Skype - oder die Macht des Faktischen
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/22
Was haben das World Wide Web, Peer-to-Peer-Tauschbörsen und Skype miteinander gemeinsam? Alle drei sind Anwendungen, die voll und ganz auf das Jekami-Prinzip ausgerichtet sind – jeder kann ohne nennenswerte Kontrolle mitmachen. Hat sich eine solche Anwendung erst einmal etabliert, ist eine nachträgliche Kurskorrektur kaum mehr möglich.
Beim World Wide Web entfachten illegale Inhalte auf ausländischen Servern die Diskussion. In der Folge wurde versucht, hiesige Access-Provider mit Strafdrohungen zu Sperrungen solcher Inhalte zu veranlassen. Das Thema ist zwar nicht ganz vom Tisch, doch werden solche Sperrungen heute mehrheitlich als illusorisch abgelehnt. Mit den Musiktauschbörsen wiederholte sich das Schauspiel, dieses Mal allerdings angetrieben von der Musikbranche. Napster, welche den Stein ins Rollen brachte, konnte noch relativ einfach in die Knie gezwungen werden, da diese Tauschbörse ohne den zentralen Napster-Server nicht funktionierte. Doch weil Nachfolger wie Kazaa vollständig dezentral organisiert wurden und solche virtuelle Gebilde sich eben nicht direkt fassen lassen, musste die Musikbranche zwangsläufig in einen Kleinkrieg gegen die individuellen Nutzer dieser P2P-Netze ziehen – ein aussichtsloses Unterfangen. Zwar wird die Musikbranche früher oder später mit Erfolg gegen die Software-Lieferanten vorgehen können, doch wird das Phänomen sich so nicht mehr stoppen lassen.
Droht Skype ein ähnliches Opfer seines Erfolgs zu werden? Zwar geht es nicht um illegale Websites oder Raubkopien, sondern «nur» um die Möglichkeit, über das Internet zu telefonieren. Doch auch letzteres stösst in gewichtigen Kreisen auf wachsenden Widerstand. So haben mehrere Telefongesellschaften angekündigt oder begonnen, Voice-over-IP-Verkehr über ihre Netze nicht mehr zuzulassen oder einzuschränken, weil sie ihn nicht kontrollieren können. Gewisse wie China Telecom tun dies mitunter aus Staatsräson, andere wie Vodafone erwägen dies aus rein wirtschaftlichen Gründen: Sie wollen nicht, dass an ihren Kassen vorbei über billige Internet-Lokaltarife günstig in alle Welt telefoniert wird und so das traditionelle Telefoniegeschäft gefährdet wird.
Die Strafverfolgungsbehörden beobachten den Erfolg von Voice-over-IP ebenfalls mit wachsender Sorge: Sie realisieren, dass sie nicht mehr wie bisher mithören können, wenn über das Internet statt über herkömmliche Telefonzentralen telefoniert wird. Denn je nach Einsatzvariante werden nur noch Angaben zum Verbindungsaufbau über den Voice-over-IP-Service-Provider ausgetauscht, das Gespräch dagegen über eine normale Internet-Verbindung direkt von Client zu Client übermittelt. Die einzige Möglichkeit, an das Gespräch heranzukommen, ist über den Internet-Access-Provider des Anrufers oder Angerufenen. Dieser aber hat mit der Vermittlung der VoIP-Anrufe nichts zu tun und verdient auch nicht daran. Hinzu kommt, dass zumindest bei Skype Sprachdaten so verschlüsselt sind, dass ein Access-Provider selbst mit der erforderlichen Abhörsoftware nicht mithören kann.
Eine ausgewogene Lösung für dieses Problem ist bisher nicht bekannt. Vielleicht ist es dafür auch schon zu spät; die Macher von Skype haben es jedenfalls versäumt, sich rechtzeitig Gedanken darüber zu machen, wie ihr System auch rechtsstaatliche Bedürfnisse befriedigen kann. So bleibt nur zu hoffen, dass Behörden und Politiker nicht überreagieren, wenn ihnen bewusst wird, wie ihnen die Kontrolle über das Internet durch die Macht des Faktischen einmal mehr entgleitet.