Die Crux mit der Gebrauchtsoftware
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/01
In der Regel setzen Unternehmen in ihrem Betrieb Software ein, die sie gegen Entrichtung einer einmaligen Vergütung zur Nutzung auf unbeschränkte Zeit erworben haben. Bei den meisten Lizenzmodellen wird die Software dabei zum Gebrauch durch eine bestimmte Nutzerzahl erworben.
In jüngerer Zeit ist bei verschiedenen Unternehmen der Lizenzbedarf durch Redimensionierungen oder Geschäftsaufgaben und
-veräusserungen zurückgegangen oder gänzlich weggefallen. Dies hat zur Folge, dass die erworbenen Rechte zur Nutzung der Software ganz oder teilweise brach liegen, womit sich die Frage nach deren weiteren Verwertbarkeit stellt.
Während andere Assets wie etwa Firmenfahrzeuge, Büromobiliar oder auch Hardware sich relativ leicht veräussern lassen, gestaltet sich die Weitergabe bei Software ungleich schwieriger, denn die Softwarehersteller sind primär daran interessiert, möglichst viel neue Software in Verkehr zu setzen. Sie versuchen darum alles, um den Handel mit Gebrauchtsoftware zu verhindern – mit teils fragwürdigen Methoden und Argumenten.
Als Hindernis bei der Weitergabe von Gebrauchtsoftware könnte sich zunächst das Urheberrecht erweisen. Gemäss Urheberrechtsgesetz (URG) steht dem Urheber und damit dem Hersteller der Software das ausschliessliche Recht zu deren Verbreitung zu (Art. 10 Abs. 2 Bst. b URG). Wo ein Computerprogramm jedoch durch den Urheber oder mit dessen Zustimmung veräussert wurde, darf dieses gemäss dem urheberrechtlichen Erschöpfungsgrundsatz (Art. 12 Abs. 2 URG) weiterveräussert werden. Von einer Veräusserung in diesem Sinn ist immer dann auszugehen, wenn ein Computerprogramm dem Nutzer gegen Entrichtung einer Einmalvergütung zeitlich unbeschränkt überlassen wird, wie dies für Standard- und Branchensoftware üblich ist. In diesen Fällen steht das Urheberrecht einer Weitergabe von Software somit nicht entgegen.
Dessen ungeachtet versuchen die Hersteller, die Weitergabe der Software auf vertraglichem Wege zu verbieten oder an zusätzliche Bedingungen zu knüpfen. Typisches Bespiel bildet die Einschränkung, dass eine Weitergabe der Software auch bei einer grossen Anzahl Nutzungsrechte nur en bloc erfolgen darf.
Solche vertraglichen Regelungen widersprechen dem Erschöpfungsgrundsatz. Für das schweizerische Recht ist aber davon auszugehen, dass der Erschöpfungsgrundsatz keinen zwingenden Charakter hat und somit vertraglich aufgeschoben oder beschränkt werden kann. Damit kann die Softwareweitergabe auf vertraglichem Wege grundsätzlich erschwert werden.
Für viele Unternehmen bilden Softwareerwerb und -pflege eine Einheit. Ungepflegte Software veraltet rasch und kann innert kurzer Zeit nicht mehr vernünftig eingesetzt werden. Dadurch wird die Amortisation der Software-Investition gefährdet.
Bei einem Softwarepflegevertrag handelt es sich um ein Dauerschuldverhältnis, das ohne Zustimmung des Vertragspartners grundsätzlich nicht auf den Erwerber der Software übertragen werden kann. Der Erwerber hat somit selbst dafür zu sorgen, dass die von ihm erworbene Software gepflegt wird. Da die Softwarepflege meist mit Eingriffen in den Quellcode verbunden ist, kann und darf sie faktisch und rechtlich aber meist nur vom Hersteller vorgenommen werden. Diese Abhängigkeit nutzen zahlreiche Hersteller dazu, den Erwerbern die Freude an der günstigen Gebrauchtsoftware zu vergällen. Teilweise werden Pflegeleistungen für Gebrauchtsoftware gänzlich verweigert; in anderen Fällen werden subtilere Methoden eingesetzt. Verbreitet sind etwa Nachschusspflichten für Pflegegebühren während der Stilllegung der Softwarepflege oder die Differenzierung der Pflegebedingungen und namentlich -gebühren für Neu- und Gebrauchtsoftware.
Für den Erwerber der Gebrauchtsoftware stellt sich die Frage, ob er gegenüber dem Hersteller einen Anspruch auf die Erbringung von Pflegeleistungen geltend machen kann. Unter dem schweizerischen Recht wurde diese Frage soweit ersichtlich bislang nicht durch ein Gericht entschieden. Anders präsentiert sich die Situation in Deutschland, wo sowohl die überwiegende Lehre als auch die bisher ergangene Rechtsprechung die Ansicht vertreten, der Softwarehersteller sei zum Abschluss eines Pflegevertrags mit dem Nutzer grundsätzlich verpflichtet. Für die Schweiz kann von einer solchen Verpflichtung meiner Meinung nach bis auf Weiteres nicht ausgegangen werden. Dem Softwarehersteller bleibt es damit grundsätzlich freigestellt, gegenüber einem Erwerber von Gebrauchtsoftware Pflegeleistungen gar nicht oder nur zu unattraktiven Konditionen zu erbringen.
