deren Spamrate liegt auf dem Niveau des Hotmail-Accounts eines Pubertierenden. Fehlt noch das obere Kader. Dessen Mailboxen werden in der Regel von persönlichen Assistenten bewirtschaftet, die aber selber zur Kategorie der Trittbrettfahrer gehören und so die eigentlich vorbildliche Spambilanz stark beeinträchtigen. Wurde der Assistent wegrationalisiert, erhält das obere Kader nur noch Mails, die sowieso an alle gesendet werden, alles Wichtige wird an Sitzungen besprochen.





Im Minimum haben also 9 von 10 E-Mails keinen archivierungswürdigen Inhalt. Trotzdem müssen sie aufbewahrt werden.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass das Wiederauffinden der relevanten Informationen in naher Zukunft problemlos möglich sein wird, bleibt der Umstand, dass die Mailarchive unserer Unternehmen mit elektronischem Müll gefüllt sein werden. Immerhin, wenn man bedenkt, dass alle anderen Massnahmen wesentlich teurer wären und in gewissen Schweizer Gemeinden auch andere Abfälle mit massiven Vorhängeschlössern in ihrem Container gesichert werden, erscheint mir eine solche E-Mail-Deponie doch ganz harmlos. Wenigstens stinkt sie nicht!




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