Die Netzwerkfähigkeit als Mass für die Industrialisierung der IT
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/01
Die «Industrialisierung» als Metapher für die Schaffung effektiver und effizienter Wertschöpfungsstrukturen hat ihren Weg schon länger in den Dienstleistungssektor und neuerdings auch in die Informatik gefunden. Industrialisierung verbindet Automatisierung mit Arbeitsteilung und Vernetzung. Damit bei Arbeitsteilung und Vernetzung die Schnittstellenkosten nicht explodieren, sind Standardisierung und Offenheit wichtige Voraussetzungen.
Die Schaffung arbeitsteiliger Strukturen und offener, vernetzter Umgebungen ist schon aus «nur» fachlicher oder «nur» technischer Sicht aufwendig. In der Informatik müssen aber fachliche und technische Strukturen aufeinander abgestimmt sein. Das heisst, es bedarf einer konsistenten (Um-)Gestaltung von Strategien, Prozessen, Organisationseinheiten, Applikationen und Plattformen.
Der Weg zur Informatik-Industrialisierung ist deshalb steinig und lang: Mehr oder weniger massive Veränderungen der strategischen Positionierung, des Zielsystems, des Leistungssystems, der Organisationsstruktur, der Abläufe, der operativen Führung, der Informationsflüsse, der Integrations-Infrastruktur, der Applikationslandschaft, der Informationssysteme können nicht «aus einem Guss», also von einem Team, in einem Projekt oder in einer Berichtsperiode konzipiert und umgesetzt werden.
Industrialisierung ist ein langer, komplexer und damit in der Ergebniserreichung permanent gefährdeter Prozess. Deshalb bedarf es eines systematischen Vorgehens, das sich nicht nur auf die Konzeption und Umsetzung beschränkt, sondern auch die Steuerung dieses Prozesses einbezieht.
Als Grundlage hierzu bietet sich das Konzept der Netzwerkfähigkeit an. Wenn Netzwerkfähigkeit ausreichend umfassend definiert ist und sowohl Strategie- wie auch Organisations- und IT-Ebene umfasst, lässt sich auf dieser Grundlage ein Messungs- und Steuerungskonzept für Industrialisierung realisieren. Auf Strategieebene lässt sich Netzwerkfähigkeit beispielsweise durch den Grad der Fokussierung des Geschäftsmodells (auf Integration, Produktion oder spezifische Kernkompetenzen wie Geschwindigkeit oder Flexibilität), die Menge der Wertschöpfungspartner oder die Geschwindigkeit, mit welcher Partner eingebunden oder entfernt werden können, operationalisieren. Auf Organisationsebene sollten die kollaborativen Planungs- und Steuerungsmechanismen sowie der Standardisierungsgrad von Leistungen und Diensten betrachtet werden. Auf IT-Ebene dagegen sind die Agilität der Applikationslandschaft, die Standardisierung von Architekturen und Schnittstellen sowie die Reife der Integrations-Infrastruktur wichtige Indikatoren für Netzwerkfähigkeit.
Ist das Verständnis von Netzwerkfähigkeit erst umfassend genug, lassen sich viele etablierte Methoden nutzen, um Soll-Vernetzung («Wieviel Vernetzung ist nötig?») und Ist-Vernetzung systematisch erfassen zu können und Industrialisierungsprozesse steuern zu können. So können Scorecards spezifiziert werden, die die wichtigsten Vernetzungsaspekte abbilden und damit Netzwerkfähigkeit greifbar machen. Auch können Reifegradmodelle adaptiert werden, um das Ausmass der Netzwerkfähigkeits-Zielerreichung fassbar zu machen und zu helfen, Prioritäten für Massnahmen zu setzen. Aus dem St. Galler Kompetenzzentrum «Health Network Engineering» (http://ehealth.iwi.unisg.ch) dürfen in nächster Zeit erste Ergebnisse erwartet werden, wie Vernetzungsfähigkeit am Beispiel des Gesundheitswesens systematisch erfassbar, gestaltbar und steuerbar gemacht werden kann.