Das neue Reich des Bösen?
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/17
Es ist schwierig zu sagen, wann genau es geschah, aber im Lauf des Sommers kippte die Stimmung. Plötzlich war Google – das Unternehmen, das in einem Brief an die Aktionäre für sich selber reklamiert, «eine Institution für eine bessere Welt» zu sein – nicht mehr «Tech cool», sondern das neue Reich des Bösen.
An IT-Konferenzen sprechen die Leute kaum mehr über etwas anderes. Sicher, Google zehrt immer noch von seinen immensen Vertrauensreserven, die in der digitalen Welt wohl ihresgleichen suchen. Aber diese sind nicht mehr in Stein gemeisselt. Plötzlich realisieren viele, dass Google mit seinen zahlreichen Services – fast wöchentlich wird ein neuer lanciert – Unmengen von persönlichen Informationen über die Interessen, die Online-Aktivitäten, die Suchthemen, die sozialen Netze und die Vorlieben seiner Abermillionen von Anwendern anhäuft. Diese «impliziten» Daten, die auf Googles Rechnern gespeichert werden, seien unverzichtbar für das Angebot und die Perfektionierung seiner Dienste, erklärt das Unternehmen (nicht zu Unrecht). Bis jetzt gibt es tatsächlich keinen Hinweis darauf, dass mit diesen Daten Missbrauch getrieben wird – aber die Informationen existieren und vermehren sich rasend schnell. Und trotz der engelhaften Absichtserklärungen im erwähnten Brief an die Aktionäre birgt allein die Existenz dieser Datenmengen ein Riesenpotential für Datenschutzverletzungen. Ein Anwalt der Electronic Frontier Foundation bringt es auf den Punkt: «Diese Daten sind praktisch ein Ausdruck dessen, was im Gehirn eines Google-Anwenders vorgeht: was er zu kaufen gedenkt, mit wem er kommuniziert – und worüber er kommuniziert.»
Das alles kommt zu den «expliziten» Informationen dazu, die jedermann im Internet finden kann – Milliarden Online-Dokumente, öffentliche und (allzu häufig) private, alle indexiert von den Google-«Spinnen» und anderen Suchmaschinen, alle zugänglich über einige wenige Tastenschläge.
Sogar Google selber scheint kürzlich realisiert zu haben, wie stark seine Services unseren Alltag mittlerweile beeinflussen. Am 14. Juli erschien auf der «News.com»-Website ein Artikel der Journalistin Elinor Mills. Sie thematisierte darin die wachsende Bedrohung der Privatsphäre durch Googles krakenhafte Umklammerung von «impliziten» und «expliziten» Informationen. Zur Bekräftigung ihrer Argumentation setzte Mills ein kurzes Porträt von Google-CEO Eric Schmidt an den Anfang, das ausschliesslich auf Informationen beruhte, die sie via Google im Web gefunden hatte – darunter Schmidts Anlage-Portfolio, seine Privatadresse, seine Hobbies und anderes mehr. Google behagte der Geschmack der eigenen Suppe gar nicht. Wütend über Mills' Artikel, setzte die Firma alle «CNet»-Journalisten – «News.com» gehört zu «CNet» – auf die schwarze Liste, was bedeutet, dass mit ihnen ein Jahr lang nicht mehr kommuniziert wird. Das war wahrscheinlich der Auslöser für den Stimmungsumschwung. Google verwandelte sich vom «Freund» in einen gefährlichen potentiellen Informations-Monopolisten.
Es muss nicht extra betont werden, dass der Bannstrahl gegen die «CNet»-Journalisten, dieser Versuch, den freien Informationsfluss zu behindern, überraschte – trugen doch gerade Google und Co. viel zur Info-Transparenz bei. Im Vergleich zu Googles Reaktion auf den «News.com»-Artikel nimmt sich sogar Microsoft, der Riese, den alle zu hassen lieben, beinahe gutmütig aus.