Stimmt das neue Orbit-Konzept?
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/17
Die Orbit ist nicht mehr die Orbit. Als massiv geschrumpfte IT-Messe musste sie sich von der Idee einer allumfassenden Computer-Messe notgedrungen lossagen und positioniert sich neu als IT-Leistungssschau für die KMU. Ist der Schwenk gelungen? Was meinen die Besucher der Orbit dazu? InfoWeek führte dazu eine nicht-repräsentative Publikumsbefragung durch und publiziert eine Auswahl von Stimmen.
"Ein guter Versuch"
Pro: Das neue Konzept ist ein guter Versuch - ich weiss aber nicht, ob er gelungen ist. Es ist richtig und wichtig, dass die Orbit sich auf KMU konzentriert. Denn die meisten kleinen und mittleren Unternehmen haben grossen Bedarf an IT- und Netzwerklösungen. Trotzdem bin ich eher enttäuscht von der Messe. Es fehlten mir vor allem ein paar wichtige grosse Aussteller wie HP oder SAP. Zwar sind auch die kleinen IT-Firmen wichtig, weil sie mit ihren massgeschneiderten Lösungen sehr nah bei den KMU sind. Doch auch die Grossen haben Produkte, die einem KMU viel bringen können. Eher durchzogen ist meine Bilanz bei den Themenparks: Während im Storage-Bereich mit Grosslösungen klar über das Ziel hinausgeschossen wurde, waren die Lösungen im Security-Park zu stark oberflächlich - eine Firewall hier, eine Verschlüsselung dort. Aber ich habe auch etwas gefunden, nachdem ich gar nicht gesucht habe: ein DVD-Archivierungssystem für 15'000 Franken von JVC - eine richtige KMU-Lösung, nicht wie der 200'000 fränkiger Tape-Roboter.
Reto Burkhalter, Teilhaber Basis06, E-Businessdienstleister
"So stirbt die Orbit"
Kontra: Das neue Konzept ist Totalschrott. So stirbt die Orbit. Seit Jahren komme ich hierher und stiess immer auf neue Produkte, die ich sowohl für meinen Beruf als auch für meine Teilzeittätigkeit als Freelance-Sportfotograf von Interesse waren. Am Swisscom-Stand hätte es zwar interessante Dinge zu sehen gegeben, die für mich als Fotograf wichtig sind (wie mobiler Datenaustausch), aber die Angebote sind ganz klar auf Unternehmen ausgerichtet und nicht auf die Kleinen. Ich finde es auch äusserst schade, dass nicht mehr für junge Berufsleute gezeigt wird. Diese hat man total vergessen. Dass die gesamten Consumer-Themen gestrichen wurden, war ein Fehler. Aber auch für meinen Beruf im audiovisuellen Bereich gab es dieses Jahr nichts zu sehen - gerade mal vier Aussteller waren präsent. Wichtige Anbieter von Viedoconferencing-Systemen wie beispielsweise PictureTel fehlten völlig. So ist keine Marktübersicht möglich. Noch im letzten Jahr brauchte ich den ganzen Tag, um mir ein Bild zu verschaffen, jetzt reicht eine halbe Stunde. Dafür muss ich aber nicht von Zürich nach Basel fahren. Ich komme nächstes Jahr bestimmt nicht mehr.
Alex Pfiffner, zuständig für Beschallung und Videoconferencing bei einem grossen schweizerischen Versicherungskonzern
"KMU bilden Backbone"
Pro: Ich finde es sehr wichtig, dass man sich auf KMU konzentriert, bilden doch die kleinen und mittleren Unternehmen den Backbone unserer Wirtschaft. Dass man für sie speziell eine Plattform bietet, ist eine ideale Entscheidung und zielt in die richtige Richtung. Dass die Messe kleiner ist als letztes Jahr, stört nicht. Wenn der gesamte Consumerteil wegfällt und auch die Aussteller, die Grosslösungen anbieten, nicht mehr kommen, ist das für mich kein Verlust, sondern bedeutet eher eine Gesundschrumpfung aufs Wesentliche. Eine Gefahr sehe ich aber trotzdem - dann nämlich, wenn die wichtigen Mainplayer nicht mehr kommen, wie HP zum Beispiel. Persönlich interessieren mich die Grossen zwar nicht. Ich gehe sehr gezielt an die Messe und besuchte den Abacus-Stand, da ich eine Demoversion der Finanzbuchhaltung erhalten habe und ein paar Fragen zu den Kontoplänen hatte.
Thomas Egloff, Chirurg mit eigener Praxis
"Nicht stringent durchgezogen"
Kontra: Das Konzept an und für sich finde ich gut, und es ist genau auf meine Bedürfnisse zugeschnitten. So dachte ich das jedenfalls, als ich hierher gekommen bin. Jetzt muss ich sagen, dass das Konzept nicht stringent durchgezogen wurde. In den sogenannten Themenparks findet der Besucher Lösungen, die mehrere 100'000 Franken kosten. Riesige Speicherschränke und Tape-Roboter werden da ausgestellt. Aber das hat mit den Bedürfnissen, die ein KMU an seine Geschäftsinformatik stellt, überhaupt nichts zu tun. Am anderen Ende sind auch Consumerprodukte weiterhin vertreten - etwa Plasmabildschirme, Projektoren oder Einspritzpumpen für Tintenstahldrucker.
D. K. arbeitet in der IT eines Holzverarbeitungsunternehmens
"Graben zwischen Realität und Werbung"
Pro: Ich finde vor allem die Idee der Themenparks gut. Hier finde ich Projektoren, dort gibt es Plasmabildschirme: Alles ist schön abgetrennt, das macht es für den Besucher sehr einfach. Ich komme das erste Mal an die Orbit, und ich bin überrascht, wie klein die Messe ist. Zwischen der Messerealität und dem, was die Werbung und das Marketing der Aussteller im Vorfeld suggeriert haben, sehe ich einen grossen Graben. Persönlich bin ich aber auf die Rechnung gekommen, weil ich nur einen einzelnen Aussteller besuchen wollte. Ich bin überrascht, wie wenig Besucher sich hierher verirren. Aber mit mangelndem Besucherinteresse haben auch andere Messen zu kämpfen. Ich denke dabei an die Swissbau, wo unsere Firma ausstellt.
U.G. arbeitet in der IT eines Sanitärfabrikationsunternehmens
"So kann es nicht weitergehen"
Kontra: Ich finde das neue Konzept nicht gut, weil es der Orbit keine Möglichkeiten gibt, auf Marktveränderungen zu reagieren. Ich bin überzeugt: Irgendwann kommt der Aufschwung und spätestens dann klopfen die HPs, SAPs und Ciscos wieder an die Tür und wollen auf viel Ausstellungsfläche das ihnen so liebe Enterprise-Publikum in Empfang nehmen. Wenn also die Stimmung plötzlich wieder euphorischer wird - und das kann schnell gehen -, dann nimmt es mich wunder, ob die Messeleitung an ihrem KMU-Konzept festhält oder ob sie es einfach schubladisiert. Die Ausrichtung der neuen Orbit ist nicht strategisch, sondern ein Schlechtwetterkonzept. Ich bin mir sicher: Die Orbit wird sich schnell wieder ändern - darin hat die Messeleitung erstens beste Erfahrung und zweitens wäre es der Messe und der ganzen IT-Branche auch zu wünschen, denn so kann es ja nicht weitergehen.
H.G. arbeitet im IT-Support beim Bund