Überstunden: Wie viel IT-Angestellte leisten müssen
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/17
Die Zeiten sehen wirtschaftlich nach wie vor düster aus. Viele Unternehmen sind immer noch am Abbauen: EDS entlässt allein in der Schweiz 140 Angestellte, 200 bis 500 Stellen streicht Swisscom IT Services, bei der UBS sind es sogar 700 bis 800 Arbeitsplätze - kaum ein Tag vergeht ohne neue Abbau- oder Restrukturierungsmeldungen.
Die noch verbleibenden Mitarbeiter stehen immer mehr unter Druck. Wer heute seinen Job zur Zufriedenheit aller erledigen möchte, muss nicht nur gute, sondern auch viel Arbeit leisten. Wer jetzt aber glaubt, dass in Schweizer Firmen mehr Überstunden geleistet werden als in wirtschaftlich guten Zeiten, liegt falsch. Dies zumindest ergeben Recherchen von InfoWeek.
"Überstunden sind bei uns nicht von der Wirtschaftssituation abhängig, sondern von Projektphasen", bringt es Rudolf Schwarz, CIO und Leiter Direktion Migros IT-Services, auf den Punkt. Beim Migros Genossenschafts-Bund (MGB) versucht man grundsätzlich, Überstunden durch eine detaillierte Personalressourcenplanung zu verhindern, was auch zu gelingen scheint.
Auch die Telekommunikationsunternehmen haben ihre Personalplanung im Griff. Bei Sunrise zum Beispiel werden etwa gleich viele Überstunden geleistet wie in besseren Zeiten, bestätigt Monika Wäspe, HR Manager IT. Orange begründet dies damit, dass Mobilfunkdienstleistungsunternehmen mit einer starken Marktstellung den wirtschaftlichen Schwankungen weniger ausgesetzt sind als dies etwa in der Industrie oder in anderen Branchen der Fall sei. "Die daher quasi stetig stabile Arbeitslage, verbunden mit einer effizienten Arbeitsplanung, macht das Leisten von Überstunden nur in einem beschränkten Rahmen - bei situativ auftretenden Mehrbelastungen - notwendig", sagt Marie-Claude Debons von der Public- & Media-Relations-Abteilung von Orange.
Bei den Vaudoise Assurances in Lausanne spürt man sogar eine Trendwende: Bei der Versicherung werden über 50 Prozent weniger Überstunden geleistet als noch vor ein paar Jahren.
Wenn es auch nicht mehr sind als in besseren Zeiten, in den Unternehmen fallen nach wie vor Überstunden an, hauptsächlich um Termine wichtiger Projekte einhalten zu können. "Überstunden fallen vor allem vor und während Einführungsphasen von Projekten an", sagt Rudolf Schwarz. Aber auch Tagesgeschäftssituationen können zu kurzfristigen Überstunden führen. "Dazu zählen etwa unerwartete, situativ auftretende Mehrbelastungen wie zum Beispiel bei Krankheit oder anderen unerwarteten Abwesenheiten von Mitarbeitern oder bei technischen Vorkommnissen", so Marie-Claude Debons. Bei Orange werden aber auch Überstunden geleistet, wenn es darum geht, flexibel dringenden Bedürfnissen von Kunden zu entsprechen. "Dabei kommen meist Mitarbeitende mit spezifischem Know-how im technischen Bereich zum Einsatz, die beispielsweise im Piquett-Einsatz ihre Arbeit erst dann beenden können, wenn allfällige technische Probleme gelöst sind", sagt Debons.
Die Bereitschaft der Mitarbeiter, Überstunden zu leisten, ist in den Schweizer Firmen gross. "Da unsere Mitarbeiter sehr motiviert sind, ist auch die Bereitschaft, Überstunden zu leisten, dementsprechend hoch", sagt Monika Wäspe. Und da steht Sunrise nicht alleine da. "Sind Überstunden erforderlich, betrachten dies die Mitarbeiter als Teil ihrer Verantwortung und leisten diese engagiert", unterstreicht Debons das Verantwortungsbewusstsein und die Motivation der Orange-Mitarbeiter.
Auch beim MGB ist die Motivation und das Engagement grundsätzlich ausgeprägt hoch und damit auch eine Grundbereitschaft vorhanden. "Aber viel wichtiger ist wohl das Instrument der zwingenden Kompensation", erklärt sich Schwarz die Bereitschaft seiner Mitarbeiter, Überstunden zu leisten. Die meisten Unternehmen haben klare Kompensationsreglemente. Diese sehen vor, dass Überstunden in Form von Freizeit abgegolten werden. Nur in wenigen Firmen wird eine Auszahlung der Mehrarbeit bevorzugt, wie etwa bei Vaudoise.
Ausserdem sind Überstunden ab einer gewissen Führungsstufe bereits mit dem Salär abgegolten. "Bei Mitarbeitern mit entsprechender Verantwortung gehört insbesondere eine gewisse zusätzliche Belastung, beispielsweise durch Repräsentationsaufgaben, zum eigentlichen Arbeitsauftrag", sagt Marie-Claude Debons, und "diese zusätzliche Belastung wird in der Zusammensetzung und Höhe der Entlöhnung bereits entsprechend berücksichtigt."
Die Frage, ob Überstunden letztlich dazu da sind, Neueinstellungen zu verhindern, weil dies einerseits billiger kommt und andererseits flexibler zu handhaben ist, wird von den Unternehmen einheitlich mit einem klaren Nein beantwortet. So sind auch die Zukunftsziele klar definiert: Überstunden durch klare Personalressourcenplanung vermeiden oder möglichst tief halten. "Unsere bisherige Erfahrung zeigt, dass durch eine professionelle Arbeitsplanung das erforderliche Mass an Überstunden tief gehalten werden kann. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich dies künftig ändern könnte", sagt Debons abschliessend.