Überblick und Details dank Visualisierung

Um viele Patienten eines telemedizinischen Betreuungsangebots effizient zu verwalten, sind verschiedene Sichten auf die Daten nötig.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/18

     

Wir können heute grosse Mengen an Daten sammeln und verwalten. Die Tatsache, dass die Daten verfügbar sind, heisst aber nicht automatisch, dass sie auch nutzbar sind. Traditionelle Datenbank-Schnittstellen zum Beispiel zeigen typischerweise nur isolierte Aspekte, und es ist schwierig, einen Überblick zu erlangen. Während es viele Initiativen gibt, die sich mit der Standardisierung, Sicherheit und Zuverlässigkeit von medizinischen Daten beschäftigen, sind die Anstrengungen, um den Entscheidungsprozess oder die Analyse zu unterstützen weniger weit fortgeschritten.
Die Fachhochschule Solothurn Nordwestschweiz und das Zentrum für Telemedizin Medgate haben nun ein telemedizinisches Disease-Management-System entwickelt, das es nicht nur erlaubt, den Zustand des Patienten kontinuierlich zu überwachen, sondern auch therapeutische Entscheidungen und Interventionen ermöglicht. Das System ersetzt dabei weitgehend die ressourcenintensiven 1-zu-1-Beziehungen zwischen Betreuer und Patienten, durch 1-zu-n-Beziehungen zwischen Betreuer und dynamisch wechselnden Gruppen von Patienten mit ähnlichen Charakteristika. Dieser Ansatz ermöglicht es, die Anzahl der persönlichen Kontakte zu reduzieren und trotzdem die notwendige personalisierte Betreuung zu gewährleisten. Das System muss dazu vier Hauptaufgaben erfüllen:


• Überwachung der Systembenutzung und die Einhaltung («compliance») der gestellten Aufgaben,


• Entdecken von Trends, kritischen Zuständen, oder Korrelationen,


• Definieren von Zielgruppen für neue therapeutische Interventionen,


• Einfacher Zugriff auf Detailinformationen.


Drei Ansichten zeigen die Aspekte

Damit die Betreuenden in der Lage sind, den grossen Datenfluss zu überwachen, interpretieren und ihn schliesslich in handlungsrelevante Informationen umzusetzen, brauchen sie Werkzeuge, die über die traditionellen Datenbankschnittstellen hinausgehen. Die hier vorgestellte Applikation besteht aus mehreren koordinierten Ansichten, die einen Überblick über die Daten in Form von parallelen Zeitlinien zeigen und mittels Direktmanipulation und verzerrungsbasierten Visualisierungstechniken einen einfachen Zugang zu Detailinformationen ermöglichen.
Konkret wurde für diesen Zweck eine Betreuer-Applikation mit drei Hauptansichten (siehe Abbildung) geschaffen, die unterschiedliche Aspekte der Daten zeigen. Zwei übereinander liegende Ansichten auf der linken Seite visualisieren dabei die Daten auf einer Zeitachse. Die dritte Ansicht auf der rechten Seite wird im Beispiel als Filteransicht zur Definition von Ausschlusskriterien verwendet.






Die obere der zwei Zeitachsen-Ansichten zeigt die Dauer und Grösse (Anzahl Patienten einer Gruppe entspricht der Dicke des Balkens) von Gruppen von ähnlichen Patienten, die zum Zwecke der Durchführung einer bestimmten gemeinsamen Intervention gebildet werden. Wenn man auf eine dieser Gruppen klickt, werden die dazugehörenden Patienten in der unteren Ansicht hervorgehoben, und umgekehrt. Die untere Ansicht zeigt eine Zeitlinie für jeden Patienten der am Programm teilnimmt. Dabei kann ein Attribut ausgewählt und in diesem Überblick dargestellt werden. Um den therapeutischen Entscheidungsprozess zu unterstützen, können Indikatoren definiert und mit der Zeitlinie des Patienten kombiniert werden. Indikatoren sind Algorithmen, welche auf irgendeiner Kombination der zur Verfügung stehenden Attribute operieren. Sie werden als rote Bereiche im Hintergrund der individuellen Zeitlinien angezeigt. In der Abbildung zum Beispiel, wird ein einfacher Schwellenwert-Indikator verwendet, um Perioden hervorzuheben, in denen der Wert des betrachteten Attributes im kritischen Bereich war.


Lupe für Details

Um Details sichtbar zu machen, kann auf der horizontalen Zeitachse eine Vergrösserungslinse geöffnet und an jeden beliebigen Ort geschoben werden. So kann man sehr effizient in der Zeit navigieren und Details untersuchen, ohne den Überblick zu verlieren. In der vertikalen Richtung kann man auf die Zeitlinie eines Patienten doppelklicken, um mehr Details zu sehen. Die ausgewählte Zeitlinie wird dann dynamisch expandiert und ausgewählte Attribute werden angezeigt. Die anderen Zeitlinien werden entsprechend komprimiert, um Platz für die expandierte Darstellung zu machen. Sie bleiben aber immer weiterhin
sichtbar.
Auf der dritten Ansicht auf der rechten Seite, hat es Platz für zusätzliche Datensichten. In der im Beispiel gezeigten Filteransicht können Ausschlusskriterien für beliebige Attribute oder Kombinationen davon definiert werden. Patienten deren Attribute ausserhalb der Kriterien liegen, werden herausgefiltert und aus der Anzeige entfernt oder als inaktiv dargestellt. Dieser Mechanismus hilft den Betreuenden, Gruppen von Patienten zu identifizieren und für potenzielle gemeinsame Interventionen zusammenzufassen.


Übersicht und Details in Einem

Tests an Hand von zwei verschiedenen Fallstudien haben gezeigt, dass die Betreuer-Applikation die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt. Für die erste Fallstudie wurden dabei Daten von einem telemedizinischen Disease-Management-Programm für Patienten mit obstruktiver Lungenerkrankung COPD (Asthma und chronisch obstruktive Lungenerkrankung) verwendet. In diesem Programm erhalten chronisch kranke Patienten spezifische Interventionen, basierend auf täglichen Beobachtungen von Symptomen und der Selbstmessung der Lungenfunktionen. Das Ziel ist die Früherkennung einer Zustandsverschlechterung, wodurch Hospitalisierungen häufig verhindert werden können. In diesem Falle wurde die Visualisierungsapplikation zur retrospektiven Analyse der Daten eingesetzt, um die diagnostischen und therapeutischen Prozesse in der Zukunft zu verbessern.





Die Ärzte, welche mit den Daten der Lungenerkrankungspatienten arbeiten, verwendeten bisher Excel zur Datenanalyse. Dank der interaktiven Visualisierungsapplikation sind sie nun schneller in die Lage, neue Erkenntnisse zu gewinnen und Anomalien zu entdecken, die ihnen vorher entgingen. Gründe dafür waren, dass bisher entweder die Daten durch Excel zu wenig gut repräsentiert oder der Zugriff auf die Daten zu umständlich war, so dass tiefer gehende Analysen ausblieben. Als Hauptvorteil der Betreuer-Applikation wurde die verbesserte Übersicht offensichtlich, sowie die Möglichkeit, des einfachen Zugangs zu Detailinformationen ohne den Überblick zu verlieren.






Für die zweite Fallstudie wurden simulierte Daten für ein zukünftiges Programm zur Behandlung einer grossen Anzahl von übergewichtigen Jugendlichen verwendet. Die Simulation umfasste 100 fiktive Patienten über einen Zeitraum von 18 Monaten. Dieser künstliche Datensatz beinhaltet wiederholte Messungen von physischer Aktivität, Body-Mass Index (BMI) und subjektives Wohlbefinden. Der Zweck dieser Simulation war es, die Skalierbarkeit des Systems zu testen und ein Gefühl für die Art von Daten zu bekommen, die in einem zukünftigen Programm mit einer grossen Anzahl von Patienten zu erwarten ist. Die verwendeten Daten beinhalteten über 60'000 Beobachtungen. Die zweite Fallstudie zeigte, dass das System noch für mehr als 100 Patienten mit vielen verschiedenen Attributen skalieren würde.


Der Autor

Dominique Brodbeck ist Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Sie erreichen Ihn unter dominique.brodbeck@fhso.ch.




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