Unter rein vertragsrechtlichen Aspekten sind die von den Softwareherstellern aufgebauten Hürden zur Erschwerung des Gebrauchthandels nach dem Vorgesagten wohl hinzunehmen. In dieser Situation kann das Kartellrecht unter Umständen Remedur schaffen. Die Softwarehersteller tendieren dazu, die Anwendbarkeit des Kartellgesetzes (KG) auf die Weitergabe von Software abzulehnen. Sie argumentieren hierbei mit Art. 3 Abs. 2 KG, wonach Wettbewerbswirkungen, die sich ausschliesslich aus der Gesetzgebung über das geistige Eigentum ergeben, nicht vom Kartellrecht erfasst seien. Diese Auffassung geht fehl: Wegen des Erschöpfungsgrundsatzes kann die Weitergabe von Software nicht mehr unter Berufung auf Rechte des geistigen Eigentums untersagt oder beschränkt werden. Im Rahmen der Pflegeverträge spielen die Rechte des geistigen Eigentums bestenfalls eine untergeordnete Rolle. Darum muss das Kartellrecht volle Anwendung finden.
Das Kartellrecht sanktioniert unter anderem missbräuchliche Verhaltensweisen marktmächtiger Unternehmen (Art. 7 KG). Insbesondere die grossen Hersteller von Betriebssystem-, Büroautomations- oder Branchensoftware sind als marktmächtige Unternehmen einzustufen. Beispielhaft seien die von der EU-Kommission gefällten Microsoft-Entscheide erwähnt. Erst recht kommt den Softwareherstellern eine marktbeherrschende Stellung im Bereich der Softwarepflege zu, da sie sich diese regelmässig selbst vorbehalten.
Das Kartellrecht listet eine ganze Reihe unzulässiger Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen auf (Art. 7 Abs. 2 KG). Die gänzliche Verweigerung des Softwareherstellers zur Erbringung von Pflegeleistungen gegenüber dem Erwerber von Gebrauchtsoftware dürfte unter den Tatbestand der Verweigerung von Geschäftsbeziehungen (Bst. a) fallen. Ein vertragliches Verbot zur Weitergabe von Gebrauchtsoftware oder die Knüpfung der Weitergabe an zusätzliche Voraussetzungen können als Erzwingung unangemessener Geschäftsbedingungen (Bst. c) qualifiziert werden.
Die Unterscheidung bei den Pflegekonditionen und -gebühren für Neu- und Gebrauchtsoftware schliesslich stellt eine missbräuchliche Diskriminierung (Bst. b) dar, denn sie lässt sich weder sachlich noch wirtschaftlich rechtfertigen. Sie dient einzig dazu, einen Parallelmarkt mit Gebrauchtsoftware zu verhindern.
Zumindest bei marktbeherrschenden Softwareherstellern halten diese Praktiken einer kartellrechtlichen Prüfung nach hier vertretener Auffassung also nicht stand. Man darf deshalb gespannt sein, ob die Schweizerische Wettbewerbskommission sich in absehbarer Zeit mit dieser Frage wird auseinander setzen müssen.
Roland Mathys ist Wirtschafts-informatiker und arbeitet als Rechtsanwalt in der Basler Kanzlei Wenger Plattner. (roland.mathys@wenger-plattner.ch)
Art. 10 Abs. 1 Bst. b URG:
Verwendung des Werks
Der Urheber oder die Urheberin hat insbesondere das Recht, Werkexemplare anzubieten, zu veräussern oder sonst wie zu verbreiten.
Art. 12 Abs. 2 URG:
Erschöpfungsgrundsatz
Hat ein Urheber oder eine Urheberin ein Computerprogramm veräussert oder der Veräusserung zugestimmt, so darf dieses gebraucht oder weiterveräussert werden.
Art. 3 Abs. 2 KG: Verhältnis zu
anderen Rechtsvorschriften
Nicht unter das Gesetz fallen Wettbewerbswirkungen, die sich ausschliesslich aus der Gesetzgebung über das geistige Eigentum ergeben.
Art. 7 Abs. 2 KG: Unzulässige Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen
Als solche Verhaltensweisen fallen insbesondere in Betracht:
die Verweigerung von Geschäftsbeziehungen (z. B. die Liefer- oder Bezugssperre);
die Diskriminierung von Handelspartnern bei Preisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen;
die Erzwingung unangemessener Preise oder sonstiger unangemessener Geschäftsbedingungen.