Linux für CS ein Thema und doch keines

In einem Strategiepapier hat die Grossbank Credit Suisse die Einsatzmöglichkeiten von Linux evaluiert – mit einem eindeutigen Resultat.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/19

     

Die wachsende Popularität des freien Betriebssystems Linux macht auch vor Grossbanken wie der Credit Suisse nicht halt. Als erste Projekte beantragt wurden, welche Linux einsetzen wollten, entschloss sich das Unternehmen, ein entsprechendes Strategiepapier auszuarbeiten. Damit wollte man verhindern, dass gewissermassen durch die Hintertür ein weiteres Betriebssystem Einzug halten würde. "In einem Grossunternehmen", sagt Peter Schnorf dazu, Leiter der Technischen IT-Architektur bei Credit Suisse in der Schweiz, "muss ein solcher Schritt sorgfältig geplant werden."




Dies umso mehr, als dass die Grossbank im traditionellen Geschäftsbereich bereits über eine sehr vielfältige Informatik-Landschaft verfügt. Die eigentliche Datenbewirtschaftung erfolgt über Java-Anwendungen und Datenbanken, die auf Sun-Servern laufen. An den Arbeitsplatz-PCs herrscht Windows vor, während Windows-Server die benötigten Datei- und Druckdienste bereitstellen. Für spezielle Anwendungen und für die Systemverwaltung setzt die Credit Suisse IBM-Server der pSeries mit AIX ein. Und das eigentliche Kundengeschäft, die Finanztransaktionen für Zahlungsverkehr und Wertschriftenhandel, laufen auf IBM-Grossrechnern.


Keine finanziellen Vorteile

Die heutige Informatik-Landschaft der Credit Suisse entspricht etwa dem, was man anzutreffen erwartet: Verbreitete Standard-Technologien dominieren das Bild, Mainstream ist angesagt. Und das hat einen einfachen Grund, wie Schnorf erklärt: "Für uns ist Informatik ein Mittel zum Zweck, das mit möglichst tiefen Kosten betrieben werden muss."



Linux ist für die Credit Suisse noch nicht Mainstream. Aber die in New York beheimatete Credit Suisse First Boston, der Investment-Bereich der Grossbank, setzt schon auf eine Linux-Umgebung zur Abwicklung von Finanztransaktionen. In der Schweiz beobachtet man die Erfahrungen damit und überprüft jährlich das Technologie-Management. Wenn Linux Mainstream wird und die Credit Suisse Einsatzmöglichkeiten sieht, so wird das freie Betriebssystem auch hierzulande über einen Pilotversuch hinaus eingesetzt werden.




Die Resultate, zu denen die Credit Suisse in ihrem Strategiepapier gekommen ist, erstaunen deshalb kaum. Dieses hat Einsatzmöglichkeiten und Grenzen der verschiedenen Plattformen durchleuchtet mit dem Ziel, allfällige Linux-Szenarien auszuarbeiten. Doch aus heutiger Sicht bietet sich für die Credit Suisse der Einsatz des freien Betriebssystems nicht an, wie Schnorf ausführt: "Zwar liesse sich aus technischer Sicht vieles auch mit Linux realisieren und Hardware-/Software-Investitionskosten könnten reduziert werden, gerade im Intel-Umfeld." Doch: "Die Investitionen bilden nur einen kleinen Teil der Gesamtkosten, der Total Cost of Ownership, wenn es um den Einsatz eines Betriebssystems in einem Grossunternehmen geht. Die Personalkosten für den Support des OS sowie aller darauf eingesetzten Systemmanagement-Werkzeuge, der Middleware und der diversen weiteren Softwarepakete überwiegen. Zudem wären die Migrationskosten vermutlich höher als das Sparpotential", schränkt der IT-Leiter sogleich wieder ein.



Die Untersuchung hat verschiedene Schwachstellen von Linux aufgedeckt, die zum heutigen Zeitpunkt gegen die Einführung des freien Betriebssystems sprechen. Diese betreffen insbesondere die fehlenden "Enterprise-Features" von Linux, das heisst, Schwächen beim Einsatz auf grösseren Server-Umgebungen, wie sie beispielsweise für das Data Warehouse nötig sind. Gemäss dem Strategiepapier eignet sich Linux derzeit noch nicht für den Einsatz auf Servern mit mehr als 8 Prozessoren und für den Umgang mit entsprechenden Speicher- und Dateigrössen.



Die Kosten sind beim Betrieb der Informatik-Infrastruktur ein zentrales Element. Deshalb versucht die Credit Suisse, mit einer möglichst geringen Zahl verschiedener Hard- und Softwareprodukte zu operieren. Die Einführung einer neuen Plattform müsste also eine bestehende ersetzen können. Doch auch hier hat Linux bei der Grossbank derzeit schlechte Karten. "Ein Szenario, bei dem unsere Unix-Plattformen nur teilweise durch Linux ersetzt werden, führt zu einem höheren Personalbedarf", so Schnorf.



Derzeit sieht die Credit Suisse keinen zwingenden Grund, Linux einzusetzen. Doch wenn aus diesen Ergebnissen der nüchterne Pragmatiker spricht, so gewinnt Schnorf dem freien Betriebssystem durchaus auch positive Seiten ab: "Linux hat wieder für Konkurrenz gesorgt und damit Bewegung in den Markt gebracht", sagt er. "Als Bewegung ist Linux wichtig." Den Schluss, den Schnorf daraus zieht, mag überraschen: "Eigentlich", so sagt er, "müssten Grossunternehmen freie Software fördern." Und konkretisiert sogleich: "Beispielsweise, indem sie OSDL unterstützen." Bei den Open Source Development Labs handelt es sich um eine Organisation, welche den Einsatz von Linux in Grossunternehmen fördern will und von namhaften Informatikunternehmen getragen wird. Mit Linus Torvalds hat sie zudem kürzlich einen prominenten Vertreter an Bord geholt.




Am Ball bleiben

Für sich selbst betrachtet die Credit Suisse die Anpassung von Software aber nicht als Kerngeschäft. Deshalb ist die Möglichkeit, freie Software beispielweise im Sicherheitsbereich an eigene Bedürfnisse anzupassen, für die Grossbank nur bedingt interessant. "Das ist eine Aufgabe für Informatik-Unternehmen", meint dazu Schnorf. Sicherheitszertifikate bei Software seien im Bankenumfeld viel wichtiger. Ähnlich sieht die Situation bei den Arbeitsplatz-Rechnern aus, wie Schnorf konstatiert: "Auch aufgrund spezifischer Anwendungen ist bei uns die Ablösung von Windows derzeit kein Thema."
Und auch wenn im Moment das freie Betriebssystem für die Credit Suisse kein Thema ist, so verfolgt die Grossbank die Entwicklung aufmerksam. Falls es zu einer Strategieänderung kommen sollte, findet sie sicherlich Unterstützung im eigenen Unternehmen bei der Credit Suisse First Boston, die bereits auf eineinhalb Jahre Linux-Erfahrung zurückblickt.



Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Wieviele Fliegen erledigte das tapfere Schneiderlein auf einen Streich?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER